Nicole Knabe

„Wir geben den Patientinnen und Patienten eine Stimme“

Wie viel Pflege brauchen wir in deutschen Krankenhäusern? Antworten auf diese Frage liefert das Forschungsprojekt „Pflegeintensität und pflegesensitive Ergebnisindikatoren in deutschen Krankenhäusern“ (PPE). Der Leiter der Studie, Prof. Dr. Jonas Schreyögg vom Hamburg Center for Health Economics der Universität Hamburg, gibt uns im Interview Einblicke in die Ergebnisse.

Herr Prof. Dr. Schreyögg, Sie betreuen das Innovationsfondsprojekt zur Pflegequalität in deutschen Kliniken, an dem auch die TK beteiligt ist. Worum geht es genau?

2017 haben wir im Rahmen einer Studie für die Kommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ festgestellt, dass es eine starke Verknüpfung zwischen pflegesensitiven Indikatoren wie zum Beispiel der Infektionsrate und der Besetzung mit Pflegekräften pro Patientin und Patient gibt. Diese Erkenntnis brachte die Kommission damals dazu, die Einführung der Pflegeuntergrenzen für Deutschland zu empfehlen. Für uns stand wiederum fest, dass wir uns diesen Fakt noch einmal differenzierter anschauen wollen – es war der Anstoß für die PPE-Studie.

Mit unserer PPE-Studie untersuchen wir den Zusammenhang zwischen der Pflegeintensität und der Versorgungsqualität in deutschen Kliniken. Für Deutschland existiert bisher zu wenig Evidenz darüber, ob etwa Faktoren wie das Ausbildungsniveau und die Anzahl der Pflegekräfte in Kliniken Einfluss haben auf die Qualität der medizinischen Behandlung und den Behandlungserfolg – das wollen wir ändern.

Prof. Dr. Jonas Schreyögg ist Gesundheitsökonom und lehrt an der Universität Hamburg.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von der Studie?

Es ist bekannt, dass mangelhafte Pflege im schlimmsten Fall sogar lebensbedrohliche Folgen haben kann – zum Beispiel wundgelegene Körperstellen, die nicht mehr heilen. Gleichzeitig wissen wir, dass eine gute Pflege wiederum bestimmte Wundinfektionen verhindern kann. Deshalb haben wir Krankenkassendaten herangezogen und nach objektiven pflegesensitiven Ergebnisindikatoren analysiert: Wie hoch war die Infektionsrate, die poststationäre Mortalität oder die Wiedereinweisungsquote?

Auf diese Weise lassen sich diejenigen Fachabteilungen identifizieren, die am pflegesensitivsten sind. Also die Bereiche, in denen sich mit mehr Personaleinsatz die größte Verbesserung bei der Behandlungsqualität erreichen lässt.

Objektiv auswertbare Indikatoren für die Pflegequalität sind das eine. Aber ist es nicht sehr subjektiv und individuell, wie jede Patientin und jeder Patient gute Pflegequalität empfindet?

Das stimmt, deshalb vergleichen wir die Behandlungsqualität, die wir aus den Routinedaten ermittelt haben, mit der subjektiv erlebten Pflegequalität der Patientinnen und Patienten. Hier hatte die TK eine tragende Rolle, indem sie zwischen Februar und September 2019 rund 210.000 TK-Versicherte mit unserem Fragebogen anschrieb. Das war nicht nur eine der größten Versichertenbefragungen der vergangenen Jahre in Deutschland, wir konnten so auch ganz klar eine Übereinstimmung feststellen: Je besser die Pflegebesetzung in den Kliniken war, desto besser fiel die eingeschätzte Versorgungsqualität aus Patientensicht aus.

Wir geben den Patientinnen und Patienten, und in diesem Fall explizit den Versicherten der TK, eine Stimme. Wir lassen sie partizipieren.

Wie profitieren Patientinnen und Patienten bzw. TK-Versicherte von diesem Forschungsprojekt?

Wir geben den Patientinnen und Patienten, und in diesem Fall explizit den Versicherten der TK, eine Stimme. Wir lassen sie partizipieren. Ich glaube, für viele Patientinnen und Patienten, die an der TK-Befragung teilgenommen haben, wäre es sehr interessant zu wissen, dass ihre Einschätzung in Bezug auf die Qualität der Pflege tatsächlich ziemlich stark übereinstimmt mit der medizinischen Versorgungsqualität. Diesen Zusammenhang kennen wir auch schon von Studien aus England. Für den Pflegekontext in Deutschland ist das aber eine neue Erkenntnis. Außerdem gibt es hierzulande viele Stimmen, die den Patienteninnen und Patienten die Fähigkeit absprechen, genau diese Einschätzung gut leisten zu können.

Das Projekt endet demnächst. Können Sie abschließend einen Ausblick geben, wie geht es jetzt weiter?

Wir haben gerade vor kurzem das dritte Studienpapier fertiggestellt, das vor einigen Tagen veröffentlicht wurde – weitere folgen. Jetzt bringen wir unsere Ergebnisse in die Praxis – stellen sie in Workshops oder auf Konferenzen vor.

In der neuen Legislaturperiode wird sich zeigen, ob das Instrument der Pflegeuntergrenzen weiterentwickelt wird und ob man zusätzlich oder alternativ ein anderes Bemessungsinstrument einführen wird. Seit vielen Jahren kursieren immer wieder neue Forderungen nach mehr Pflegepersonal in bestimmten Fachabteilungen, die oft wenig evidenzbasiert sind. In unserer Befragung konnten wir aber ganz genau zeigen, ab wann die Pflegequalität besser oder die Reduktion der Pflegekräfte am ehesten zu einer prekären Situation führen wird – sogar nach Abteilungen aufgeschlüsselt. Diese Ergebnisse könnte man zu einer objektiven Bedarfsmessung heranziehen. Das heißt, mit der durch die Patientinnen und Patienten wahrgenommenen Pflegequalität ließen sich stärker evidenzbasierte Pflegeuntergrenzen festlegen. Unsere Studie zeigt deutlich, dass die Patientinnen und Patienten die Pflege- und damit die Versorgungsqualität in den Krankenhäusern gut einschätzen können. Dies sollte auch bei der künftigen Gestaltung der Patientenversorgung Berücksichtigung finden.

Weitere Informationen

Auf der Suche nach innovativen Versorgungsformen für die GKV – alle wichtigen Informationen zum Innovationsfonds und seinem Auftrag, haben wir auf unserem Portal zusammengestellt. Eine Übersicht der  Forschungsprojekte mit TK-Beteiligung ist ebenfalls online abrufbar.



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