Dr. Jens Baas

Koalitionsvertrag: Weg vom Klein-Klein, hin zu mutigen Reformen

Knapp 60 Tage nach der Bundestagswahl legen die Ampelparteien ihren Koalitionsvertrag vor. Ein Blick in den Bereich Gesundheitspolitik zeigt: In Sachen Reformvorhaben bleibt es vage.

Mit dem 177 Seiten starken Koalitionsvertrag veröffentlicht die Ampelkoalition nicht nur ihre gesundheitspolitische Agenda – sondern zeigt auch, was wohl ausbleiben wird, denn: Was jetzt nicht im Papier steht, wird in der kommenden Legislaturperiode aller Voraussicht nach auch nicht angegangen. Dabei sollte den Ampelparteien klar sein, dass sie in der Gesundheitspolitik vor drängenden Reformaufgaben stehen. Spätestens die Pandemie hat viele Baustellen im System deutlich aufgezeigt. Das betrifft insbesondere die zukunftsfähige Finanzierung von Gesundheit, gilt aber auch für eine nachhaltige Sicherstellung der Versorgung, wozu besonders Reformen der Krankenhauslandschaft dringend notwendig sind, und natürlich die Digitalisierung. In allen drei Bereichen kommen wir nur voran, wenn die Koalition das große Ganze im Blick behält und mutig reformiert statt sich im parteipolitischen Klein-Klein zu verlieren.

Nachhaltige GKV-Finanzierung fehlt

Immerhin benennen die Ampelparteien das Thema Finanzierung im Papier – etwa mit der Dynamisierung des Steuerzuschusses. Darüber hinaus fehlen allerdings konkrete und unmittelbar wirksame Maßnahmen zur Ausgabenkontrolle. Hinzu kommt, dass die Koalition Maßnahmen im Vertrag vorschlägt, die für die GKV teuer werden können.

Ich fürchte, die benannten Schritte reichen nicht aus, um der drastischen Ausgabenentwicklung entgegenzuwirken. Auch dass immer wieder Steuermittel für die Gegenfinanzierung eingeplant sind, birgt finanzielle Risiken und bringt mehr Abhängigkeit vom Staat ins selbstverwaltete Gesundheitssystem.

Die Koalition steht vor drängenden Reformaufgaben, die müssen jetzt angepackt werden. Diese Dringlichkeit wird im vorliegenden Koalitionsvertrag nicht ersichtlich.

Bekenntnis zur Digitalisierung

Ein wichtiges Signal im Vertrag ist die erkennbare Absicht, die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben – ein Bereich in dem in der 19. Legislaturperiode erfreulich viel passiert ist. Ein konsequenter Schritt ist das Bekenntnis zur elektronischen Patientenakte für alle Versicherten, die nun für jeden und jede bereit gestellt wird (Widerspruchslösung). Es ist außerdem gut, dass die Koalition ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz plant und damit die wichtige Diskussion um die Nutzung von Gesundheitsdaten auf die Agenda kommt.

Was die Ampelparteien mit „dem Ausbau der gematik zu einer digitalen Gesundheitsagentur“ genau meinen, lässt hingegen noch unerfreulich viel Raum für Spekulationen. Nach meiner Überzeugung sollte die neue Regierung zunächst vor allem dafür sorgen, dass die gematik ihrer Kernaufgabe nachkommt: Dass sie Krankenkassen und Leistungserbringern als Dienstleister bei der Entwicklung und dem Betrieb der Infrastruktur zur Seite steht, anstatt mit digitalen Produkten in den Wettbewerb mit anderen Anbietern zu treten.

Versorgungsstrukturen – erste gute Ansätze

Die Krankenhauslandschaft in Deutschland ist seit vielen Jahren eine „Dauerbaustelle“ und muss dringend reformiert werden. Deshalb ist es gut, dass die Ampelparteien die Versorgungstrukturen vor allem im Krankenhausbereich in Angriff nehmen wollen, inklusive der Aspekte sektorenübergreifend und bedarfsgerecht. Die genaue Ausgestaltung bleibt aber abzuwarten, entscheidend ist dabei, dies einzubetten in eine Gesamtsicht der Neuordnung der Versorgungsstruktur. Das gilt übrigens auch für die Weiterentwicklung des DRG-Systems. Dass das Thema Qualitätsanreize beim Vergütungsmodell komplett fehlt, macht aus meiner Sicht deutlich, dass im Koalitionsvertrag hierzu nur erste Ansätze angerissen sein können und die angekündigte Regierungskommission, die Empfehlungen zur Krankenhausplanung und -finanzierung erarbeiten soll, hier noch ordentlich Hausaufgaben hat.

Fazit

Der Vertrag zeigt, dass die Koalitionspartner wichtige Baustellen des Gesundheitswesens erkannt haben. Aber gerade bei den großen Brocken – insbesondere bei der Finanzierung der GKV ab 2023 – bleiben die Aussagen zu vage für solide Erfolgsprognosen. Hier kommt es darauf an, was die neue Regierung in der Praxis daraus macht. Die Koalition steht vor drängenden Reformaufgaben, die müssen jetzt angepackt werden, auch wenn sie erst mittel- oder langfristig Früchte tragen. Diese Dringlichkeit wird in dem vorliegenden Koalitionsvertrag im Bereich Gesundheit nicht ersichtlich. Die Ampel trägt jetzt Verantwortung für die Zukunft des Gesundheitssystems, das erfordert den Blick auf das große Ganze, dahinter müssen parteipolitische Interessen zurückstehen.

Weitere Informationen

Die neue Legislaturperiode ist für zentrale Themen der Gesundheitspolitik von entscheidender Bedeutung: ob Finanzierung, Digitalisierung oder Versorgungsstrukturen – in welchen Bereichen jetzt die Weichen gestellt werden müssen, haben wir auf unserer Themenseite zur Gesundheitspolitik zusammengestellt.



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