Ein Teil der Antwort ist simpel: Wir schauen gerne über den Tellerrand. Genauer gesagt die Kolleginnen und Kollegen aus der Strategischen Unternehmensentwicklung und da insbesondere Dr. Anke Seitz und Eva Hilus, die für strategische Umfeldanalysen verantwortlich sind. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen beleuchten sie regelmäßig, welche Unternehmen wie im Gesundheitsmarkt aktiv sind. Die beiden haben auch am neuen Buch „Wissensexplosion – KI & Co. für mehr Gesundheit“ mitgearbeitet.
Apple, Amazon, Google und Microsoft – das sind Technologieunternehmen, die man nicht unbedingt mit dem Gesundheitswesen in Verbindung bringt, oder?
Anke: Dabei drängen sie schon seit langer Zeit in den Gesundheitsmarkt. Ein Beispiel, das wir alle kennen: Die Smart Watches von Apple und Google, deren Funktionsumfang kontinuierlich erweitert wird und die sich zum Beispiel mit Temperatur- und Blutsauerstoffmessung oder EKG-Funktion hin zu Medizinprodukten entwickeln. Damit richten sie sich an klassische Endverbraucher. Generell sehen die Konzerne im Gesundheitsmarkt ein hohes Potenzial ihre Expertise in Bezug auf Daten, Technologien und Kundenzentrierung einzusetzen und bieten Produkte und Dienstleistungen an, die weit über Wearables hinaus gehen und erheblichen Einfluss auf den Markt haben.
Wie zum Beispiel?
Eva: Microsoft. Den weltweit größten Softwarehersteller hat man im Hinblick auf den Gesundheitsmarkt vielleicht weniger auf dem Schirm. Tatsächlich war der Konzern aber schon früh am Start, etwa mit der digitalen Patientenakte Health Vault und dem Microsoft Band – beide inzwischen eingestellt. Heute fokussiert sich das Unternehmen auf den B2B-Bereich und bietet Leistungserbringern und der Medizinforschung Software- und Infrastrukturlösungen mit Schwerpunkten in den Bereichen Kollaboration, Cloud Computing und KI.
Anke: Auch Amazon ist tief in den Markt eingestiegen, in dem es zum Beispiel eine Firma im Bereich Medikamentenhandel übernommen hat, einen Telemedizin-Anbieter betreibt oder die Klinikkette OneMedical aufkauft. Damit ist es faktisch in den Markt der Leistungserbringer vorgedrungen.
Warum sind die Unternehmen in diesem Bereich so aktiv?
Eva: In erster Linie sicherlich, weil der Gesundheitsmarkt ein großer und lukrativer Markt ist. Hinzu kommt, dass die Techies über enorme Kompetenzen und Ressourcen verfügen, etwa Daten zu erheben und in Lösungen zu überführen. Das wird gerade im deutschen Gesundheitswesen gebraucht, wo es an durchschlagenden technologischen Lösungen mangelt. Da sie sowohl finanziell als auch personell ganz anders aufgestellt sind als andere Unternehmen und Organisationen im System, schaffen sie es besser, Gesundheitsdaten nutzbar zu machen. Insofern können sie einen Mehrwert bieten.
Anke: Mit entsprechenden Produkten strömen sie in großer Geschwindigkeit in den Markt, getreu dem Motto „fail fast“. Das bezeichnet das Prinzip, dass nach schneller Innovation wenig erfolgversprechende Aktivitäten auch schnell wieder eingestampft werden. So zum Beispiel das Angebot Amazon Care, also das unternehmenseigene Gesundheitsprogramm.
Brauchen wir ebenfalls mehr „fail fast“ im Gesundheitswesen?
Eva: Prinzipiell kann man sich da schon einiges abschauen und Dinge, die nicht gut laufen, schneller über Bord zu werfen, täte dem deutschen Gesundheitswesen sicherlich gut. Jedoch muss man dabei bedenken, dass für die Techies oftmals ganz andere Spielregeln gelten. Gesundheitsdaten sind besonders sensibel und unterliegen in Deutschland richtigerweise hohem Schutz. Hinzu kommt die Komplexität des Systems. Deshalb ist das Prinzip wohl nicht eins zu eins übertragbar.
Anke: Und man darf eben auch nicht vergessen: Es handelt sich um gewinnorientierte Unternehmen.
Wie gehen wir mit diesem Spannungsfeld um?
Eva: Wir als TK sehen uns als Lotse und Navigator im System. Das Potenzial, was hier schlummert, können wir kaum ohne die Techies heben – auch weil sie im Leben der Menschen schon fest verankert sind. Für uns ist die Frage daher nicht ob, sondern wie.
Anke: Wichtig ist, dass die Techies keine Parallelstrukturen aufbauen oder eine zunehmende Internalisierung und Privatisierung medizinischen Wissens und der entsprechenden Angebote stattfindet. Diese Gefahr besteht. Unserer Ansicht nach braucht es deshalb einen gesellschaftlichen Diskurs, wie wir mit ihnen umgehen und kooperieren wollen – neben klaren politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen.
Wir als TK sehen uns als Lotse und Navigator im System. Das Potenzial, was hier schlummert, können wir kaum ohne die Techies heben – auch weil sie im Leben der Menschen schon fest verankert sind. Für uns ist die Frage daher nicht ob, sondern wie.
Eva Hilus
Was können wir von den Techies lernen?
Eva: Sie sind definitiv ganz vorne dabei, wenn es um die Kundenzentrierung geht. Mit ihren Produkten und Angeboten sind sie immer nah an den Bedürfnissen ihrer Zielgruppe. Das konnte man in der Vergangenheit nicht immer für alle digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen behaupten.