Im Jahr 2013 erhielt Jürgen Schäfer den von der Techniker Krankenkasse und BILD am Sonntag ausgelobten Medizinerpreis „Pulsus Award”. BILD gab ihm anschließend den inoffiziellen Titel des „Medizinhelden”. Bekannter wurde Schäfer allerdings unter seinem Spitznamen als der „deutsche Dr. House”, wie ihn erstmals das „Deutsches Ärzteblatt“ bezeichnete. Studenten bringt er in seinem „Dr. House“-Seminar bei, um die Ecke zu denken. In seinem Buch Housemedizin, das sich nur für eingefleischte Dr. House Fans lohnt, bringt er außerdem Licht ins Dunkel der außergewöhnlichen Diagnosen seines Namensgebers – die oft gar nicht so frei erfunden sind.
Mit der TV-Rolle hat er aber eigentlich nur wenig gemeinsam. Er wirkt gelassen, empathisch und engagiert; nicht missmutig und knurrig wie sein scheinbarer Doppelgänger aus dem Fernsehen. Trotzdem wurde er international als „deutscher Dr. House“ berühmt, vor allem wegen seiner gleichnamigen „Dr. House“ Seminare, mit denen er Studenten seltene Krankheiten näher bringt und wofür er mit dem „Ars Legendi“, dem renommiertesten Lehrpreis für Medizinprofessoren, ausgezeichnet wurde.
Den ganzen Tag klingelt das Telefon
In der Klinik fängt Schäfer mit einem Team aus Spezialisten dort an, wo andere aufgegeben haben. Den ganzen Tag klingelt das Telefon und bergeweise Post erreicht das „Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen“ (ZusE), das er seit Dezember 2013 im Universitätsklinikum Marburg leitet. Da erreichen die Mediziner Hunderte Briefe, die alle etwa so beginnen: „Lieber Herr Prof. Schäfer, Sie sind meine letzte Hoffnung …”
Für ihn und sein Team ist die Flut der Anfragen nicht mehr zu bewältigen, so Schäfer. Hinter jedem Brief steckt ein Schicksal, das auf Hilfe hofft. Für Schäfer ist das ein Skandal – sein kleines Zentrum könne nicht alle Problemfälle aus ganz Deutschland lösen. In Deutschland müsse es viel mehr Anlaufstellen für Patienten mit unerkannten und seltenen Krankheiten geben – Zentren, die sowohl über das Personal als auch die Mittel zur Lösung scheinbar unlösbarer Probleme verfügen. Als Medizinheld möchte er sich aber nicht verstehen.
Am Boden geblieben
Jürgen Schäfer liefert keine „House“-Show, läuft nicht extrovertiert durch seine Klinik und sprengt nicht den Rahmen eines normalen Arztes. Erst die Medien haben ihn zum Wunderheiler gemacht. Spricht man mit Prof. Schäfer über seine Rolle als deutscher Dr. House, nimmt er sich bescheiden hinter seinem Team und den technischen Möglichkeiten seiner Klinik zurück. Gäbe man ihm und seinem Team nur genügend Zeit und Ressourcen, dann könnten sie sehr viele der Fälle lösen, denn technisch sei vieles machbar, sagt er.
Der Berufsalltag des Mediziners spielt sich dabei zwischen „rentablen” Eingriffen ab, die zum üblichen Teil eines Kardiologen gehören, und besonders aufwendigen Diagnosen, die zu erarbeiten sich heutzutage nur noch Universitätskliniken leisten können. „Ich habe das Glück, auf die Ressourcen eines großen Universitätsklinikums zurückgreifen zu können. Trotzdem muss die Klinik viele der Fälle, die wir diagnostizieren – bedingt durch eine unzureichende Vergütung im DRG System – aus eigener Tasche bezahlen.” Denn Nachdenken und kostenintensive Rasterfahndung im Labor ist im heutigen Gesundheitssystem nicht vorgesehen.
Mediziner, Wissenschaftler und Visionär
Ohne Prof. Schäfer wären wohl viele Patienten ohne Hoffnung, und jeder 20. Deutsche leidet im Laufe seines Lebens einmal an einer seltenen Krankheit. So zum Beispiel der 69-jährige Günther Pilz, bei dem das Team eine seltene Genstörung diagnostizierte, die ihn beinahe sein ganzes Leben mit wiederkehrenden Lähmungen des gesamten Körpers begleitete. Kein Arzt wusste bisher Rat. Schäfer möchte, dass an allen Universitätskliniken „Kümmerer-Stationen“ aufgebaut werden – Zentren, die immer dann zum Zuge kommen, wenn alle anderen bei den Patienten nicht mehr weiter wissen. Er sieht darin vor allem eine gesundheitspolitische Herausforderung.
Was Prof. Schäfer antreibt? Er will verzweifelten Menschen helfen. Er versteht sich als Mediziner und Wissenschaftler. Bei aller Bescheidenheit tut man sich aber schwer, ihn als normalen Arzt aus dem Gespräch zu entlassen. Hinter dem Mediziner steckt ein Mensch, der sich mit Grenzen und unlösbaren Problemen ungern zufriedengibt. Man darf ihn als Ausnahmemediziner bezeichnen – auch wenn er selbst das nicht so sieht. Die Drehbuchautoren des fiktiven Dr. House können sich aber von seinen Fällen sicher noch etwas abgucken.