Jessica Kneißler

Kindeswohlgefährdung? App hilft Ärzten

Ärzte in Sachsen können bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung seit Kurzem auf die App „Hans & Gretel“ zurückgreifen. Entwickelt wurde sie von einer Projektgruppe, der Vertreter der TK und der Sächsischen Landesärztekammer angehören. Wie es dazu kam und was die App kann.

4.208 – so viele Kinder wurden hierzulande laut Kriminalstatistik im Jahr 2017 Opfer von Gewalt. Die Dunkelziffer liegt vermutlich weit darüber. Oft fallen Anzeichen von Gewalt gegen Kinder erstmals beim Arztbesuch auf.

Doch wann ist eine Kindeswohlgefährdung – die nicht immer aus physischer, sondern auch psychischer Gewalt resultieren kann – gegeben? „Das zu entscheiden, ist oft schwierig“, erklärt Matthias Jakob von der TK in Sachsen. Der Arzt muss sich, unter Druck, viele Fragen stellen. Gibt es Ungereimtheiten bei der Unfallgeschichte? Verhalten sich Kind oder Erziehungsberechtigte auffällig? Wenn ja, wie gehe ich weiter vor?

„Ärzte erkennen nicht alle Fälle“

„Es gibt einen Ordner mit entsprechenden Unterlagen, den theoretisch jede Arztpraxis hat. Der ist natürlich selten in ständigem Gebrauch und vielleicht auch nicht immer griffbereit“, erklärt Jakob.

Prof. Guido Fitze, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Dresden, sieht das ähnlich. „Ärzte erkennen nicht alle Fälle von Kindeswohlmissbrauch. Auch bestehen Unsicherheiten im Umgang. Den dicken Leitfaden auf Papier kennen nicht mal drei von vier Ärzten“, führt er im Rahmen der App-Vorstellung Ende September in Dresden aus.

Verbesserung der Prävention: „Print nicht mehr zeitgemäß“

Jakob und Fitze gehören der Projektgruppe an, die in Kooperation mit der Sächsischen Landesärztekammer und der TK mit dem Projekt „Verstetigung des medizinischen Kinderschutzes in Sachsen“ eigentlich zum Ziel hatte, den Leitfaden „Gewalt gegen Kinder” als Broschüre zu überarbeiten.

Aber: „Print ist einfach nicht mehr zeitgemäß“, sagt Jakob, da sei man sich schnell einig gewesen. So entstand die Idee zur App: Das Programm löst den Papierleitfaden ab, hilft mit Symptom-Beschreibung und Bildmaterial dabei, Gewaltfälle zu erkennen und unterstützt die Dokumentation und den Kontakt zu Meldestellen.

„Vor allem die Verfügbarkeit der App zu jeder Zeit an jedem Ort ist für mich im ärztlichen Alltag ein wesentlicher Vorteil gegenüber Broschüren und Formularen“, so Fitze.

Wie die App zu ihrem Namen kam

Warum eigentlich heißt die App „Hans & Gretel“? „Zum einen steht das Grimm’sche Märchen in der Gerichtsmedizin für alle möglichen Formen der Gewalt gegen Kinder“, führt Matthias Jakob aus. Und aus „Hänsel“ wurde „Hans“, da perspektivisch App-Erweiterungen für Gewaltopfer im Erwachsenen- und Pflegebereich geplant sind.

Außerdem gab es noch ein Argument für die Namensgebung: „Wenn man als Arzt diese App im Patientengespräch öffnet und ein Elternteil gegenüber sitzt, steht dort nicht gleich „Achtung Kindeswohlgefährdung!“, es kommt also nicht sofort zu Misstrauen, wenn man sich als Arzt erst einmal informieren möchte.“

Viel Ehrgeiz für „persönlich sinnstiftendes Projekt“

Für Matthias Jakob, selbst Vater von drei Kindern, war die Arbeit im Projekt und die konkrete Auseinandersetzung mit Vergleichsfällen manchmal schwer zu ertragen, wie er sagt. „Gleichzeitig bin ich dankbar, an einer so sinnstiftenden Arbeit beteiligt gewesen zu sein.“ Seit 2015 wurde am Projekt getüftelt. Ein wichtiger Punkt dabei: „Es soll nicht auf’s Geratewohl ein Verdacht ausgesprochen werden. Wir wollen aber sehr wohl für das Thema sensibilisieren und den Ärzten den Prozess erleichtern.“

„Hans & Gretel“ ist kostenfrei und über den Browser im Web und als mobile App erhältlich.


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