Steigen wir ein mit einer Definition, was ist Einsamkeit?
Wenn ich eigentlich gerne mehr Kontakte oder Freunde hätte, dann entsteht das Gefühl der Einsamkeit. Was dabei ganz wichtig ist: Das ist eben etwas ganz subjektives, jeder hat andere Bedürfnisse. Damit ist es auch etwas anderes als soziale Isolation, also das objektive Fehlen von sozialen Kontakten, oder Alleinsein. Letzteres bedeutet nur, dass man in einem bestimmten Moment keine Menschen um sich herumhat. Das empfinden viele auch als positiv. Einsamkeit ist aber tatsächlich etwas Negatives, sogar etwas Schmerzhaftes.
Wie einsam ist Deutschland?
Das ist nicht ganz so leicht zu beantworten, denn in der Regel wird Einsamkeit über – durchaus etablierte – Fragebögen gemessen, allerdings handelt es sich nicht um eine Erkrankung und es gibt auch keinen standardisierten Wert, ab dem man von Einsamkeit spricht – wahrscheinlich macht das auch keinen Sinn. Jede Studie definiert das also mehr oder weniger für sich, was es erschwert konkrete Zahlen zu nennen. Im letzten Jahr wurde aber eine Erhebung auf EU-Ebene veröffentlicht, da lagen wir bei etwas mehr als 10 Prozent für Deutschland. Laut einer Studie des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) waren vor der Pandemie etwa 14 Prozent betroffen und während der Pandemie circa 42 Prozent. Kürzlich haben wir eine Studie zu Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen gemacht, da sprechen wir von 18 Prozent, die wirklich stark einsam sind. Und in dieser Altersgruppe gaben mehr als 50 Prozent an, sich manchmal einsam zu fühlen.
Sie sprechen Jugendliche an, lange dachte man beim Thema eher an ältere Menschen. Ist Einsamkeit keine Frage des Alters mehr?
Vor der Pandemie waren tatsächlich meist ältere Menschen, und damit meine ich Menschen ab 80 Jahren, von Einsamkeit betroffen. Hier spielen gesundheitliche Einschränkungen eine Rolle, die die Teilhabe erschweren oder auch die Tatsache, dass Kontakte versterben. Das sind Faktoren, die ein großes Risiko mit sich bringen. Durch Corona haben aber Altersgruppen aufgeholt, die vorher nicht so belastet waren. Während der Pandemie waren junge Erwachsene laut Daten des SOEP sogar stärker betroffen als Hochaltrige. Es ist wichtig, auch mit Blick auf die Politik, dass man Einsamkeit als etwas begreift, was nicht nur Ältere, sondere alle Altersgruppen betrifft – und die Jungen vielleicht ganz besonders.
Stichwort gesellschaftliche Relevanz, welche Auswirkungen hat Einsamkeit?
Mittlerweile ist sehr gut dokumentiert, dass Einsamkeit über längere Zeiträume gesundheitliche Auswirkungen hat. Da gibt es eine riesige Palette von psychischen Erkrankungen, wie Angststörungen oder Depressionen bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar verfrühter Sterblichkeit. Mittlerweile verstehen wir auch besser, dass Einsamkeit ebenfalls Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat: Einsamkeit korreliert mit extremen politischen Einstellungen, dem Glauben an Verschwörungserzählungen oder geringer Wahlbeteiligung. Die Forschung steht hier noch am Anfang, aber es zeigt sich bereits, dass es ein Phänomen ist, das viele Lebensbereiche und gesellschaftliche Bereiche betrifft. Bislang kaum wahrgenommen worden ist der ökonomische Bereich. Einsame Menschen sind häufiger krank, fehlen bei der Arbeit und sind tendenziell weniger produktiv, es entstehen also auch ökonomische Kosten, nicht nur als Gesundheitskosten. Diese Bandbreite zeigt, dass wir als Gesellschaft ein Interesse daran haben sollten, etwas dagegen zu tun.
Es ist wichtig, auch mit Blick auf die Politik, dass man Einsamkeit als etwas begreift, was nicht nur Ältere, sondere alle Altersgruppen betrifft – und die Jungen vielleicht ganz besonders.
Welche Gründe hat Einsamkeit?
Es gibt eine ganze Reihe von belastbaren Faktoren, die das Einsamkeitsrisiko erhöhen, wie bestimmte Persönlichkeitseigenschaften, demografische Faktoren wie Armut, Arbeitslosigkeit, die Zugehörigkeit zu einer Minderheit oder Faktoren der sozialen Eingebundenheit, wie eine Partnerschaft.
Wird Einsamkeit noch weiter zunehmen?
Man kann bislang nur vorsichtige Aussagen zu längerfristigen Trends machen. Mit Blick auf die Pandemie sind die Ergebnisse gemischt: Für Deutschland ist die Evidenz recht klar, die Menschen sind durch die Pandemie einsamer geworden, international scheint das zumindest nicht flächendeckend der Fall zu sein. Für Jugendliche haben wir das ja jetzt auch nach der Pandemie festgestellt, bei den Erwachsenen fehlen uns noch Daten aus der post-pandemischen Zeit. Über einen längeren Zeitraum der letzten Jahrzehnte geschaut, können wir durch Metaanalysen für junge Erwachsene sagen, dass es eine leichte Zunahme der Einsamkeit zu geben scheint. Es ist mir ganz wichtig zu betonen: Es ist nicht so, dass Einsamkeit plötzlich entstanden ist und dass es sie vorher nicht gab, es wurde nur vorher nicht drüber gesprochen.
Spätestens mit der Strategie gegen Einsamkeit der Bundesregierung ändert sich das. Über die Grenzen Deutschlands hinausgeblickt, wo stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern?
Im EU-Vergleich steht Deutschland ganz gut dar. Denn es gibt immer mehr Länder, die sich des Themas annehmen, aber nicht allzu viele, die das in Form einer ausgearbeiteten Strategie – an der ich als Mitglied des Beirats des Kompetenznetzes Einsamkeit (KNE) mitgearbeitet habe – tun. Natürlich gibt es Länder, wie Großbritannien, die uns um Jahre voraus sind. Dort ist das Thema schon seit 2018 auf der Agenda, man kann sich einiges abschauen und das ist auch geschehen. Offen ist aus meiner Sicht, inwieweit Dinge, die sich in einem Land bewährt haben, auf ein anderes übertragbar sind. Und es fehlt an wissenschaftlicher Evaluation von Maßnahmen.
Zur Person
Prof. Maike Luhmann ist Psychologin und Einsamkeitsforscherin. An der Ruhr-Universität Bochum forscht sie zu Ursachen und Konsequenzen von Einsamkeit.