Denise Jacoby

Ambulante Palliativversorgung: ein Segen für Menschen mit schwerer Erkrankung

Die meisten Menschen möchten bis zum Lebensende in ihrer vertrauten Umgebung bleiben, medizinisch gut versorgt sein und möglichst schmerzfrei leben. Die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) macht dies möglich.

Dr. Thomas Nolte ist Palliativarzt und Vorsitzender des HospizPalliativNetzwerkes Wiesbaden. Er hat bereits Anfang der 90er-Jahre, als die Palliativmedizin in Deutschland noch keine etablierte Versorgungsform war, den Weg für eine Palliativversorgung in Hessen geebnet und auch bundesweit an der Einführung mitgewirkt. Wir haben mit ihm und Katrin Staab-Martini, der Geschäftsführerin des Zentrums für ambulante Palliativversorgung (ZAPV), gesprochen.

Herr Dr. Nolte, was hat Sie persönlich motiviert, sich für die Palliativmedizin zu engagieren?  

Dr. Thomas Nolte: In meinem Berufsleben als Arzt haben mich die Themen Sterben und Tod von Anfang an beschäftigt. Schon zu Beginn meiner Berufstätigkeit war ich als Notarzt tätig. In dieser Zeit habe ich mich häufig um Menschen mit schwersten, lebensbedrohlichen Verletzungen gekümmert. Auch während Einsätzen in Entwicklungshilfeprojekten in Afrika habe ich mich immer wieder im Grenzbereich zwischen Sterben und Tod bewegt. Nach meiner Rückkehr habe ich auch hier erhebliches Leid und Unterversorgung bei schwerstkranken Patientinnen und Patienten erlebt. So entstand der Wunsch, diesen Menschen auch strukturell durch neue Versorgungskonzepte zu helfen.

Wie ist aus diesem Wunsch die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) entstanden? 

Dr. Thomas Nolte ist Palliativarzt und Vorsitzender des HospizPalliativNetzwerkes Wiesbaden.

Dr. Thomas Nolte: Ein Glücksfall war, dass im Jahr 2000 die Integrierte Versorgung eingeführt wurde. Sie erlaubt Ärztinnen und Ärzten, kreative Ideen und Konzepte in die medizinische Versorgung einzubringen und zu erproben. Daraufhin entwickelte ich gemeinsam mit meiner ärztlichen Kollegin Dr. Mechthilde Burst ein innovatives palliatives Konzept zur Integrierten Versorgung. Als ich das Konzept 2005 im Bundesgesundheitsministerium vorgestellt habe, fand es großen Anklang. Damit hatte ich nicht gerechnet.  

Daraufhin war es übrigens die Techniker Krankenkasse (TK), die unser Palliativkonzept als Integriertes Versorgungsprojekt zunächst in Wiesbaden und Fulda probeweise eingeführt hat. Anfang 2006 konnten wir an beiden Standorten mit einer Palliativversorgung für TK-Versicherte starten. Ein multiprofessionelles Team hat schwerstkranke Menschen rund um die Uhr begleitet und betreut. Das war ein großer Erfolg, der bundesweit Aufmerksamkeit erregt hat. So konnten wir die Einführung einer strukturierten, flächendeckenden Palliativversorgung zügig vorantreiben. 

Seit 2007 haben alle GKV-Versicherten einen gesetzlichen Anspruch auf die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV). Viele Inhalte unseres ersten IGV-Vertrags mit der TK flossen in die hessischen Palliativverträge ein. Heute ist die SAPV eine Erfolgsgeschichte und ein Segen für die Betroffenen.

Gibt es heute eine flächendeckende Palliativversorgung? 

Katrin Staab-Martini: In Hessen haben wir aktuell mit insgesamt 29 SAPV-Teams eine sehr gute Versorgungsstruktur. Darunter sind auch drei Kinderpalliativ-Teams. Wir vom ZAPV, dem Wiesbadener SAPV-Team, versorgen über 1.600 Menschen jährlich in unserer palliativen Einrichtung. Neun von zehn Menschen können so zu Hause versterben, sofern dies ihr Wunsch ist. Je stabiler das soziale Umfeld zu Hause ist, desto eher gelingt die Versorgung zu Hause, auch in schwierigen Situationen. Auch bei alleinstehenden Personen versuchen wir ein versorgendes Netzwerk zu bilden, um die Menschen im eigenen Zuhause zu betreuen.  

Dr. Thomas Nolte: Bundesweit gibt es nur noch wenige Lücken in der SPAV. In Deutschland existieren zwar fast 500 SAPV-Teams, davon allein 56 in Berlin. In strukturschwachen Regionen ist es jedoch besonders herausfordernd, ein so personalintensives Angebot, zumal mit einer 24-Stunden-Ruf- und Einsatzbereitschaft, vorzuhalten wie es die SAPV-Versorgung vorsieht.  

Wie funktioniert die fachübergreifende Zusammenarbeit? 

Katrin Staab-Martini ist Geschäftsführerin des Zentrums für ambulante Palliativversorgung (ZAPV).

Katrin Staab-Martini: In der SAPV greifen idealerweise alle Rädchen ineinander: Das heißt die Patientinnen und Patienten werden von Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten, dem SAPV-Team unseres Zentrums und auch von Mitarbeitenden in Hospizen und Pflegeeinrichtungen begleitet. Und es ist immer wieder schön zu erleben, wie sich alle Professionen bei dieser besonderen Arbeit engagieren und auf Augenhöhe begegnen.  

Dr. Thomas Nolte: Wir wollen die bestmögliche Lebensqualität für unsere Patientinnen und Patienten erreichen. Das kann zum Beispiel bedeuten, auf die Fortsetzung belastender Therapien oder eine sinnlos gewordene Krankenhausbehandlung zu verzichten.  

Und was uns im Alltag sehr hilft: Alle beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus dem medizinischen und pflegerischen Bereich können während der Betreuung in unserer digitalen Dokumentation sämtliche Maßnahmen und Medikationen einsehen. Dieses System bietet allen Beteiligten ein hohes Maß an Sicherheit und erlaubt eine transparente Netzwerkzusammenarbeit. Deshalb benötigen wir insgesamt mehr digitale Prozesse im Gesundheitswesen.  

Weitere Details

Der Begriff palliativ beschreibt einen Ansatz in der Medizin, der darauf abzielt, die Lebensqualität von Menschen mit schweren, oft unheilbaren Krankheiten zu verbessern. Die SAPV ist eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Sie soll schwerkranken Menschen ein menschenwürdiges Lebensende in ihrer gewohnten Umgebung ermöglichen. Ein Schlüsselelement der SAPV-Versorgung ist, dass die spezialisierten Palliativteams den Menschen 24 Stunden rund um die Uhr zur Verfügung stehen. In Wiesbaden bietet das Zentrum für ambulante Palliativversorgung (ZAPV) Unterstützung bei der Suche nach Rat in schwierigen Krankheitssituationen. Das Zentrum ist Partner des SAPV-Teams des HospizPalliativNetzwerkes Wiesbaden und Umgebung. 



Lesen Sie hier weiter

Johanna Müller Johanna Müller
Jannik Maczey Jannik Maczey
Autorin Yasmin Neshatrooh Yasmin Neshatrooh

Kommentieren Sie diesen Artikel

Lädt. Bitte warten...

Der Kommentar konnte nicht gespeichert werden. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingaben.