Dennis Chytrek

Der Hauptstadtkongress 2016: Die Digitalisierung im Dschungel des Gesundheitswesens

Einmal im Jahr trifft sich das gesundheitspolitische Who- is -Who in Berlin auf dem Hauptstadtkongress. Dennis Chytrek berichtet von der Veranstaltung, auf der vor allem die Digitalisierung im Gesundheitswesen im Fokus stand.

Unter dem Schlagwort „Innovationen“ wurde im Grunde alles verpackt, was mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens zusammenhängt. Dabei scheint es noch etwas unklar zu sein, was mit Digitalisierung konkret gemeint ist. Die Erwartungen zumindest schwanken von telemedizinischen Sprechstunden bis hin zu vernetzten elektronischen Patientenakten, Apps für Patienten oder Big-Data-Anwendungen mit Millionen von Datensätzen. Je nach Erwartung und Ansatz hat die Digitalisierung demnach „schon längst begonnen“ oder es wurde sich auf dem Kongress beklagt, dass die „e-Health-Rakete“ nicht abheben will.

Digitale Vernetzung gehört dazu – nur nicht im Gesundheitswesen

Die Erwartungshaltung ist zumindest riesig und der Grund dafür einleuchtend: Für die meisten Menschen gehören Breitband-Internet und Smartphone zum Alltag. Sie vernetzen sich auf Facebook, teilen per Fitnesstracker ihre Joggingstrecke mit der ganzen Welt – einige sogar dabei ihren Kalorienverbrauch. Gleichzeitig haben wir den Anspruch, eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zu haben. Dass Ärzte heute noch viel per Brief kommunizieren, will da nicht so recht ins Bild passen. Sicherlich ist das Thema Datenschutz in diesem Bereich von wesentlich größerer Bedeutung als wenn es um Fitness oder Kalorienverbrauch geht.
Es sollen ja Daten auf elektronischem Wege ausgetauscht werden, beispielsweise die Patientenakte zwischen Ärzten, welche die Patienten unmittelbar auf hoch persönlicher und intimer Ebene berühren, deren Umfang sie aber selbst gar nicht abschätzen können. Dass dies heute schon in einzelnen Krankenhäusern genau so passiert, ist natürlich ein Schritt in die richtige Richtung. Hier müssen Schnittstellen zwischen den Sektoren definiert und die IT-Sicherheit erhöht werden. Zum einen kann es nicht sein, dass eine E-Mail ein ganzes Krankenhaus lahmlegt (wie schon geschehen), zum anderen ist es aber auch vom Datenschutz her höchst problematisch, wie Professor Elmer zu Recht ausführt, dass 40 Prozent der Kommunikation zwischen den Ärzten noch per Fax stattfindet.

Digitale Realität ist weit entfernt

Wie weit wir von der digitalen Realität noch entfernt sind, beschrieb in gewohnt amüsanter Weise der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Professor Josef Hecken am Beispiel des Medikationsplanes. Es sei gut, dass wir jetzt bald einen haben und dass es bei dem Thema endlich vorwärts gehe, aber die nächsten Schritte müssten schnell folgen. Denn derzeit erstelle zum Beispiel der Hausarzt den Medikationsplan am Computer, um ihn dann ausgedruckt dem Patienten mitzugeben. Wenn dieser ihn denn hoffentlich bei der nächsten Untersuchung beim Facharzt dabei habe, werde er dort wieder digitalisiert (bestenfalls eingescannt oder – schlimmer – abgetippt), verändert und wieder ausgedruckt. Dieses Spiel wiederhole sich dann vielleicht noch in der Apotheke oder im Krankenhaus. AU-Bescheinigungen sind ein weiteres Beispiel dafür, wie absurd einige Prozesse heutzutage sind und wie einfach die Lösung sein könnte. Technisch wäre es zumindest keine große Herausforderung, dass die AU-Bescheinigungen digital an die Krankenkasse geschickt werden. Stattdessen auch hier wieder der Umweg über Ausdrucke und Post.

Patienten sind zum nächsten Schritt bereit

Der Patient scheint für die nächsten Schritte bereit zu sein. Zumindest bewegt es sich bereits in der digitalen Welt. Laut TK Trendmonitor recherchieren zwei Drittel der Menschen in Deutschland Gesundheitsthemen im Internet. Auch das Thema Datenschutz haben die meisten für sich bereits entschieden. Laut Oliver Schenk vom Bundesgesundheitsministerium würden 50 Prozent der Deutschen ihre Gesundheitsdaten für eine bessere Versorgung zur Verfügung stellen, nur 10 Prozent für personalisierte Werbung. Eine Antwort auf die Frage, wo die Daten gesammelt und verwaltet werden sollen, gab Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der TK. Die Krankenkassen unterliegen einer strengen Aufsicht und haben, anders als große Technologieunternehmen, keinen Anreiz, diese Daten zu verkaufen.
Im Gegenteil, ihr ureigenes Interesse besteht ja darin, die Versorgung der Versicherten zu verbessern. So können Krankenkassen neben den vermeintlich kleinen Lösungen wie der elektronischen Patientenakte, einem elektronischen (!) Medikationsplan oder auch der Grundlage sinnvoller und geprüfter Gesundheits-Apps, auch Schnittstellen für Big-Data-Anwendungen liefern. In der Diskussion um Big-Data-Anwendungen scheiterte es schon daran, dass niemand weiß ob und unter welchen Voraussetzungen ein Klinikum Daten an einen Konzern liefern darf und schon gar nicht ob und wie es dafür vergütet werden soll und kann. Entscheidend aus Sicht der Kassen ist dabei: Herr seiner Daten muss immer der Patient selbst bleiben – nur er selbst bestimmt, wer Zugriff auf welche seiner Daten erhält.

Tinnitracks: Therapie per App

Wie eine neue Form der Versorgung im Gesundheitswesen aussieht, zeigte die Firma Sonormed mit ihrer App „Tinnitracks“. Das Besondere daran ist, dass sie nicht der reinen Datenerhebung und -pflege dient oder Prozesse vereinfachen soll. Sie hat einen tatsächlichen medizinischen Nutzen für die Patienten und hilft ihnen, den Tinnitus zu lindern oder gar zu heilen. Das, was früher die Pharmaindustrie mit Molekülen geschafft hat, wird nun von einer App übernommen. Kein Wunder, dass einige im Panel „Industrie 4.0. und die Zukunft des Gesundheitswesens“ vorhersagten, dass ganz neue Player auf dem Markt kommen werden. In der Industrieausstellung zeigt sich neben ein paar großen Pharma- und Medizinprodukteherstellern noch kein Apple oder Google – vielleicht ist das nächstes Jahr schon anders, ich bin gespannt.


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