Der Beat wird lauter, gelbe und pinke Scheinwerfer schwirren durch den Raum, die Halle ist so voll, dass sich draußen eine Schlange gebildet hat – hier hat wenig die Anmutung von vergilbten Papierakten, dem so oft zitierten Sinnbild für das verstaubte deutsche Gesundheitswesen. Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach betritt die DMEA-Bühne und freut sich sichtlich, vor einem Publikum zu stehen, dass „an vielen Aspekten der Digitalisierungsstrategie aktiv mitgearbeitet hat“.
Ist das jetzt Hype oder Revolution?
Um ChatGPT, genauer gesagt generative KI, konnte man zuletzt nicht herumkommen. Klar, dass auch in der Messe Berlin die Large Language Models und ihre Einsatzmöglichkeiten in aller Munde waren, ist die DMEA doch so etwas wie das Innovationsbarometer der deutschen Gesundheitsbranche. So erklärte Lauterbach gleich zu Beginn, dass die Digitalisierungsstrategie vor dem Hintergrund dieser Entwicklung angepasst werden müsse. Auch für Dr. Susanne Ozegowksi, Abteilungsleiterin Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium, war es „vollkommen klar, dass es beispielsweise in der Dokumentation großes Potenzial für die Sprachmodelle gibt. Im Kontext der ePA könnten wir endlich unstrukturierten Text in strukturierten Text umwandeln“.
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Digitalisierungsguru Prof. David Matusiewicz spannte den Bogen noch etwas weiter. KI im Gesundheitswesen sei nicht neu, die Exponentialität der Technologie aber immer dort gegeben, wo man innovative Aspekte kombiniere: Ein Pflegeroboter, der dank ChatGPT menschlichen Kontakt imitieren kann, also die Verknüpfung von Robotics und KI – das sei ein Beispiel künftiger Anwendungsbereiche im Gesundheitswesen. Von einem Gamechanger sprach er im Bereich der Kundenkommunikation und der sprechenden Medizin, wo Ressourcen zunehmend knapp würden. Noch weiter in die Zukunft geblickt, sieht er die Entwicklung von künstlicher Empathie: „Empathie lässt sich lernen, also können wir auch Maschinen darauf trainieren.“
Digitale Anwendungen – die Nutzenden im Fokus
So spannend der Blick in die gar nicht so ferne Zukunft ist, nicht überall im Gesundheitssystem lässt sich momentan Aufbruchsstimmung verspüren. Massive Kritik einiger Länder an der Krankenhausreform, Meinungen zu Projekten wie E-Rezept und eAU sind mindestens divers, kurzum die Stimmung in Sachen (digitaler) Transformation könnte besser sein. Doch bei der DMEA wird traditionell nicht schwarzgemalt. Ob Karl Lauterbach, Susanne Ozegowski oder SPD-Bundestagsabgeordneter Matthias Mieves, wo man sich umhörte, die elektronische Patientenakte ist das Kernstück des digitalen Gesundheitssystems und der Paradigmenwechsel zur Opt-out-Lösung ein großer Schritt. In einer Runde mit ehealth-Sprecher Mieves, dem stellvertretenden TK-Vorstand Thomas Ballast, IT-Berater Harald Flex und Norbert Butz von der Bundesärztekammer war man sich aber auch einig, dass sich die Erwartungen nur dann erfüllen werden, wenn ein Mehrwert für Nutzende zu spüren sei – und diese die ePA dann intrinsisch motiviert und ganz selbstverständlich wie das Smartphone nutzen würden.
Wie weiter?
Mit dem Opt-out kommt auch die Widerspruchslösung. Dass in den lauten Hallen der DMEA kaum jemand mit ausgeprägter Datenskepsis unterwegs war, versteht sich von selbst und so sagte Matthias Mieves abschließend, seine größte Sorge sei, „dass wir den Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht werden“, die schon viel weiter wären als die Politik. Selbst wo das nicht der Fall ist, Fachkräfte- und Personalmangel, wie auch von David Matusiewicz angesprochen, erhöhen den Druck auf die Agierenden. Dem stimmte auch Thomas Ballast zu: „Die Demografie wird uns in die Hände spielen, das schreit nach digitalen, datenbasierten technischen Lösungen.“ Wie diese konkret aussehen können, das lässt sich bislang nur erahnen. Im ehealth-Hotseat sagte Susanne Ozegowski, sowohl Digitalisierungs- als auch Gesundheitsdatennutzungsgesetz lägen in den letzten Zügen und würden „in Kürze“ veröffentlicht. Auch wenn viele gehofft hatten, schon in diesem Jahr über Details diskutieren zu können, auf der nächsten DMEA werden wir sicherlich auf sie zurückblicken und erste Auswirkungen diskutieren können. Inwieweit das von David Matusiewicz beschriebene Potenzial generativer KI bis dahin gehoben wurde – we’ll see.