Die jährlichen Defizite in der GKV werden jedes Jahr größer. Nachdem die Reserven fast aufgebraucht sind, sind die Leidtragenden vor allem die Beitragszahlenden, die die Lücken mit höheren Beiträgen füllen müssen. Die Finanzentwicklung der GKV mit geradezu explodierenden Leistungsausgaben ist der Politik seit langem bekannt. Eigentlich wollte die Ampel-Regierung das Problem angehen – doch passiert ist nichts. Die neue Regierung muss die Frage einer nachhaltigen Stabilisierung der Finanzen dringend angehen. Die GKV braucht dafür eine kurzfristige Ausgabendämpfung. Dies ist ohne Leistungskürzungen möglich, wie die folgenden fünf Beispiele zeigen.
1. Hilfsmittel: Wieder Ausschreibungen ermöglichen
Den Ausgabenanstieg im Bereich Hilfsmittel verdeutlichen die folgenden Zahlen: Gab die GKV im Jahr 2018 noch 8,4 Milliarden Euro für Hilfsmittel aus, waren es 2022 10,4 Milliarden und 2023 bereits 11,2 Milliarden Euro. Enorme Auswirkungen auf die Ausgaben hat eine politische Entscheidung aus dem Jahr 2019. Seitdem dürfen die Krankenkassen Hilfsmittel nicht mehr ausschreiben, was die Preise für Hilfsmittel stark in die Höhe getrieben hat. Argumentiert wurde damals, das Ausschreibungsverbot sei notwendig, um Qualität zu gewährleisten. Dabei ist es sehr wohl möglich, Qualitätsparameter über entsprechende Vorgaben in den Ausschreibungen sicherzustellen. Ausschreibungen wieder zu ermöglichen, könnte die GKV jährlich um mindestens 350 Millionen Euro entlasten.
2. Heilmittel: Kopplung an die Grundlohnsumme
Vor 2017 stiegen die Löhne der Heilmittelerbringer im gleichen Maß wie Lohnsteigerungen in der Gesellschaft – durch die Bindung an die sogenannte Grundlohnsumme, in die alle beitragspflichtigen Einnahmen eines Jahres in der Krankenversicherung einfließen. Das stellte sicher, dass genügend Geld im Krankenversicherungssystem ist, um gute Lohnsteigerungen zu ermöglichen. Die Löhne festzulegen, ist letztlich Aufgabe von Praxisbetreibern der Heilmittelbranche. 2017 löste die Politik die Kopplung an die Grundlohnsumme, da das Lohnniveau in Heilmittelberufen unterdurchschnittlich war. Die Hoffnung: Mehr Geld im System soll die notwendigen Gehaltssteigerungen bei Leistungserbringern bewirken. Daher konnten bei den Verhandlungen zwischen GKV und Heilmittelverbänden erstmals Lohnabschlüsse oberhalb der Grundlohnsumme festgesetzt werden.
Hier zeigte sich, dass ein bloßes „mehr Geld“ nicht die Lösung ist: Während die Ausgaben für Heilmittel innerhalb der letzten acht Jahre steil gestiegen sind, wuchs das Lohnniveau der Leistungserbringer nicht im gleichen Maß mit. Das Geld kommt also oft nicht dort an, wo es hinsoll – hierfür müssen die Heilmittelverbände durchdachte Lösungen finden. Klar ist, dass eine so starke Ausgabensteigerung für Heilmittel (+3,5 Milliarden Euro seit 2017) ohne spürbare Verbesserungen der falsche Weg ist. Wäre die Kopplung an die Grundlohnsumme geblieben, hätte dies der GKV Mehrausgaben von fast 950 Millionen Euro pro Jahr einsparen können.
3. Arzneimittel: Kostenexplosion stoppen
Im Bereich Arzneimittel ist es mit Blick auf die vergangenen Jahre nicht übertrieben, von einer wahren Kostenexplosion zu sprechen. 2023 gab die GKV mehr als 50 Milliarden Euro für Medikamente aus und damit mehr als für ärztliche Behandlungen. 2019 waren es noch 41 Milliarden Euro, die Ausgaben haben sich in der Zeit seitdem um mehr als 20 Prozent erhöht. Der Grund: Für Medikamente, die neu auf den Markt kommen, rufen die Hersteller immer höhere Preise auf, teilweise im Millionenbereich. Diese Preise wird die GKV auf Dauer nicht mehr bezahlen können. Deshalb braucht es hier dringend langfristige, faire Finanzierungslösungen. Wichtig dabei: Das Solidarsystem ist nicht für die Standortförderung der Pharmaindustrie zuständig. Um die Arzneimittelausgaben kurzfristig einzudämmen, kann und muss die Politik kurzfristige Maßnahmen ergreifen. Eine Erhöhung des Herstellerabschlags für patentgeschützte Arzneimittel von 7 auf 12 Prozent würde die GKV um etwa zwei Milliarden Euro entlasten. Die Einführung von Fokuslisten, über die die Kassen die Möglichkeit erhalten, einzelne patentgeschützte Arzneimittel für die Versorgung ihrer Versicherten bevorzugt auszuwählen, wenn es vergleichbare Alternativen gibt, hat ein jährliches Potenzial von 150 Millionen Euro. Außerdem: Es gibt keinen Grund, warum der zwischen Herstellern und Kassen verhandelte Erstattungsbetrag erst ab dem siebten Monat nach Markteintritt gilt und nicht ab Markteintritt des Medikaments. Würde der verhandelte Betrag nach Markteintritt gelten, könnte dies die GKV um jährlich etwa 300 Millionen Euro entlasten.
4. Ambulante Versorgung: Schluss mit der Doppelfinanzierung
In der ambulanten Versorgung gibt es zwei Budgettöpfe: Der Großteil der Leistungen wird mit der Morbiditätsorientierten Gesamtvergütung (MGV) pauschal vergütet und unterliegt einer Mengensteuerung. Einige Leistungen, die der Gesetzgeber fördern will, etwa Vorsorgeuntersuchungen, folgen der Extrabudgetären Vergütung (EGV) und werden 1:1 unbegrenzt bezahlt. Diese höhere Vergütung soll Anreize setzen, diese Leistungen häufiger zu erbringen – so auch Leistungen aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). In der Hoffnung die Versorgung zu verbessern, wurden mit dem TSVG 2019 zum Beispiel Leistungen für neue Patientinnen und Patienten (die ‚Neupatientenregelung‘) oder Terminvermittlungen extrabudgetär vergütet und somit finanziell aufgewertet. Die klare Bilanz des Bundesrechnungshofs: Verbesserungen hat das Gesetz nicht bewirkt. Und dennoch gehen für die extrabudgetär vergüteten ‚TSVG-Leistungen‘ im Schnitt mehr als 500 Millionen Euro jährlich zulasten der GKV.
Die Versuche des Gesetzgebers, die Mehrkosten wieder einzufangen, entpuppten sich als teure Verschlimmbesserungen: So wurde die Neupatientenregelung 2023 zwar in die MGV zurückgeführt – was theoretisch 400 Millionen Euro eingespart hätte – doch die verbliebenen ‚Vermittlungsregeln‘ des TSVG wurden deutlich teurer. Außerdem bezahlt die GKV diese Leistungen doppelt: Die Vermittlungsregeln werden nämlich 1:1 mit der EGV bezahlt, sind aber weiterhin in der MGV eingepreist. Ein Ende der Doppelfinanzierung würde der GKV rund 225 Millionen Euro einsparen.
5. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA): Überhöhte Preise stoppen
Genauso wie für neue Arzneimittel gilt auch für DiGA zunächst eine freie Preisbildung: Im ersten Erstattungsjahr können die Anbieter die Preise für ihre Apps frei bestimmen. Erst danach müssen die Hersteller nachweisen, dass ihre Anwendung auch tatsächlich einen Nutzen hat. Daran scheitern jedoch immer mehr DiGA-Hersteller. Die Folge: Die Versichertengemeinschaft zahlt überhöhte Preise für DiGA ohne nachgewiesenen Nutzen. Gleichzeitig setzen die DiGA-Hersteller von Jahr zu Jahr höhere Einstiegspreise an. Während die Hersteller 2020 noch durchschnittlich 418 Euro als Einstiegspreis aufriefen, sind es 2023 bereits 628 Euro.
Auch diese Preisspirale muss gestoppt werden. Ein Weg dahin ist, dass sich die Preise im Erprobungsjahr an den bereits verhandelten DiGA-Preisen orientieren müssen, die liegen im Durchschnitt 50 Prozent unter den Ausgangspreisen und sind ein realistischer Preisanker, der zu einem angemessenen Preisniveau für DiGA führt. Das könnte die GKV um rund sieben Millionen Euro pro Jahr entlasten.
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