Thomas Ballast

Digitale Versorgungsprodukte – eine Klasse für sich

Das Angebot an Apps, Tracking-Geräten und Online-Therapien wächst beinahe täglich – doch welche Regeln gelten für ihre Zulassung und Erstattung? Diese Unklarheit stellt nicht nur die Produktanbieter – oftmals Start-Ups – vor Probleme.

Auch die User sind häufig ratlos, welche Anwendung sicher und qualitativ hochwertig ist. Bisher gibt es keine einheitlichen Qualitätsstandards, die den Verbrauchern zu Nutzen oder Vertrauenswürdigkeit der digitalen Produkte Orientierung geben könnten. Worauf kommt es also an?

Bei Medikamenten ist es einfach: Ihre Zulassung unterliegt dem Arzneimittelrecht. Und auch für Verbandmaterial, Rollstühle oder Hörgeräte gelten strenge Vorschriften wie das Medizinproduktegesetz. Bei digitalen Gesundheitsangeboten dagegen gibt es für Anbieter bisher keine hinreichende Transparenz, was wann wie zugelassen werden muss.

Marktzugang digitaler Versorgungsangebote erfordert klare Regeln

Daher fordert die TK: Klare Regeln müssen her! Leider ist das einfacher gesagt als getan. Die Regeln des Medizinproduktegesetzes beispielsweise kann man nicht eins zu eins übernehmen, denn die Entwicklung von Apps ist sehr viel dynamischer. Kurze Innovationszyklen führen dazu, dass digitale Anwendungen oft schon wieder überholt sind, wenn das Produkt irgendwann einmal zugelassen sein sollte. Aber auch die digitalen Versorgungsangebote untereinander sind in ihrer Bewertung nicht gleichzusetzen: Ein Fitness-Tracker beispielsweise, der meine Schritte zählt, birgt kein großes Risiko für meine Gesundheit. Eine Online-Therapie dagegen, die mich eventuell auffordert, meine Medikamentendosis zu erhöhen, kann durchaus schwerwiegende gesundheitliche Folgen für mich haben – und nicht nur positive.

Eine Landkarte für den Produkte-Dschungel

Um über die Zulassung einzelner Digitalangebote zu entscheiden, müssen ihre Chancen und Risiken sorgfältig abgewogen werden. Hierbei hilft eine klare Struktur, sozusagen ein Leitfaden. Gemeinsam mit dem IGES Institut hat die TK im September 2016 die Studie „Digitale Versorgungsprodukte – Chancen nutzen, sichere Wege in den Markt schaffen“ erstellt. Darin enthalten ist auch ein Vorschlag für ein Modell zur Klassifizierung digitaler Angebote. Die Einteilung richtet sich nach dem jeweiligen Risiko der Anwendung für den Nutzer und bestimmt dementsprechend, wie stark Zulassung und Erstattung der Anwendung reguliert werden muss.

Digitale Versorgungsprodukte, die lediglich Informationen bereitstellen (Klasse 1a) oder Daten sammeln (Klasse 1b), wie zum Beispiel elektronische Tagebücher, müssen nicht zugelassen werden. Wenn hingegen Daten verarbeitet und zu Diagnose- oder Therapiezwecken verwendet werden (Klasse 2) oder sogar vorgesehen ist, dass die Anwendung ärztliche Leistungen ersetzen soll (Klasse 3), wird eine formale Marktzulassung benötigt. Um die Zulassung zu erhalten, muss die Sicherheit des Produkts durch Studien nachgewiesen werden.

Das ist in vielen Fällen zeitaufwendig und widerspricht der Schnelllebigkeit digitaler Innovationen. Die TK schlägt daher vor, Versorgungsprodukten der Klassen zwei und drei zunächst eine befristete Zulassung zu geben, wenn sie nachweisen können, dass von ihnen keine grundsätzliche Gefahr für den Nutzer ausgeht und ein Mindestmaß an Wirksamkeit gewährleistet ist. Während der Phase der befristeten Zulassung sind die Hersteller dann verpflichtet, den Nutzen ihres Produkts nachzuweisen. Das Ergebnis der Evaluation entscheidet darüber, ob das Produkt weiter zugelassen bleibt oder ob man die Zulassung schließlich wieder entzieht.

Klassifizierungs-Modell im stetigen Wandel

Was hat sich seit der Veröffentlichung der IGES-Studie getan? In mehreren Workshops haben wir die zur Zulassung und Erstattung von digitalen Versorgungsprodukten entwickelten Ansätze mit wichtigen Akteuren im Gesundheitssystem besprochen und die Ergebnisse in einer Folgestudie festgehalten. Die Diskussionen haben unsere Annahme bestätigt: Um digitale Versorgungsprodukte optimal zu regulieren, brauchen wir neue Regeln.

Und genau darauf basiert unser Vorschlag an die Politik, den wir in einem Positionspapier zur schnelleren Marktzulassung digitaler Versorgungsprodukte festgehalten haben. Das Konzept sieht vor, digitalen Innovationen mithilfe flexibler Selektivverträge und einem Innovationsbudget den Weg in den ersten Gesundheitsmarkt zu erleichtern. Dadurch bekommen die Patienten die Möglichkeit, schon in einer frühen Phase von diesen neuen Angeboten zu profitieren; die Anbieter wiederum sammeln mehr Erfahrungswerte über den Nutzen ihres Produkts. Eine Win-win-Situation.

Bewähren sich die digitalen Versorgungsprodukte innerhalb einer befristeten Vertragslaufzeit, kann das Produkt anschließend kollektiv zugelassen werden. Hierzu führen der GKV-Spitzenverband und die Hersteller entsprechende Verhandlungen.

Soweit die Theorie – ab hier ist die Politik gefordert, die Rahmenbedingungen für solch eine Form der Innovationsförderung zu schaffen. Nur mit der richtigen Infrastruktur gelingt ein schneller Marktzugang zugunsten der Patienten – und um sie geht es letzten Endes!


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