Im Interview gibt Studienleiter Dr. Utz Niklas Walter vom IFBG einen Einblick in die Ergebnisse. Personalchefin Gabriele Fasulo-Riess berichtet, warum ihr Unternehmen IPETRONIK sich dazu entschieden hat, bei der gesundheitsbezogenen Mitarbeiterbefragung mitzumachen und was mit den Ergebnissen passiert.
Herr Walter, Sie haben mit Ihrem Team zwischen 2018 und 2021 mehr als 11.000 Beschäftigte aus 43 Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen in Deutschland befragt und die Ergebnisse ausgewertet. Wie geht es den Beschäftigten in Deutschland?
Walter: Viele Beschäftigte sind durchaus belastet, viele sind insgesamt aber auch zufrieden im Job. So lassen sich die Ergebnisse sehr knapp zusammenfassen. Wir sehen, dass zwei Drittel der befragten Beschäftigten mit ihrer Arbeit insgesamt – unter Berücksichtigung aller Umstände – sehr zufrieden oder zufrieden sind. Gefühlt sind wir auf einem guten Weg, was die Vision einer gesundheitsförderlichen Arbeitswelt in Deutschland betrifft. Viele Organisationen beschäftigten sich mit gesundem Arbeiten und gesunder Führung. Das ist mit Blick auf die Herausforderungen, die die sogenannte Arbeitswelt 4.0 mit sich bringt, auch unbedingt notwendig. Genauso hat die Befragung aber auch Handlungsbedarfe aufgezeigt.
Welche zum Beispiel?
Walter: Beschäftigte sind hohen Anforderungen ausgesetzt. Etwa ein Drittel der Befragten macht oft oder immer Überstunden, 40 Prozent berichten, dass sie zu wenig Zeit haben, um ihre Aufgaben erledigen zu können. Mehr als 40 Prozent müssen oft oder immer sehr schnell arbeiten. Dabei ist klar, dass die quantitativen Anforderungen in vielen Organisationen wohl nicht abnehmen werden, sondern weiter steigen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Führungskräfte die Belastungen gemeinsam mit den Beschäftigten im Blick haben und Strategien entwickeln, um eine dauerhafte Überlastung zu vermeiden. Stressmanagement- und Resilienztrainings können zusätzlich ein sinnvolles Unterstützungsangebot sein.
Frau Fasulo-Riess, Sie sind Personalchefin bei IPETRONIK, einem Anbieter für digitale Messtechnik mit rund 250 Beschäftigten in Deutschland. Was braucht es in einem Unternehmen, um bei so einer umfangreichen Gesundheitsbefragung mitzumachen?
Fasulo-Riess: Ich denke es braucht den Willen, Schmerzpunkte in bestimmten Bereichen offen zu legen und Veränderungen dann wirklich anzugehen. Das ist sicher auch eine Kulturfrage. Manche Beschäftigten haben vielleicht schon mal erlebt, dass Befragungen durchgeführt wurden und dann mit den Ergebnissen nichts passiert ist, was ziemlich frustrierend sein kann. Wir wollen die Befragung für eine Bestandsaufnahme nutzen, um Maßnahmen aus dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement – kurz BGM – gezielt anzugehen. Dabei ist uns wichtig: kein BGM mit der Gießkanne! Die Maßnahmen müssen zum Unternehmen, den Beschäftigten und der Kultur passen.
Welche Themen werden das sein?
Fasulo-Riess: Wir möchten uns das Gesundheitsverhalten und die körperlichen Belastungen unserer Beschäftigten genauer anschauen. Hier geht es uns um passende Angebote, etwa im Bereich Arbeitshaltung. Eine Bewegte Pause passt bei vielen unserer Beschäftigten nicht in den Arbeitsalltag, deshalb wollen wir gemeinsam mit der TK und dem IFBG Ergonomie-Multiplikatoren ausbilden, die in den einzelnen Teams eine gesunde Haltung am Arbeitsplatz vermitteln.
Sehr wichtig ist uns außerdem das Thema Führung. Hier haben wir schon vor der Befragung mit einem Führungskräfteentwicklungsprogramm eine Veränderung angestoßen. Nun wollen wir auswerten, in welchen Teams es noch Handlungsbedarf gibt.
Walter: Die Studienergebnisse bestätigen einmal mehr: Führung hat einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit und die Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten. Deshalb ist es nur ratsam, der Führungsqualität eine hohe Bedeutung beizumessen und sich auch mit neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen wie einem zunehmenden Führen auf Distanz. Dass viele Organisationen beim Thema Führung noch Luft nach oben haben, zeigen die Befragungsergebnisse. So geben fast 40 Prozent der Befragten an, nie, fast nie oder selten von ihren Führungskräften Feedback zur Qualität ihrer Arbeit zu bekommen. Rund 30 Prozent sagen auch, dass ihre Arbeit wenig Wertschätzung vom Management oder der Führungskraft erfährt.
Die Studie widmet sich auch dem Thema Präsentismus, also dem Phänomen, dass Beschäftigte krank zur Arbeit gehen. Was sind hier die Ergebnisse?
Walter: Wir sehen in den Auswertungen, dass jeder zweite Beschäftigte manchmal, häufig oder sogar sehr häufig krank zur Arbeit geht, nur 22 Prozent geben an, nie krank zu arbeiten. Auch schwere Krankheitssymptome halten etwa ein Drittel der Befragten nicht vom Arbeiten ab. Interessant ist, dass Frauen von Präsentismus signifikant stärker betroffen sind als Männer. Das Thema wird mit immer mehr Homeoffice für Unternehmen zunehmend wichtiger. Es liegen Studien vor, die zeigen, dass Präsentismus aus Organisationssicht langfristig teurer ist als Absentismus, also das Fernbleiben vom Arbeitsplatz, weil Beschäftigte weniger produktiv sind und Krankheiten zum Beispiel verschleppen.