„Das Angebot ist scheinbar endlos“

Wir haben mit einem Betroffenen über seine Erfahrung mit einer Pornosucht gesprochen. Er ist ungefähr 30 Jahre alt, lebt in einer Partnerschaft und ist Vater eines kleinen Kindes. Er ist außerdem Mitglied im PornLoS-Projektbeirat.

In welchem Alter kamen Sie das erste Mal mit Pornografie in Berührung?

Das war schon in der vierten Klasse. Da wurden unter den Jungs so Sachen von älteren Geschwistern gezeigt, die zum Teil auch seltsam waren und in Richtung Fetisch gingen. Einiges war schon erschreckend. Klassischen Kontakt zu Pornografie hatte ich das erste Mal mit zwölf Jahren. Zwei Jahre später war ich dann regelmäßig allein in meinem Zimmer im Internet unterwegs. Das Angebot ist scheinbar endlos gewesen. Meine Eltern haben davon nichts mitbekommen.

Wie haben Sie das als Kind damals empfunden?

Mir kam es relativ normal vor, nach dem Motto: „Das gibt es und es macht irgendwie Spaß“. Ich habe auch weniger zu den Leuten gehört, die sehr viel geguckt haben. Deshalb empfand ich es auch nicht als sehr einschränkend, sondern eher als Freizeitbeschäftigung.

Wann hatten Sie das erste Mal das Gefühl, dass Ihr Nutzungsverhalten nicht normal ist und wodurch wurde dies ausgelöst?

Das war etwa mit 18, 19 Jahren. Da hatte ich zum ersten Mal eine Partnerschaft und habe gemerkt, welchen Einfluss Pornografie darauf hat und wie ich Sexualität hauptsächlich durch Pornographie erlernt habe. Bei mir kam noch hinzu, dass mich voyeuristische Materialien besonders gereizt haben.

Wie hat sich die Pornosucht auf Ihre Partnerschaften ausgewirkt?

Ich habe meine Sexualität mit anderen Personen und meine Pornografie immer ein bisschen parallel erlebt, wahrscheinlich auch, weil ich keine klassischen Pornos geschaut habe, sondern mich mehr im Bereich Amateurpornografie bewegt habe. Jetzt, wo das Thema grundsätzlicher geworden ist, spielt es auch eine Rolle in meiner anhaltenden Partnerschaft. Ich will ja von der Sucht wegkommen und möchte meine Partnerin sozusagen als äußere Kontrollinstanz miteinbeziehen.

Wie erleben Sie den Suchtdruck?

Es kommt eine gewisse Unruhe auf, insbesondere in Stresssituationen. Dann gerate ich in ein Gedankenkarussell und wenn es dann nicht ein klares Halt-Signal gibt, entweder von mir oder von außen, dann geht es los. Aber danach kommt die große Ernüchterung und die Bestätigung, dass es genauso schlecht ist wie eh und je.

Wie hoch war ihr Pornokonsum in den Hochphasen? Hatte das Auswirkungen auf Ihr soziales Umfeld oder Ihren Job?

Ich denke, so zehn bis zwölf Stunden in der Woche. Diese Zeit fehlt für andere Dinge. Es ist eine isolierende Tätigkeit, weil man sich zurückzieht, und sie hat einen selbstverstärkenden Effekt. Wenn es mir nicht gut ging, habe ich mir Pornos angeschaut und dann hatte ich noch weniger Lust, andere Leute zu treffen.

Haben Sie therapeutische Unterstützung gesucht?

Meine erste Therapie hatte ich mit Anfang 20, weil es mir auch anderweitig nicht so gut ging. Da habe ich angesprochen, dass ich mit Pornografie Stress abbaue, weil ich mich so rastlos gefühlt habe. Die Therapeutin sah darin kein großes Problem und meinte, ich solle halt damit aufhören. Sie hat das Suchtpotenzial nicht erkannt. Später habe ich dann eine weitere Therapie gemacht, bei der es am Rande auch um die Pornosucht ging. Da der Fokus woanders lag, gab es auch dieses Mal keinen Therapieerfolg bei der Pornosucht.

Welche weiteren Schritte haben Sie noch unternommen?

Vor drei Jahren bin ich einer Selbsthilfegruppe beigetreten. Ich hatte da schon das Gefühl, dass es mir hilft, von anderen zu hören, wie sie mit der Problematik umgehen, wo sie scheitern und wo sie Erfolge erzielen. Anfang 2023 habe ich eine eigene Selbsthilfegruppe gegründet. Es gibt ein reges Interesse, weil es so wenige Ansprechpersonen zu diesem Thema gibt.

Was wäre denn Ihr erklärtes Therapieziel?

Meine Traumvorstellung wäre es, die Sucht mit einem moderaten Konsum von Pornos im Griff zu haben, weil ich mit dem kompletten Verzicht immer wieder gescheitert bin. Ich hoffe noch mehr Erfüllung in meinem Alltag zu finden und die Rahmenbedingungen so gut wie möglich zu gestalten und gleichzeitig genügend Resilienz aufzubauen für den Fall, dass es mir schlechter geht als jetzt. Ich weiß, dass ich mich aktiv kümmern muss, sonst ist es nur ein Glücksspiel, ob es gerade gut läuft.

Wie haben Sie von dem Projekt PornLoS erfahren?

Ich habe mich 2020 als Hilfesuchender an Professor Stark gewandt, weil er eine der wenigen Personen ist, die zu dem Thema forschen. Er hat mich dann gefragt, ob ich Mitglied des Projektbeirats werden möchte. Ich habe zugestimmt, weil es sich spannend angehört hat und ich das Projekt mit meiner Erfahrung unterstützen möchte.