Johanna Küther

Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel: „Mit mutigen Schritten voran!“

Bundesernährungsminister Cem Özdemir will ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel gesetzlich verankern. Ihm springt eine breite Allianz unter anderem aus medizinischen Fachgesellschaften, Verbraucher- und Bildungsorganisationen bei. Marketingexperte Dr. Tobias Effertz von der Universität Hamburg ordnet den Gesetzentwurf ein.

Wie wirkt Lebensmittelwerbung auf uns?

Werbung beeinflusst nachweislich unser Verhalten. Das gibt mittlerweile übrigens auch die Lebensmittelindustrie zu. Es kommt zu spontanen Käufen, Vorlieben für die beworbenen ungesunden Lebensmittel mit zu viel Salz, Fett und Zucker entwickeln sich. Dabei sind Kinder im Vergleich zu Erwachsenen weniger kritisch und reagieren deutlich emotionaler und impulsiver auf Werbung. Gleichzeitig verschlechtert sich das Ernährungswissen. Werbetreibende setzen gezielt Taktiken ein, die ungesunde Lebensmittel mit Spaß und Freude in Verbindung bringen. Oftmals ist die ganze Familie zu sehen, so umgeht man zum einen den Vorwurf, an den Eltern vorbei gezielt Kinder anzusprechen. Zum anderen wird Kindern suggeriert, dass es sich um Produkte handelt, die harmlos und ganz selbstverständlich Teil einer heilen Familie sind.

Dr. Tobias Effertz forscht und lehrt an der Universität Hamburg.

Warum braucht es aus Ihrer Sicht ein Werbeverbot?

In erster Linie kann ein Werbeverbot Impulskäufe verringern. Darüber hinaus werden im Kindesalter aber auch Langfristpräferenzen angelegt und es gilt, diese hin zu einer gesunden Ernährung zu entwickeln. Das geht nicht mit der jetzigen Ansprache der Lebensmittelindustrie. Wir leben in einem adipogenen Umfeld, also einem Umfeld, das die Entwicklung von Übergewicht befördert. Dazu gehören eine Vielzahl an Faktoren, wie Lebensmittelpreise, die Bedingungen, unter denen Lebensmittel produziert und gestaltet werden, die Möglichkeiten an jeder Ecke zu snacken, aber eben auch das Marketing für Lebensmittel. Diese Umwelt gilt es umzugestalten. Durch Erkrankungen wie Adipositas entstehen sehr hohe Gesundheitskosten, 2015 waren es bereits 60 Milliarden Euro. Durch gestiegene Arzneimittel- und Behandlungskosten sind das sicherlich heute weit mehr. Es braucht nur wenige Kilojoule pro Tag zu viel, um langfristig Übergewicht hervorzurufen. Die sind mit hoch kalorischen und stark verarbeiteten Lebensmitteln, etwa einem Schokoriegel oder einer Tüte Chips, wie sie oftmals beworben werden, schnell erreicht. Aktuelle Studien zeigen außerdem, dass beim Konsum von stark verarbeiteten Lebensmitteln deutlich mehr verzehrt wird, als bei nicht verarbeiteten, selbst zubereiteten Speisen, auch wenn die gleiche Kalorienzahl auf dem Teller liegt. Diese stark verarbeiteten Lebensmittel werden überzufällig häufig an Kinder vermarktet.

Worauf kommt es bei der Umsetzung eines Werbeverbots an?

Der Fokus sollte auf TV und Internet inklusive dem Influencer-Marketing liegen – hier müssen wir hart bleiben. Wichtig sind die Einschränkungen im TV, zu Zeiten, in denen Kinder besonders häufig fernsehen. Da schreit die Industrie – es ist aber weder ein Verbot gesunde Lebensmittel zu bewerben noch ein Essverbot! Die Praxis zeigt auch: Ein Werbeverbot ist kein Komplettverbot, aber es reduziert die Masse, und darum geht es. Für die Industrie kann und sollte es gleichzeitig ein Anreiz sein, gesündere Produkte zu entwickeln. Auch um Werbeausfälle muss man sich nicht sorgen. Das belegen Zahlen aus Großbritannien, wo wegfallende Lebensmittelwerbung komplett durch Werbung für andere Produkte kompensiert wurde. Problematisch sehe ich hingegen, dass der Entwurf sich nur auf unter 14-Jährige fokussiert. Denn auch bei Jugendlichen sehen wir verschiedene Ernährungsprobleme. Stressige Phasen der Pubertät oder Berufswahl spielen eine große Rolle bei der Gewichtszunahme. Ich verstehe aber auch, dass man sich im Gesetzentwurf auf die Kinder fokussiert, denn je früher man die Probleme adressiert und die Grundlagen für eine gesunde Ernährung legt, desto besser.

 

Bei der Alkopop-Steuer 2004 ist durch Kompromisse ein Stück der Wirksamkeit verloren gegangen und das darf hier wirklich nicht passieren. Die Zeit haben wir nicht mehr! Das Adipositas- und Ernährungsproblem von Kindern in Deutschland muss nachhaltig gelöst werden auch vor dem Hintergrund ständig steigender Kosten im deutschen Gesundheitssystem – dafür müssen wir mit mutigen Schritten voran gehen.

Wie machen es andere Länder?

Ich schaue mit einer gewissen Bewunderung in die lateinamerikanischen Länder. In Chile gibt es zum Beispiel ein komplettes Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel. Natürlich gibt es auch dort gesetzliche Unschärfen, sodass man insgesamt auf 60 Prozent weniger Werbung kommt. Außerdem gibt es auf den Lebensmittelverpackungen Warnhinweise – kein farbenfroher Nutriscore, sondern ein schwarzer Warnhinweis ähnlich einem Stoppschild, der bei Cornflakes etwa auf einen hohen Zuckergehalt hinweist. In Europa hat Großbritannien seit einigen Jahren eine Zeitslotregelung für Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet. In beiden Fällen hat sich die Zeit, die Kinder solchen Werbespots ausgesetzt waren, drastisch verringert. Außerdem konnten Auswirkungen auf das Kaufverhalten beobachtet werden, die nicht mehr oder eingeschränkt beworbenen Lebensmittel werden weniger nachgefragt und konsumiert.

Worauf kommt es aus Ihrer Sicht jetzt an?

Der Entwurf darf nicht stärker abgeschwächt werden. Es gibt wenig Themen, bei denen die Gesellschaft sich so einig ist: Kinder sollten den Werbeeinflüssen der Lebensmittelindustrie nicht ausgesetzt sein! In einer Befragung befürworteten zwei Drittel der Befragten über alle Parteien hinweg solche Werbeeinschränkungen. Bei der Alkopop-Steuer 2004 ist durch Kompromisse ein Stück der Wirksamkeit verloren gegangen und das darf hier wirklich nicht passieren. Die Zeit haben wir nicht mehr! Das Adipositas- und Ernährungsproblem von Kindern in Deutschland muss nachhaltig gelöst werden auch vor dem Hintergrund ständig steigender Kosten im deutschen Gesundheitssystem – dafür müssen wir mit mutigen Schritten voran gehen.



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