Herr Prof. Dr. Müller, Sie leiten das Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS). Woran genau forscht das HIPS und wie hat sich das Institut und dessen Arbeit in den vergangenen 13 Jahren entwickelt?
Das HIPS betreibt pharmazeutische Forschung mit einem besonderen Fokus auf Infektionserkrankungen, das heißt, wir suchen und entwickeln neue Wirkstoffe gegen Bakterien und Viren. Hierbei ist es uns besonders wichtig, die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung möglichst schnell und effizient in die klinische Anwendung zu überführen – wir sprechen hier auch von „Translation“. Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgt das HIPS einen stark interdisziplinären Ansatz, bei dem Forschende aus unterschiedlichen Fachrichtungen zusammenarbeiten. Außerdem pflegt das HIPS einen engen Kontakt mit internationalen Partnerinnen und Partnern aus Wissenschaft und Industrie. Das alles ist notwendig, da die Wirkstoffforschung ein sehr komplexer Prozess ist, der unmöglich im Alleingang bewältigt werden kann.
Seit der Gründung des HIPS durch die Universität des Saarlandes und das Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung vor 13 Jahren ist das Institut von anfangs 14 auf mittlerweile über 200 Mitarbeitende gewachsen. Damit sind natürlich auch die Kompetenzen des Instituts gewachsen. Neben den ursprünglichen Schwerpunkten in den Bereichen Naturstoffforschung, Medizinalchemie und Wirkstofftransport rücken nun zunehmend auch Ansätze aus der Bioinformatik sowie der medizinischen Mikrobiologie in den Fokus des HIPS.
Eine Ihrer zentralen Aufgaben besteht darin, neue Antibiotika zu erforschen. Warum ist das so wichtig?
Bakterien haben die Eigenschaft, sich sehr schnell an die Bedingungen in ihrer Umwelt anzupassen, um zu überleben. So gelingt es ihnen z. B. Resistenzen gegen die Antibiotika auszubilden, die wir verwenden, um bakterielle Infektionen bei Mensch und Tier zu behandeln. Diese Resistenzen verbreiten sich seit Jahrzehnten, was dazu führt, dass immer mehr Antibiotika ihre Wirksamkeit verlieren. Im Gegensatz zur aktuellen Covid-19-Pandemie sprechen wir hier von einer „stillen“ Pandemie, die sich zwar langsam, aber konstant ausbreitet und laut Schätzungen bereits heute global zu 1,2 Millionen Todesfällen pro Jahr führt. Ein Ansatz, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, liegt in der Erforschung neuer resistenzbrechender Antibiotika, die auch bei resistenten Erregern erfolgreich eingesetzt werden können – genau hier kommt das HIPS ins Spiel.
Immer mehr Pharmahersteller steigen aus der Antibiotikaforschung aus. Was sind die Gründe dafür?
Ein großes Problem liegt darin, dass Antibiotika in Gesellschaft und Politik nicht die Wertschätzung erfahren, die ihnen zusteht. Ohne wirksame Antibiotika sind viele Errungenschaften der modernen Medizin, wie Chemotherapien, Organtransplantationen und andere chirurgische Eingriffe, undenkbar. Dennoch liegen die Kosten für eine Antibiotikabehandlung nur im zwei- bis dreistelligen Bereich, während z. B. eine Krebstherapie mehrere Zehntausend Euro kosten kann. Außerdem sollte ein neu entwickeltes Antibiotikum nur sparsam eingesetzt werden, um die erneute Entwicklung von Resistenzen nicht zu begünstigen. Da Patientinnen und Patienten nach einer erfolgreichen Antibiotikabehandlung vollständig geheilt sind, müssen sie das Medikament somit auch nur über einen kurzen Zeitraum einnehmen. Die Gesamtheit dieser Faktoren macht es für Pharmafirmen unattraktiv, Geld in die Entwicklung neuer Antibiotika zu investieren, weshalb sich die meisten von ihnen mittlerweile aus der Antibiotikaentwicklung zurückgezogen haben. Wir versuchen am HIPS, gemeinsam mit unseren Partnern, Wirkstoffkandidaten so weit wie möglich zu optimieren und sie dann in enger Zusammenarbeit mit den wenigen auf diesem Gebiet noch aktiven Firmen in die klinische Anwendung zu bringen.
Ein großes Problem liegt darin, dass Antibiotika in Gesellschaft und Politik nicht die Wertschätzung erfahren, die ihnen zusteht. Ohne wirksame Antibiotika sind viele Errungenschaften der modernen Medizin, wie Chemotherapien, Organtransplantationen und andere chirurgische Eingriffe, undenkbar.
Gerade beschäftigt die Welt noch immer die Corona-Pandemie, doch wären wir weltweit auf einen großen Ausbruch eines multiresistenten Keimes vorbereitet?
Lokal kommen solche Ausbrüche regelmäßig vor, allerdings ist die Infektiosität hierbei zum Glück meist nicht so hoch wie bei respiratorischen Viren. Dennoch führt der vielfache Einsatz von Antibiotika in Kliniken langfristig dazu, dass multiresistente Erreger uns in Zukunft noch einige Probleme bereiten werden. Auf einen großen Ausbruch eines multiresistenten Keimes sind wir leider nicht besonders gut vorbereitet, da es kaum neue und innovative Antibiotika gibt und Impfungen bei diesen Keimen nur sehr bedingt wirken. Diese beiden Punkte machen eine wirksame Prophylaxe schwierig.
Welche Maßnahmen können akut umgesetzt werden, damit sich keine weiteren Resistenzen bilden?
Die Bildung von Resistenzen ist ein natürlicher Prozess, den wir nicht verhindern können – wo Antibiotika eingesetzt werden, entstehen im Laufe der Zeit auch Resistenzen. Je mehr Antibiotika eingesetzt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit. Das ist Evolution durch die Prinzipien der Selektion und Mutation. Was wir tun können, ist, dafür zu sorgen, dass sich diese Resistenzen nicht so schnell ausbreiten wie bisher. Eine wichtige Maßnahme wäre der bewusstere und sparsamere Umgang mit Antibiotika. Bei viralen Erkrankungen, wie z. B. dem Großteil der Erkältungen oder der Grippe, sind Antibiotika vollkommen wirkungslos, werden aber dennoch häufig verschrieben. Darüber hinaus hat ein großer Teil der resistenten Erreger seinen Ursprung in der Massentierhaltung. Auch wenn dort andere Antibiotika verwendet werden als in der Humanmedizin, haben sie dennoch häufig die gleiche Wirkweise und die entstehenden Resistenzen betreffen damit auch uns Menschen. Ein weiterer Punkt zur Eindämmung antimikrobieller Resistenzen ist die Implementierung geeigneter Hygienemaßnahmen in Krankenhäusern, da dort eine Vielzahl von Infektionen mit diesen Erregern stattfindet.