Johanna Küther

Geplatzte Träume oder der schwierige Weg in den Gesundheitsmarkt

Wer gründet, trifft in Deutschland auf einige Hürden. Ganz besonders, wenn damit der Eintritt in den Gesundheitsmarkt geplant ist. Wann wird das start-up in a day Wirklichkeit und warum sollte man nicht nur auf Einhörner setzen?

Start-up seit 1884. Aktueller Status: unicorn*. Mit dieser keineswegs bescheidenen Analyse der TK eröffnete TK-Chef Dr. Jens Baas das Tagesspiegel Fachforum Start-ups in Berlin. Auf den Boden der Tatsachen heutiger Start-ups zurück holte aber schnell der Blick auf die nackten Zahlen – zumindest die aus Deutschland. 2,2 Health-Start-ups pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, 14 Prozent des Risikokapitals fließen hierzulande in den Gesundheitssektor. Klingt viel? Beeindruckende Summen und Sphären hört man eher aus Israel mit 15,6 Health-Start-ups oder den USA mit einem Investitionsanteil von 26 Prozent [1].

Problem erkannt

Die Hauptschuldige war schnell gefunden, als in der vergangenen Woche Investor:innen und Gründende auf Forschung, Politik und Stakeholder:innen der Gesundheitsbranche trafen. Klar, Deutschland ist das Land der Bürokratie. Das erschwert nicht nur die Gründung an sich, sondern zum Beispiel auch den Zuzug von Fachkräften. Für den Gesundheitsmarkt gelten zusätzlich hemmende, wenngleich nicht unwichtige, Spielregeln: allen voran der Datenschutz, der bislang extrem restriktiv ausgelegt wurde. Entwicklungsprozesse dauern lange und so folgt der Gesundheitsmarkt keiner klassischen Investorenlogik von schnellem Durchbruch und hoher Rendite – alles in allem geringe Anreize zu Gründen.

Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK, eröffnete die Veranstaltung mit der GKV-Perspektive. Fotocredit: Marie Staggat

Bürokratie – Hindernis Nummer 1

Das bestätigten Start-ups, die bereits erfolgreich den Weg in den Gesundheitsmarkt gefunden haben. Dr. Thomas Winkler von sleep², einem virtuellen Schlaflabor für zuhause, prangerte die komplizierte Medizinproduktezertifizierung und die Komplexität des Versorgungswesens an. Hürden bei der Unternehmensregistratur – davon berichtete Stephan Kühr, der xolo vertrat. „In den USA dauert das zweieinhalb Stunden, in Deutschland ist Gründen teuer und zeitaufwendig“, so COO Kühr. Auch der Weg von Eva Brandt und Jesse Hartinger hatte wenig von Feenstaub und Fabelwesen, die die Einhorn-Metapher vermuten ließe. FEMNA, ihre App für Frauengesundheit, ist mittlerweile zertifiziertes Medizinprodukt. Ihre Schmerzpunkte? Der regulatorische Aufwand im Gesundheitswesen, außerdem suchten Investierende oft nur nach dem nächsten unicorn, dabei blieben viele gute Ideen auf der Strecke. Sie wünschten sich verlässliche Partnerinnen und Partner, wie Krankenkassen.

Höher, weiter, schneller?

Steilvorlage für Dr. Jens Baas. Theoretisch kein Problem für uns als Krankenkasse, so Vorstandsvorsitzender Baas: „Wir wären ein extrem guter Investor, wir sind ergebnisgetrieben, nicht renditeorientiert. Was die Versorgung verbessern kann, wollen wir fördern.“ Allerdings dürfen wir als TK nur dort investieren, wo kein Risiko ist. Und das ist die Krux – kein Start-up ohne Risiko. Doch es mangelt in der Frühphase einer Gründung oftmals nicht mal an Geldgebern. Vielen Start-ups geht eher nach hinten raus die Luft aus. Ein weiteres Problem: „Investoren sind immer auf der Suche nach unicorns, dabei fallen gute, organisch wachsende und rentable mittelständische Start-ups durch das Raster“, sagte Dr. Kati Ernst vom Bundesverband Deutscher Start-ups.

Wir wären ein extrem guter Investor, wir sind ergebnisgetrieben, nicht renditeorientiert. Was die Versorgung verbessern kann, wollen wir fördern.

Dr. Jens Baas

Moderiert von Johannes Steeger (l.) diskutierten Prof. Ariel Dora Stern, Verena Hubertz, Dr. Kati Ernst und Fabian von Trotha (v.l.) über den Abbau von Hürden.

Es braucht mehr Diversität!

Menschen, die gründen, tauschten Sicherheit gegen Risiko, Dienst nach Vorschrift gegen 60-Stunden-Wochen und schlechte Nächte, sagte Risikokapitalgeber Fabian von Trotha. Die Diskutierenden waren sich einig: Sich zuzutrauen, das zu packen, hält Viele ab. Daher gründet häufig derselbe Persönlichkeitstyp. Es brauche einen diverseren Blick auf die Start-up-Szene, auch damit mehr Diversität dort Einzug hält, war auch Ernst vom Deutschen Start-up-Verband der Meinung: „Männer investieren in Männer“. Eine sich selbst verstärkende Entwicklung: Weniger Frauen oder beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund gründeten, so stiegen weniger von ihnen in den Kreis so genannter Business Angels auf, in dem sie auf Investorenseite dann wiederum Menschen unterstützen könnten, die ihnen ähnlich seien. So einig in der Analyse, so geteilter Meinung war man bei den Lösungsansätzen. Während Verena Hubertz von der SPD auf das EXIST-Women Programm hinwies, plädierte Fabian von Trotha für einen anderen Weg: Es sei besser bei denen anzusetzen, die das Geld investieren und sie entsprechend zu lenken.

Next stop: Datennutzung

Neben Ideen zur Deregulierung und Entbürokratisierung gab es einen weiteren positiven Ausblick, denn mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz eröffnen sich auch im Gesundheitswesen neue Möglichkeiten. „Datennutzung wird die nächste große Revolution im Gesundheitswesen“, war sich Baas sicher. Die verantwortungsvolle Nutzung ermögliche Dinge, von denen man bislang nur träumte – allerdings nicht ohne Datenexpertise und entsprechende Technologien. Sicherlich haben da einige aus der Start-up-Szene im Publikum aufgehorcht.

Weitere Informationen

*Als unicorns bezeichnet man die big player der Start-up-Szene, also jene, die den Sprung hin zu einer Bewertung von mindestens einer Milliarde US-Dollar erhalten.



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