Dr. Jens Baas

„Datenschutz darf nicht über die Gesundheit der Menschen gestellt werden“

Die EU will mit viel Bürokratie die Skepsis gegenüber künstlicher Intelligenz einfangen. Das ist der falsche Weg, schreibt Jens Baas im Handelsblatt.

Der Textgenerator ChatGPT hat künstliche Intelligenz (KI) über Nacht für Millionen von Menschen greifbar gemacht und der breiten Masse ein Gefühl gegeben, wozu KI in der Lage sein kann. Doch nach dem anfänglichen Hype um ChatGPT ist nun bei den Unternehmen, die sich schneller mehr Effizienz durch KI erhofft hatten, Ernüchterung eingetreten. Das zeigte sich im Frühjahr in einem KI-Kursrutsch an der Börse besonders deutlich. Daraus einen Abgesang abzuleiten, halte ich für falsch. Doch macht dieser „Dämpfer“ deutlich, dass Fortschritte durch KI nicht über Nacht kommen. Wir sollten einen realistischen Blick für das Potenzial von KI entwickeln.

Es fehlt die Gelassenheit im Umgang mit KI in den Governance-Prozessen

Wohin die Reise gehen kann, zeigen die Visionen der großen Tech-Unternehmen: Apple hat gerade neue KI-Funktionen vorgestellt, die ermöglichen, dass Smartphones zu persönlichen Assistenten werden, indem sie zeitfressende Routineaufgaben übernehmen. Das lässt User hoffen, stellt aber Unternehmen, auch Krankenkassen, vor große Aufgaben: Sie müssen ihre Prozesse bereits jetzt so gestalten, dass sie ins KI-Zeitalter passen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wird es entscheidend sein, Schnittstellen der eigenen Services mit KI-Agenten großer Softwarefirmen anzubieten.

Im Feedback unserer Versicherten sehe ich das Bedürfnis nach Unterstützung und Vereinfachung im Alltag. Die engsten Berührungspunkte mit Krankenkassen fallen leider oft in Lebensphasen, in denen Menschen wenig Energie für Formalien haben. Hier gibt es große Chancen, Prozesse zu automatisieren und ihnen so Bürokratie abzunehmen. Versicherte wünschen sich eine persönliche Ansprechperson, die 24 Stunden erreichbar ist, alle Fakten parat hat und ihre Anliegen sofort regeln kann. Dieser Anspruch lässt sich nur mit einer KI abbilden.

Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen

Künstliche Intelligenz (KI) begegnet uns in vielen Bereichen des Alltags. In fast jeder Software ist heutzutage KI integriert. Doch wie kann das Gesundheitssystem davon profitieren und wie setzt die TK bereits KI ein? Hier gibt es weitere Informationen.

 

Bevor wir uns jedoch mit zukünftigen Erleichterungen beschäftigen können, müssen wir in die Gegenwart schauen. Die umwälzenden, sichtbaren Innovationen durch KI sind auch deshalb noch nicht in unserem Alltag angekommen, weil Unternehmen derzeit noch mit großen Hürden konfrontiert sind. Es fehlt die Gelassenheit im Umgang mit KI in den Governance-Prozessen. Böse Zungen nennen es Überforderung. Das zeigt auch der neue AI-Act der Europäischen Union (EU), der schon an der Definition scheitert, was KI überhaupt ist. Mit kleinteiligen Dokumentationspflichten und einer Flut an Formalien für Unternehmen, die KI nutzen, soll die Skepsis gegenüber der Technologie eingefangen werden. Es wird verkannt, dass Digitalisierung und KI die Grundlage für unseren künftigen Wohlstand sein werden. Wir brauchen vor allem zwei Dinge:

In Deutschland muss sich die Datennutzung für Medizin, Forschung und Versorgung verbessern

Erstens: eine zeitgemäße Datennutzung. Es fehlt die richtige Balance zwischen Datenschutz und Datennutzung, vor allem im Gesundheitswesen. Prädiktion von Krankheiten, individuelle Prävention oder die frühzeitige Erkennung von Gesundheitsrisiken: Es gibt viele Möglichkeiten, wie die Auswertung großer Datenmengen mit KI helfen kann, die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Uns fehlen jedoch aktuell genau diese Informationen.
Es ist richtig, dass Gesundheitsdaten als äußerst sensibel eingestuft werden. Aber Datenschutz darf nicht über die Gesundheit der Menschen gestellt werden. Wir brauchen dringend eine innovationsfreundlichere Auslegung, die die Datennutzung in Deutschland für Medizin, Forschung und Versorgung verbessert.

Wir brauchen für KI pragmatischere Ansätze, die nicht von vornherein jedes Risiko ausschließen, sondern Chancen gegen Gefahren vernünftig abschätzen.

Zweitens: digitales Mindset. In der analogen Welt gilt ein Brief per se als datensicherer Übertragungsweg, obwohl nur eine dünne Papierschicht sensible Inhalte schützt. In der digitalen Welt wird dagegen oft ein hundertprozentiger technischer Schutz gefordert. Das ist kein Plädoyer gegen den Datenschutz, im Gegenteil! Aber wir brauchen eine vernünftige Abwägung zwischen Schutz, Nutzen und Nutzbarkeit. So wie in der analogen Welt auch: Niemand würde sensible Daten ohne Umschlag versenden. Aber der Schutz gegen das Öffnen des Umschlags ist nicht die Technik, sondern das Gesetz.

Sinnvoller Datenschutz und sinnvolle Datensicherheit sind eine Mischung aus technischem Schutz und gesetzlichen Regelungen. Es herrscht aktuell ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen an analoge und digitale Sicherheit. Kurzum: Wir brauchen pragmatischere Ansätze, die nicht das Ziel haben, von vornherein jedes denkbare Risiko auszuschließen, sondern eine stete Abschätzung der Chancen gegen die, natürlich vorhandenen, Gefahren. Denn KI wird kommen. Die Frage ist nur, welche Rolle Europa in dieser nächsten industriellen und gesellschaftlichen Revolution einnehmen wird.

Weitere Details

Dieser Text ist zuerst als Gastkommentar im Handelsblatt erschienen.



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