Frau Wörheide, Sie bieten für TK-Versicherte spezielle Pflegekurse für Angehörige von Menschen mit Demenz an. Warum reicht hier ein ’normaler Pflegekurs‘ nicht aus?
Reinhild Wörheide: Es ist ein Riesenunterschied, ob ich einen Menschen mit Demenz betreue oder einen somatisch, also körperlich Erkrankten. Das beginnt schon beim Äußeren. Wenn ich jemanden im Rollstuhl schiebe, ist meine Belastung für jeden sichtbar – und ich bekomme entsprechende Reaktionen. Demenz ist unsichtbar – oft fehlt Dritten deshalb auch die Empathie und es gibt kaum positive Rückmeldungen.
Was bedeutet die Pflege von Menschen mit Demenz konkret?
Bei somatisch Erkrankten steigt die Belastung mit fortschreitender Pflegebedürftigkeit. Bei Demenz ist es oft umgekehrt: Besonders anstrengend ist die Phase, wenn die Betroffenen verwirrt sind, sich „seltsam“ verhalten, sich verirren oder weglaufen. Dann ist Hilfe von außen schwierig – dauerhaftes Aufpassen deckt ja kein Pflegedienst ab. Wenn der oder die Betroffene bettlägerig wird, kann es sogar erstmal eine Erleichterung sein und es wird für Dritte einfacher zu helfen.
Was macht es für die Angehörigen schwer?
Die Veränderung eines vertrauten Menschen, wenn die Betroffenen nahe Angehörige nicht mehr erkennen. Wenn die eigene Tochter gefragt wird „Wer sind Sie denn?“ Diesen Schock kann ich nicht nehmen, aber ich kann darauf vorbereiten, dass diese Situation kommt.
Welche Strategien vermitteln Sie in Ihren Kursen?
Es kann helfen, das Hier und Jetzt positiv zu sehen, sich über das, was noch möglich ist, zu freuen. Wenn Menschen mit Demenz gerne erzählen, geht es um die Freude an der Begegnung – nicht darum, ob die einzelnen Geschichten wahr sind. Fixe Strategien sind auch nicht unbedingt zielführend.
„Einerseits sind die Situationen unterschiedlich, andererseits treffen in den Kursen erwachsene, lebenserfahrene und kompetente Menschen aufeinander und können sich austauschen.“
Oft kommen aus der Gruppe zu konkreten Fragen sehr lebensnahe Vorschläge. Wir unterstützen, wenn die Kursteilnehmer auch im Anschluss noch als Angehörigengruppe verbunden bleiben.
In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der TK erklärten sich 79 Prozent der Befragten bereit, einen Menschen mit Demenz mehrere Stunden pro Woche zu betreuen. Ihrer Erfahrung nach – wissen die Menschen, was da auf sie zukommt?
Viele wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Die Entscheidung fällt aus Sorge – sie sollte aber gut überlegt sein. Alzheimer kann einen Betroffenen bis zu zwanzig Jahre begleiten. Auch wirtschaftliche Aspekte spielen eine Rolle. Oft erklären sich – meiner Erfahrung nach – Frauen bereit zu pflegen und treten im Job zurück – vielleicht auch, weil sie zuvor „nur Zuverdienerin“ waren. Diese Situation kann zur Falle werden – sowohl sozial, wenn die schwierige Situation zu Hause isoliert, als auch wirtschaftlich, Stichwort Altersarmut.
In der Umfrage gaben zwei Drittel der Befragten an, keinerlei Kontakt zu Menschen mit Demenz zu haben. Macht Demenz einsam?
In gewisser Weise ähnelt Demenz einer erworbenen geistigen Behinderung – und in unserer Gesellschaft sind viele Menschen mit geistiger Behinderung gesellschaftlich isoliert. Teilweise schirmen sich betroffene Familien aber auch regelrecht ab – manchmal aus Scham. Hier hilft nur Aufklärung, mit dem Umfeld zu reden, die Dinge anzusprechen. Ein offenes Ohr der Gesellschaft ist das, was Angehörige von Menschen mit Demenz am dringendsten brauchen.
Fotos: WÖRHEIDE Konzepte
Reinhild Wörheide ist Diplom-Gerontologin und hat das interaktive, modulare Seminarprogramm „Begleitung im Andersland“ entwickelt.
Die Kurse für Angehörige von Menschen mit Demenz vermitteln Wissen über Krankheitsbild und pflegerische Interventionen. Im Fokus steht dabei der Ansatz, die Lebenswelt von Demenzbetroffenen begreifen zu lernen – ebenso wie der Austausch in der Gruppe, der lebensnahe Hilfe für die individuelle Situation ermöglicht.