Johanna Küther

Long-COVID: „Ich kann jetzt ganz gut einschätzen, wie es ist, schlecht Luft zu bekommen.“

Dr. Christian Gogoll ist Lungenfacharzt an der Evangelischen Lungenklinik Berlin und ist Mitautor der medizinischen Leitlinien für die Long-COVID-Behandlung. Doch nicht nur der fachliche Blick prägt seine Arbeit, er ist selbst vom Krankheitsbild betroffen.

Herr Dr. Gogoll, Sie kommen gerade vom Reha-Sport. Wie geht es Ihnen heute?

Das ist immer total anstrengend, aber es geht auf alle Fälle bergauf. Ich mache dort dreimal die Woche Atemphysiotherapie und Konditionstraining. Die 2,5 Kilometer von der Praxis bis zu meinem Zuhause kann ich mittlerweile wieder mit dem Fahrrad fahren. Zu Fuß ist das aber immer noch eine Herausforderung.

Dr. Christian Gogoll bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des TK-Gesundheitsreports 2022.

Wie war das für Sie, Corona zu haben und anschließend von Long-COVID betroffen zu sein?

Ich habe zuvor eine Beatmungsstation geleitet und beobachtet, was dort mit meinen Patientinnen und Patienten passiert. Plötzlich war ich einer von ihnen. Ich habe dann erlebt, wie von meinen Mitpatienten einer nach dem anderen verstorben ist und in die beunruhigten Gesichter der Intensivmediziner geschaut. Da konnte man ablesen: Wenn das bei mir nicht besser wird, dann war es das. Ab und zu habe ich auf den Monitor geschaut und da war mir klar, ich war erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Ich glaube, als Lungenmediziner kann ich jetzt ganz gut einschätzen, wie es ist, wenn man schlecht Luft bekommt.

Wie ging es für Sie weiter?

Nach Abschluss der Krankenhaus- und Reha-Behandlung war mir unklar: Wo gehe ich jetzt hin, wer versorgt mich eigentlich? Ich hatte keinen Hausarzt, ich war nie krank und jetzt nehme ich jeden Tag eine Handvoll Tabletten, muss dauernd zum Reha-Sport und bekomme keine Luft. Das erleben viele Betroffene. Weil die Versorgungsstrukturen gerade erst entstehen. Ich habe diese „Durststrecke“ dann inhaltlich gefüllt und mich an der Erarbeitung der medizinischen Leitlinien beteiligt.

Was raten Sie Betroffenen?

Der erste Weg sollte zur Hausarztpraxis führen. Vielleicht kennt der Hausarzt oder die Hausärztin bereits erfolgsversprechende Behandlungsmethoden. Auch hier können Rezepte für Atemtherapie oder manuelle Therapie ausgestellt werden. Oder es folgt eine Überweisung zum Facharzt, wenn beispielsweise die Untersuchungsergebnisse die Beschwerden nicht erklären. Darüber hinaus gibt es, initiiert von Selbsthilfegruppen, eine Reihe von Unterstützungsangeboten. Die Genesung ist oft ein längerer Weg. Viele sind frustriert, wenn Symptome nicht oder nur langsam besser werden. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, es lohnt sich durchzuhalten.

Die Genesung ist oft ein längerer Weg. Viele sind frustriert, wenn Symptome nicht oder nur langsam besser werden. Aus eigner Erfahrung kann ich sagen, es lohnt sich durchzuhalten.

Was erleben Sie in Ihrer täglichen Praxis?

In den seltensten Fällen habe ich dort Menschen vor mir sitzen, die vorher chronisch krank waren. Im Gegenteil, oftmals sind es sehr leistungsstarke Menschen, überwiegend Frauen, die jung sind, viel arbeiten und Sport treiben und dann feststellen, dass sie ihrem normalen Leben nicht mehr nachgehen können. In der Ambulanz habe ich in der Tat schon fast alles gesehen: Atemnot, Schwäche, Herzrasen, vegetative Störungen wie Schwindel. Da hilft mir heute im Umgang mit meinen Patientinnen und Patienten natürlich, dass ich vieles davon selbst erlebt habe. Wenn sie berichten, weiß ich oft genau, was sie meinen. Viele sagen dann: „Na endlich versteht mal jemand, worum es überhaupt geht.“

Wie erarbeitet man in solch einer schwierigen Ausgangslage medizinische Leitlinien?

Wir erleben eine Vielzahl an Symptomen, dementsprechend waren zu Beginn rund 20 Fachgesellschaften beteiligt. Man muss aber sagen: Die Beschwerden, die die Patientinnen und Patienten haben, sind oftmals ja nicht völlig neu. Das heißt, es gibt Empfehlungen und Therapieansätze für viele der Symptome, die in die Leitlinie eingeflossen sind.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Wir brauchen eine vernünftige Versorgungsforschung. Da sind zuallererst wir als Ärztinnen und Ärzte gefragt, aber auch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Außerdem müssen wir über das Thema sprechen. Wir müssen Patientinnen und Patienten, aber auch die Versorger ausreichend informieren. Momentan haben wir die ersten Betroffenen aus der Omikronwelle in der Ambulanz, das Problem wird also erst einmal nicht kleiner. Allein in den letzten drei Tagen haben wir zwei Dutzend neue Diagnosen gestellt. Welche gesellschaftliche Antwort finden wir hierauf? Auch darüber müssen wir sprechen.

Weitere Informationen

Long-COVID ist auch Thema der Sonderauswertung des TK-Gesundheitsreports 2022. Die genannte medizinische Leitlinie finden Sie hier. Darüber hinaus gibt es eine Leitlinie für Betroffene, Angehörige, nahestehende und pflegende Personen, die sich auf eine ärztliche Leitlinie stützt.



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