Johanna Küther

Beratung bei Cybermobbing: „Krisen lassen sich nicht planen“

Bei krisenchat werden Betroffene von Cybermobbing, aber auch zu anderen psychischen Belastungen, niedrigschwellig beraten. Seit März 2021 ist Hendrikje Schmidt, Psychotherapeutin in Ausbildung, im psychologischen Leitungsteam tätig und dort unter anderem für die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden in der Krisenberatung verantwortlich.

Frau Schmidt, einmal vorne angefangen, was ist der ‚krisenchat‘?

krisenchat ist eine psychosoziale Onlineberatung für Kinder und Jugendliche bis 24 Jahren, die bei jeder Art von Krise Unterstützung anbietet. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, niedrigschwellig erreichbar zu sein. Das heißt in unserem Fall: Wir sind dort, wo die Betroffenen sich aufhalten, nämlich per Chat über WhatsApp erreichbar. Und zwar 24/7, denn Krisen kündigen sich eben nicht an, die lassen sich nicht planen.

 

Seit März 2021 arbeitet Hendrikje Schmidt für krisenchat, erst in der Beratung, später im psychologischen Leitungsteam.

Wie funktioniert die Beratung der Betroffenen?

Wir arbeiten entlang Leitfäden für die einzelnen Beratungsthemen, bei denen wir uns auf wissenschaftliche Erkenntnisse und fachliche Expertise beziehen. Wir schreiben also nicht einfach in den Chat, was uns gerade in den Sinn kommt, sondern handeln nach definierten Prozessen. Dabei ist der Kontakt mit den Betroffenen ganz unterschiedlich, einige melden sich einmal im Jahr, andere wöchentlich. Eine Beratung ist dabei immer ein in sich geschlossenes Gespräch, in dem eine Beziehung aufgebaut wird und die Beratung abschließend auch offiziell beendet wird. Meist dauern die Beratungen 40 bis 90 Minuten. Generell verstehen wir uns als Kurzzeitintervention und vermitteln weiter – in das persönliche Umfeld, aber auch in die Versorgungslandschaft. Denn uns ist klar, dass wir uns mit dem Chat-Angebot genau dort verorten, wo Probleme wie Cybermobbing entstehen, nämlich im Internet. Die Betroffenen wieder dazu zu animieren, sich außerhalb dieses Raumes zu bewegen, das ist uns ein Anliegen.

Ein Handlungsfeld ist Cybermobbing, was macht das mit den Betroffenen?

Genau, wir clustern Anfragen nach Themengebieten, der Bereich Mobbing macht dabei vier bis fünf Prozent aus. Diese Art der Rufschädigung ist ein Phänomen, das für junge Menschen in der Entwicklung besonders schlimm ist. Wir erleben vielfach eine große Hilflosigkeit und Ohnmacht der Betroffenen. Viele beschreiben Gefühle wie Ausweglosigkeit oder Scham. Wenn Kinder und Jugendliche beginnen zu glauben, was über sie erzählt wird oder, dass sie Schuld daran haben, ziehen sie sich zurück und gehen beispielsweise ihren Hobbies nicht mehr nach. Einsamkeit und Selbstwertverlust sind häufig die Folge. Über einen längeren Zeitraum hinweg, kann das zu Depressionen oder suizidalen Gedanken führen. Und das Schlimme am Cybermobbing ist, dass es eben keinen Raum mehr gibt, in dem Mobbing nicht stattfindet. Das Problem ist allgegenwärtig.

Diese Art der Rufschädigung ist ein Phänomen, das für junge Menschen in der Entwicklung besonders schlimm ist.

Wie unterstützen Sie Betroffene?

Zuallererst fragen wir, ob es im Umfeld Personen gibt, denen die Betroffenen sich anvertrauen können. Es ist wichtig, Erwachsene mit in die Verantwortung zu nehmen. Das können Eltern oder Lehrkräfte sein. Wir versuchen also möglichst schnell ins persönliche oder professionelle Umfeld zu vermitteln, auch, weil der persönliche Kontakt nicht durch einen Chat zu ersetzen ist. Wir klären aber auch darüber auf, welche Rechte im Internet gelten, beispielsweise, wenn es um die Verbreitung von Bildern geht. Oder, welche Angebote es von Jugendämtern oder anderen Beratungsstellen gibt, die Jugendliche mit oder ohne Eltern aufsuchen können. Außerdem führen wir gemeinsam mit den Betroffenen konkrete Übungen durch. Das kann ein Glücksglas sein, in dem positive Erlebnisse gesammelt werden. Oder wir überlegen gemeinsam, „welche Stärken würden dir Freundinnen und Freunde zuschreiben?“. Je nach Situation der Jugendlichen nutzen wir solche Übungen aus dem therapeutischen Rahmen, die den Selbstwert stärken oder die Perspektive ändern können.

Wie blicken Sie bei krisenchat in die Zukunft?

Wir sehen, dass wir mit unserem Angebot genau ins Schwarze getroffen haben. Uns erreichen immer mehr Anfragen und viele wenden sich nach einem Erstkontakt wieder an uns. Und das ist nicht nur ein Coronaphänomen. Der Bedarf ist also eindeutig da und wir kommen zunehmend an unsere Kapazitätsgrenzen. So haben wir im Moment zwischen 3.000 und 4.000 Beratungen pro Monat. Damit mentale Gesundheit und psychische Belastungen langfristig weniger stigmatisiert werden, bildet neben der Beratung auch der psychoedukative Content einen wichtigen Teil unserer Arbeit. Das bedeutet, dass wir auf Plattformen wie TikTok oder YouTube nicht nur über unser Angebot, sondern auch über psychische Gesundheit informieren. Damit wollen wir zum einen gesellschaftlich aufklären, zum anderen die Hemmschwelle für junge Menschen in Krisensituationen herabsetzen, über ihre Situation zu sprechen. Als größte Online-Beratungsplattform im deutschsprachigen Raum fühlen wir eine große Verantwortung hier etwas zu bewegen.

Weitere Informationen

Seit Mai 2020 bietet krisenchat Unterstützung für Kinder und Jugendliche in Krisen. Rund 300 professionelle ehrenamtliche Beraterinnen und Berater, die zum Beispiel einen psychotherapeutischen oder sozialpädagogischen Hintergrund haben, sowie rund 80 weitere Mitarbeitende in Bereichen wie Technik oder Marketing arbeiten bei krisenchat. So konnten mittlerweile über 80.000 Beratungen durchgeführt werden. Mittlerweile gibt es auch ein ukrainisch-sprachiges Angebot für Geflüchtete.



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