Johanna Küther

Kriege, Klimawandel, KI – „who cares?“

Das fragt 2024 die re:publica, die Digitalkonferenz zu Netzkultur und -politik. Wen kümmert’s oder auch wer kümmert sich? Es stellt sich heraus: Ganz schön Viele, ein neuer Besucherrekord. Ebenfalls neu: In diesem Jahr stehen mal wieder Gesundheitsthemen auf der Agenda – die Zukunft der Pflege, Datennutzung oder der Einsatz von KI.

„I care“ steht auf den Shirts der Freiwilligen, die bei der diesjährigen re:publica unterwegs sind. In den Hallen der STATION in Berlin spürt man ein deutliches Bewusstsein für die Probleme unserer Zeit und wenn es dafür noch einen Beweis gebraucht hat, dann war es zum Beispiel das enorme Interesse am Vortrag von Jean Peters, der über die CORRECTIV-Recherchen zum Geheimplan gegen Deutschland berichtete. Aber auch Optimismus und allem voran eine große Portion Neugier und Diskussionsfreude begleiteten durch die Konferenz.

Maja-Lee Voigt zeigt auf der re:publica 24 Einblicke in ihre Arbeit.

Die Marktmacht privater Player

Die Welt des Onlineriesen Amazon hätte in keinem größeren Kontrast zu den geschichtsträchtigen Gefährten im Lokschuppen des Deutschen Technikmuseums stehen können. Doch der Einblick von Stadtforscherin Maja-Lee Voigt klang nur im ersten Moment nach e-Commerce: 30 Prozent des Internets basieren auf Amazon-Services, mittlerweile kann man Häuser auf der Plattform kaufen, Waren werden im ländlichen Kanada zuverlässiger vom Anbieter zugestellt als von der nationalen Post und wer verwaltet wohl die Cloud-Services des US-Militärs? Richtig: Amazon – kurzum: Der Konzern besetzt mittlerweile große Teile öffentlicher Infrastruktur. Und während wir bei Tesla, Google und Cisco aufschreien, lassen wir Amazon freie Hand, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Leuphana Universität Lüneburg. Ein Thema, was auch die TK umtreibt, denn gerade im Bereich Gesundheit sehen wir das Angebot von Dienstleistungen und die Nutzung besonders sensibler Gesundheitsdaten von Akteuren mit privatem Gewinninteresse kritisch.

Wen kümmert’s? Nun, zum Beispiel Menschen, die gegen den neuen Amazon-Tower in Berlin demonstrieren, weil sie befürchten, dass der Konzern dort nach amerikanischem Vorbild (wie in Arlington, Virginia) Metrostationen und Fußgängerbrücken baut, öffentliche Parks betreibt und sich der Staat in eine Co-Abhängigkeit begibt.

"Du wärst mit einem Auto in fünf Minuten raus aus der Atmosphäre!", so Eckart von Hirschhausen bei der re:publica 24.

Neues Narrativ für den Klimawandel

„Seid ihr schon mal nachts mit voller Blase aufgewacht?“ Jeder weiß, was zu tun ist, jeder weiß, dass es nicht von alleine weggehen wird und alle machen die Augen wieder zu und drehen sich noch mal um. Eine Analogie zum Klimawandel, die Eckart von Hirschhausen in seiner Keynote nutzte.

Wen kümmert’s? Leider immer noch zu wenige. Der Arzt und Gründer der Stiftung Gesunde Erde Gesunde Menschen forderte ein neues Narrativ für den Klimawandel und kritisierte die Anzahl (nicht mal ein Prozent der Sendezeit) und Wortwahl („Wüsten sind die Gewinner des Klimawandels“) der Berichterstattung als auch die Bebilderung (große Wellen, dürre Flächen), in denen Menschen selten vorkommen. „Kein Wunder, dass wir nicht ins Handeln kommen. Ich spreche mittlerweile von Lebensgrundlage, nicht mehr von Klimawandel. Gesundheit beginnt nicht mit der Tablette am Morgen, sondern mit der Luft, die wir atmen, mit der Nahrung, die wir essen.“ Dieses Framing wurde unter anderem auch von More-in-Common-Geschäftsführerin Laura-Kristin Krause im darauffolgenden Panel gefordert. Schließlich sei Gesundheit immer eine der Top-Prioritäten der Menschen bei den Befragungen ihrer Organisation, die sich forschend und beratend auf das besinnt, was uns eint, anstatt auf das, was uns spaltet.

Gesundheitswissenschaftler Eckhard Nagel, Journalistin Cosima Schmitt, Intensivpflegerin Anja König und SPD-Co-Chefin Saskia Esken diskutieren über den Einsatz von KI in der Pflege.

Wie steht es um das Image der Pflege?

Ein neues Narrativ braucht aber nicht nur der Klimawandel, sondern auch die Pflege. Wir werden alle immer älter und so werden nicht nur immer mehr Menschen pflegebedürftig, gleichzeitig geht medizinisches Personal in Rente und weniger Berufstätige kommen nach.

Wer kümmert sich? Menschen wie Anja König, Intensivpflegerin aus Jena, die begeistert von ihrem Job berichtet: „Pflege wird immer mit etwas Negativem verknüpft, aber wir verdienen mehr als zuvor, man kommt nach Hause und hat etwas Gutes getan. Wir brauchen eine andere Darstellung“. Es gäbe ein großes Bekenntnis von jungen Menschen zum Beruf und mehr Auszubildende als zuvor, aber man würde sie auf dem Weg verlieren. Denn was fehlt? Zeit, für die Beziehung zum Menschen. Kann Künstliche Intelligenz (KI) Allheilsbringer sein? Wohl kaum, aber sie kann unterstützen. Bei der Essensbelieferung, Reinigung, Dokumentation oder Dienstplanung geht das schon heute, auch bei der individuellen Medikation oder dem Einsatz intelligenter Sturzsysteme. Auch bei der Körperpflege? Nein, war die einhellige Meinung mehrerer Gesprächsrunden, die Intimsphäre sollte in der Hand von Menschen bleiben. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach war sich sicher: „Niemand will eine Roboterpflege!“.

Blauer Himmel und Sonnenschein bei der re:publica 24. Ein Blick in die Zukunft?

Keine Angst vor der Zukunft

Wer sich angesichts aufgezeigter Krisen – und davon standen noch wesentlich mehr auf der Tagesordnung, von Populismus über Kriege zu diskriminierenden Algorithmen und, und, und – wieder im Bett umdrehen wollte, dem machte Florence Gaub Mut. Die Militärstrategin und Forschungsdirektorin des NATO Defense Colleges: „Wir denken oft, unsere kleine Zukunft hat mit der großen Zukunft nichts zu tun. Nein!“ Sie plädierte dafür, die Zukunft als Möglichkeitsraum zu denken, sie passiert uns nicht, sondern wir können sie beeinflussen. Und optimistisch stimmten in der Tat die vielen engagierten Menschen, die neben Problemen auch immer Auswege, Ideen und Kreativität zeigten.

Mehr Informationen

Auf dem Youtube-Kanal der re:publica können Sie viele Videos der diesjährigen Panels sehen.

Die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit stehen auch bei unserem Forum Versorgung am 6. Juni 2024 auf der Agenda. Hier finden Sie alle Informationen zur Veranstaltung.



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Foto: Phil Dera Jannik Maczey Jannik Maczey
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