Das 2011 in Kraft getretene „Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz“ (AMNOG) regelt die Preisfindung für neue, patentgeschützte Arzneimittel in Deutschland. Warum reicht dieses Instrument aus Ihrer Sicht nicht mehr aus?
Kurz gesagt: Weil es zu viele Schwächen aufweist. Diese führen dazu, dass die Preise für neue, patentgeschützte Arzneimittel Höhen erreicht haben, die dauerhaft von der Versichertengemeinschaft nicht mehr bezahlt werden können. Mehr als die Hälfte der Arzneimittel-Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung – die kontinuierlich steigen – entfällt auf patentgeschützte Präparate, obwohl sie nur etwa zehn Prozent des Gesamtverbrauchs ausmachen. Die Preisspirale dreht sich hier so schnell nach oben, dass der immer wieder bemühte Begriff der „Mondpreise“ nicht übertrieben ist. Problematisch ist, dass die Hersteller den Preis für ein neues Medikament im ersten Jahr frei bestimmen können – völlig intransparent und nicht orientiert an den tatsächlichen Forschungskosten oder am tatsächlichen Nutzen. Dieser Preis setzt erst einmal die Marke für die anschließenden Verhandlungen über den Erstattungsbetrag. Dabei ist völlig klar, dass wir neue, innovative Medikamente brauchen und die Industrie diese auch gut bezahlt bekommen soll, aber es muss ein fairer Preis sein.
Warum bedarf es überhaupt Vorgaben zur Regulierung von Arzneimittelpreisen?
Wir sehen im Arzneimittelmarkt, dass normale Marktmechanismen nicht funktionieren. Die Nachfrage nach Arzneimitteln wird durch den guten Krankenversicherungsschutz in Deutschland und das Leid Betroffener verzerrt. Dies schafft eine Situation, in der Medikamente immer noch nachgefragt werden, obwohl sie aus einer rein marktwirtschaftlichen Sicht bereits viel zu teuer sind. Die Angebotsseite nutzt diesen Effekt durch immer weiter steigende Preise aus und entkoppelt letztlich das Preisniveau von marktwirtschaftlicher Effizienz. Es ist richtig, dass der medizinische Fortschritt dafür sorgt, dass viel Leid verhindert oder gelindert werden kann. Wir brauchen diesen Fortschritt und er muss entsprechend bezahlt werden. Es darf aber nicht so sein, dass das Leid den Preis für Arzneimittel bestimmt, den dann die Versichertengemeinschaft zahlt – wir brauchen hier zwingend eine Preisfindung, die sich an objektiven Kriterien orientiert.
Welche Ideen gibt es zur Lösung der Probleme?
Im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung ist die konkrete Maßnahme genannt, dass der zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen und Herstellern verhandelte Erstattungsbetrag nach sechs Monaten statt wie bisher nach zwölf Monaten gelten soll. Noch besser wäre es, wenn der Erstattungsbetrag rückwirkend direkt ab Markteintritt gelten würde. Denn dieser Preis wird ja anhand der Nutzenbewertung verhandelt. Dieser Schritt allein reicht aber nicht aus. Im AMNOG müssen verschiedene Schwächen angegangen werden, wie zum Beispiel die Sonderstellung der sogenannten Orphan Drugs, also neuen Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen. Für diese wird zunächst ein fiktiver Zusatznutzen angenommen. All das löst aber auch nicht die Frage, wie wir zu fairen Einführungspreisen kommen. Hier gibt es bereits verschiedene Ansätze, zum Beispiel das Modell der International Association of Mutual Benefit Societies, die einen Fair Pricing Calculator entwickelt hat.
Wie sieht das Modell der TK für faire Arzneimittelpreise aus?
Wir schlagen ein Modell für die Preisfindung vor, dessen Grundlage objektivierbare Kriterien wie zum Beispiel der „medical need“ (medizinischer Bedarf), die vorhandene Evidenz und die Versorgungssicherheit bilden. Anhand dieser Kriterien wird eine Preisobergrenze für neue Arzneimittel definiert. Der tatsächliche Einführungspreis muss dann davon ausgehend an die vorliegende Evidenz gekoppelt sein. Bei positiver Evidenz ist ein höherer Einführungspreis gerechtfertigt, bei unsicherer oder fehlender Evidenz ein niedrigerer Interimspreis. Dieser kann sich im Laufe der Zeit auch erhöhen, wenn sich dann zeigt, dass das Medikament doch einen Nutzen hat. Das heißt: Je nach vorliegender Evidenz können Preise fließend angepasst werden. Wir sind davon überzeugt, dass sich ein fairer Preis an festgelegten Kriterien und dabei vor allem am tatsächlichen, nachgewiesenen Nutzen orientieren muss.