Anne Kraemer

Fit durch den Pflegealltag: eine doppelte Herausforderung

Während viele Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen körperlich eingeschränkt sind, erleben die Pflegekräfte einen belastenden Berufsalltag. Den Präventionsbedarf beider Seiten vereint ein bundesweites Modellprojekt der TK. Wie dieses die Pflege verbessern möchte, erklärt Leiterin Prof. Dr. Bettina Wollesen von der Universität Hamburg im Interview.

Frau Prof. Dr. Wollesen, was verbirgt sich hinter dem Präventionsprogramm „PROCARE – Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen“?

Bei PROCARE steht die Gesundheitsförderung aller in einer Pflegeeinrichtung arbeitenden und lebenden Menschen im Fokus. In acht Städten wurden gemeinsam mit den ansässigen Hochschulen bislang insgesamt 47 Einrichtungen begleitet und evaluiert. Zu Beginn haben wir die Belastungen und Wünsche der teilnehmenden Personen analysiert. Das war der Grundstein, um passgerechte Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.

Im ersten Schritt haben wir uns auf die Pflegekräfte fokussiert und anschließend auf die Bewohnerinnen und Bewohner. Ziel war es, die körperliche und mentale Fitness der Beteiligten über Bewegungsinterventionen zu erhalten oder sogar auszubauen. So möchten wir sie in ihrem herausfordernden Alltag – sei es aufgrund ihrer belastenden Pflegetätigkeit oder aufgrund ihrer Multimorbidität und entsprechenden Pflegebedürftigkeit – stärken. Dabei war uns wichtig, die Teilnehmenden zu befähigen, diese Präventionsmaßnahmen auch langfristig weiterzuverfolgen.

Projektleiterin Prof. Dr. Bettina Wollesen von der Universität Hamburg

Wie kam das Projekt an?

Wir konnten bei allen Personen, die an mindestens 60 bis 80 Prozent der Termine teilnahmen, positive Veränderungen oder zumindest einen Ressourcenerhalt feststellen. Insgesamt äußerten sich beide Gruppen zufrieden über die Abstimmung der Inhalte auf ihre Bedürfnisse. Viele Bewohnerinnen und Bewohner freuten sich auf die Interventionstermine, sie lernten neue Personen anderer Wohnbereiche kennen und verabredeten sich untereinander zu den Terminen. Für die Pflegekräfte spielte allerdings Zeitmangel eine große Rolle – weshalb sie oft Termine absagen mussten.

Was haben die Interventionen konkret bewirkt?

Bei den Pflegekräften reduzierten sich die Schmerz- und Belastungswahrnehmungen. Durch die kombinierten Übungen zur Ergonomie und Rückenfitness konnten sie ihre Bewegungen im Umgang mit Lasten verbessern, zum Beispiel beim Umpositionieren immobiler Pflegebedürftiger. Die Bewohnerinnen und Bewohner zeigten im Alltag ein gesteigertes geistiges und körperliches Wohlbefinden, mehr Kraft und einen sicheren Gang. Besonders Gangübungen anstelle von reinem Training im Sitzen kamen gut an.

Welche Empfehlungen können Sie an interessierte Pflegeheime weitergeben?

Eine effektive Gesundheitsförderung bietet einen enormen Mehrwert für das körperliche, geistige und soziale Befinden aller Beteiligten. Im Setting Pflege ist ein entsprechendes Präventionsprogramm unabdingbar, kollidiert jedoch oft mit den vorhandenen Strukturen. Ohne personelle Hilfe von außen können insbesondere kleine Einrichtungen das nicht meistern. Es wird mindestens eine Person benötigt, die Maßnahmen bedarfsorientiert planen kann und eine Person mit ausreichend Zeit zur Umsetzung. Weiterhin brauchen wir ein Umdenken der Pflegekräfte in Bezug auf die eigene Selbstvorsorge. Viele Pflegekräfte kümmern sich liebevoll um die Pflegebedürftigen und stellen dabei ihre eigene Gesundheit zurück.

Was kann Ihrer Meinung nach die Pflege gesünder machen?

Wir müssen in die Köpfe bekommen, dass eine gesunde Pflegekraft, die den Wert von Bewegung, Ernährung und Entspannung kennt, mit diesem Wissen und Handeln auch die Pflegequalität erhöht. Zeitmangel und Stress werden oft als Ursache genannt, warum Selbstfürsorge nicht stattfindet. Gleichzeitig wirken sich Stress und fehlende Erholung direkt auf die Arbeit, in diesem Fall die Pflege, aus. Für dieses Dilemma benötigen wir Lösungen! Im Zuge unseres Konzepts für PROCARE-Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wollen wir unsere Erfahrungen weitergeben und dafür Sorge tragen, dass unsere Projektinhalte nachhaltig in den Pflegeeinrichtungen umgesetzt werden.



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