Wie haben sich Atemwegsinfektionen in den vergangenen Jahren aus Ihrer Sicht verändert? Sind wir anders krank als vor Corona?
Atemwegsinfekte entwickeln sich co-evolutionär mit uns Menschen weiter. In der Coronapandemie haben wir ein Stück Evolution in Echtzeit beobachten können. Während der Hochphase haben die „normalen“ Atemwegsinfekte zunächst abgenommen. Danach war so eine Art Nachholeffekt zu beobachten. Atemwegsinfekte sind vielleicht auch ein Trainingsprogramm für unser Immunsystem: Weil wir den Kontakt zu Atemwegsviren nicht mehr gewöhnt waren, sind auch die symptomatischen Reaktionen deutlich heftiger ausgefallen. Heute ist das Infektionsgeschehen in etwa wie vor der Pandemie. Auch da gab es immer wieder Jahre mit mehr oder weniger Infektionen. Das Einzige, was jetzt anders ist: Wir haben mit dem Coronavirus einen neuen Player.
Welche Rolle spielt das Coronavirus noch?
Die Evolution des Coronavirus ist noch nicht vorbei: Die Ansteckungsfähigkeit der Viren hat sich erhöht, dafür verursachen neuere Virusmutationen eher mildere Verläufe. Auch in Zukunft wird sich das Coronavirus immer wieder neu anpassen. Aktuell ist Corona einer von vielen Atemwegsinfekten – meist mit harmlosen Verläufen. Teilweise kann es jedoch, in etwa vergleichbar mit der Influenza, auch bei jungen und gesunden Menschen für schwerere Krankheitsverläufe sorgen.
Wie haben sich bakterielle Atemwegsinfektionen entwickelt? Gibt es vermehrt Resistenzen?
Bakterien können auf geschwächte Immunsysteme „aufsatteln“. Daher gab es mehr schwere bakterielle Infekte, als viele insbesondere vorerkrankte Menschen von den aggressiveren Coronavarianten befallen waren. Heute haben wir jedoch nicht mehr bakterielle Infektionen als vor der Pandemie. Dennoch, bakterielle Infekte müssen nicht immer direkt mit Antibiotika behandelt werden. Das geschieht in Mitteleuropa auch eher weniger als beispielsweise in Südeuropa. In diesem Zusammenhang ist bei uns aktuell kein dramatischer Anstieg an multiresistenten Keimen zu beobachten. Dennoch ist die Schaden-Nutzen-Bilanz von Antibiotika stets sorgfältig abzuwiegen. Oft kann der Körper sich vollständig selbst helfen. Bei potenziell gefährlichen Verläufen ist es aber geboten, Antibiotika einzusetzen.
In der Hochzeit der Pandemie haben sich viele Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen, auch die Grippe-Impfquoten stiegen – wie sieht es jetzt aus? Welche Impfungen empfehlen Sie aktuell für wen?
Viele Menschen haben, auch schwere, Coronainfektionen selbst oder bei anderen miterlebt. Der individualmedizinische Nutzen der Coronaimpfung stand daher bei Vielen im Fokus. Davon hat auch die Grippe-Impfquoten „profitiert“. Heute ist das Coronavirus nicht mehr so gefährlich und präsent, wodurch der Impfenthusiasmus wieder abgeflaut ist. Um schweren Verläufe vorzubeugen, kommt eine Corona- und Grippeimpfung für alle Menschen ab 60 Jahren in Frage, bei Risikogruppen auch früher.
Was kann jeder und jede Einzelne tun, um sich zu schützen?
Alles, was physisch, psychisch und sozial gesund hält, kann auch Infektionskrankheiten vorbeugen. Je gesünder man insgesamt ist, umso geringer fällt auch das Krankheitsrisiko aus. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass krank sein keine Schwäche ist, sondern ein Zeichen des Körpers sein kann, auf sich zu achten. Im Krankheitsfall selbst hat uns die Coronapandemie Wichtiges gelehrt: Zuhause bleiben, anstatt krank zu arbeiten, bei Bedarf eine Maske zu tragen und Hygieneregeln einhalten. Das tut nicht nur der persönlichen Genesung gut, sondern schützt auch andere.