Dr. Jens Baas

„Die Schmerzgrenze ist längst erreicht“

Die Finanzen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind aus dem Gleichgewicht geraten – auch, weil die Regierungskoalition ihre Versprechen nicht einhält. Sie muss nun handeln und finanzielle Lasten gerecht verteilen.

Dass die finanzielle Lage der GKV schwierig ist, zeigt sich in diesem Jahr vor allem in Nachrichten über steigende Beitragssätze. Nach der aktuellen Schätzung muss der durchschnittliche Gesamtbeitragssatz in der GKV 2025 auf rund 17 Prozent steigen – eine Größenordnung, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. Dabei sind steigende Beitragssätze natürlich eine schlechte Nachricht für die Mitglieder, und genauso für die Arbeitgeber, die die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen.

Die nötigen Maßnahmen sind bekannt

Die finanzielle Schieflage der GKV kommt jedoch nicht plötzlich. Sie hat bekannte Ursachen, die die Koalition angehen wollte, Stichwort “Koalitionsvertrag”, und weiterhin angehen könnte. Statt das zu tun, erarbeitet sie neue teure Gesetze, die die Ausgaben weiter in die Höhe treiben werden.

In ihrem Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien zwei wichtige Maßnahmen festgehalten: Höhere Beiträge für Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger, da die GKV derzeit vom Staat nur etwa ein Drittel der Kosten für diese Gruppe erstattet bekommt. Den Rest zahlen die Versicherten und ihre Arbeitgeber – obwohl dies Aufgabe des Staates wäre. Außerdem sollte der Steuerzuschuss, den die GKV für sogenannte versicherungsfremde Leistungen erhält, dynamisiert werden, um höhere Ausgaben auszugleichen. Auf beide Maßnahmen warten die Kassen und ihre Mitglieder bisher vergeblich. Allein Erstere würde die GKV laut eines Gutachtens um mehr als neun Milliarden Euro jährlich entlasten – und damit um etwa 0,5 Beitragssatzpunkte.

Ausgaben senken, ohne Leistungen zu kürzen

Die Schieflage in der GKV hat jedoch auch damit zu tun, dass die Ausgaben für Gesundheit stark steigen. Wichtig wären daher jetzt Maßnahmen, die diesen Anstieg begrenzen, ohne Leistungen einzuschränken. Das ist möglich. Für die geradezu explodierenden Arzneimittelausgaben zum Beispiel braucht es Lösungen, um die Preise für neu auf den Markt kommende Medikamente fairer zu gestalten und einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz wie er auch für Grundnahrungsmittel gilt. Im Bereich der Heil- und Hilfsmittel müssen politische Entscheidungen der Vorgängerregierung korrigiert werden – die zu viel höheren Ausgaben führen, ohne dass die Versicherten einen Nutzen davon haben.

Die Politik muss sich auf wesentliche Reformvorhaben konzentrieren und deren Kosten fair verteilen.

Dr. Jens Baas

Stattdessen sind Gesetze in Planung, die die Beitragszahlenden in den nächsten Jahren weiter finanziell belasten werden. Dazu zählt die viel diskutierte Krankenhausreform. Die Reform an sich ist zweifelsfrei wichtig. Nicht hinnehmbar ist hingegen, dass die GKV die Hälfte des 50-Milliarden-Krankenhaus-Transformationsfonds für den Umbau der Kliniken tragen soll. Wieder gilt: Der Staat wäre zuständig. Hinzu kommt: Privat-Versicherte sind mit dieser Regelung überhaupt nicht beteiligt und da die GKV-Beiträge ab einem bestimmten Einkommen gedeckelt sind, sind Menschen mit geringem Einkommen überproportional betroffen. Das ist nicht gerecht. Die Krankenhäuser brauchen den Transformationsfonds – er muss mit Steuermitteln aus dem Bund und den Ländern finanziert werden.

Was muss nun also passieren? Die Politik muss sich auf wesentliche Reformvorhaben konzentrieren und deren Kosten fair verteilen. Steigende Beitragssätze dürfen von der Politik nicht mehr mit einem Schulterzucken hingenommen werden, sondern brauchen aktive Gegenmaßnahmen. Und: Bei neuen Gesetzen braucht es eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Mehrkosten ohne Mehrwehrt können wir uns nicht mehr leisten. Die Beitragszahlenden dürfen nicht weiter belastet werden, denn: Die Schmerzgrenze ist hier längst erreicht.

TK-Position für eine nachhaltige GKV-Finanzierung

Wie sich die Finanzierung von Gesundheit zukunftssicher gestalten lässt, ist aktuell eine zentrale Frage der Gesundheitspolitik. „Im Zweifel mit Beitragsgeldern“ darf nicht länger die Antwort sein, denn die gesetzlich Versicherten und ihre Arbeitgeber wurden bereits in den vergangenen Jahren immer weiter belastet. Stattdessen braucht es einen klugen Maßnahmenmix, um dem strukturellen Defizit entgegenzuwirken, das jährlich für Milliardenlücken in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sorgt. Hier geht es zur TK-Position.



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