Die hausärztliche Gemeinschaftspraxis von Sabrina Schygulla in Ahnatal in Nordhessen hat als erste Praxis das Siegel in der Ausprägung „Exzellent“ erreicht. Im Interview erklärt sie, warum sich eine Arztpraxis mit Nachhaltigkeit beschäftigen sollte und was sich durch das Siegel in ihrer Praxis verändert hat.
Sabrina Schygulla und ihr Kollege Andreas Weyandt
Warum haben Sie sich für das Qualitätssiegel „Nachhaltige Praxis“ angemeldet?
Das Gesundheitswesen hat einen hohen CO2-Ausstoß. Für mich und das Praxisteam ist klar, dass auch wir als Arztpraxis unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen. Deshalb haben wir schon immer viel Wert auf Nachhaltigkeit gelegt und umweltbewusste Prinzipien in unseren Praxisalltag integriert. Schließlich sind wir als Arztpraxis von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen: Hitzewellen oder neue Krankheitserreger haben Einfluss auf die Gesundheit unserer Patientinnen und Patienten und damit auf unsere tägliche Arbeit. Als wir von dem Siegel erfahren haben, meldeten wir uns direkt dafür an.
Wie lief der Weg von der Anmeldung bis zum Siegel ab?
Ehrlicherweise waren wir von den Anforderungen des Siegels zunächst etwas überwältigt, haben uns aber zum Glück nicht abschrecken lassen. Eine unserer Mitarbeiterinnen hat dann an den Online-Schulungen teilgenommen und das erlernte Wissen im Team geteilt. In mehreren Teambesprechungen haben wir Nachhaltigkeitsziele und -maßnahmen für unsere Praxis erarbeitet. Zum Beispiel haben wir uns viel mit einer klimasensiblen Patientenberatung beschäftigt und einen Hitzeschutzplan entwickelt. Unsere Nachhaltigkeitsziele sind jetzt in unserem Praxisleitbild verankert und für das gesamte Team verbindlich. Und nachdem wir alle Anforderungen für das Siegel erfüllt und im Audit nachgewiesen hatten, haben wir das Siegel sogar in der Exzellenzstufe erhalten.
Zur Person
Sabrina Schygulla ist eine hausärztlich tätige Fachärztin für Innere Medizin in Ahnatal, nördlich von Kassel. In ihrer hausärztliche Gemeinschaftspraxis legen ihr Team und sie seit Jahren Wert auf Nachhaltigkeit. Mit Ökostrom, einer PV-Anlage, recyceltem Papier und einer möglichst nachhaltigen Medikamentenverschreibung hat die Praxis bereits vor dem Erreichen des Siegels auf viele Nachhaltigkeitsaspekte Wert gelegt.
Was hat sich seitdem im Praxisalltag zu Gunsten von Nachhaltigkeit verändert?
Dadurch, dass wir uns schon vorher viel mit Klimaschutz beschäftigt hatten, sind wir mit einem gewissen Vorsprung gestartet, zum Beispiel beim Thema Energie. Durch unsere Photovoltaik-Anlage beziehen wir schon länger Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien. Große Bausteine der Anforderungen des Siegels im Bereich Energie hatten wir so bereits erfüllt. Mit Maßnahmen wie LED-Leuchten und Außenjalousien zum Hitzeschutz konnten wir das noch ergänzen. Außerdem haben wir unsere Büroarbeit weitestgehend digitalisiert, bündeln unsere Bestellungen von Gebrauchsmaterialien und achten verstärkt auf kurze Lieferketten bei unserem medizinischen Bedarf.
Welche Rolle spielt eine klimabezogene Patientenversorgung in Ihrer Praxis?
Eine sehr große Rolle sogar. Teil unseres Gesundheits-Check-ups ist jetzt eine klimasensible Beratung. Darin klären wir Patientinnen und Patienten unter anderem über Co-Benefits auf, also Maßnahmen, die sowohl der Gesundheit als auch dem Klimaschutz dienen, zum Beispiel eine überwiegend pflanzliche Ernährung. Wir denken das Gesundheitsrisiko ‚Klima‘ bei der Behandlung immer mit und sensibilisieren unsere Patientinnen und Patienten für klimabedingte Gesundheitsbeschwerden. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir ältere und mehrfacherkrankte Patientinnen und Patienten im Sommer eher in den frühen Morgen- oder Abendstunden behandeln, um sie vor Hitze zu schützen. Außerdem warnen wir sie bei bevorstehenden Hitzeperioden und informieren über mögliche Anpassung von Medikamenten bei Hitze.
Und es gibt noch einige andere Stellschrauben in der Versorgung: So setzen Asthma-Sprays beispielsweise viel CO2 frei. Hier versuchen wir verstärkt ökologischere, aber medizinisch gleichwertige Alternativen zu verordnen, wenn die Patientinnen und Patienten das auch möchten. Auch grundsätzlich ist wichtig zu hinterfragen, welche Medikamente in welcher Dosis überhaupt eingenommen werden müssen. So vermeiden wir Übermedikation oder Überdosierung.
Sie haben das Exzellenz-Siegel erreicht. Ist jetzt alles in Sachen Nachhaltigkeit erreicht oder wie geht es jetzt weiter?
Nein, das ist ein Prozess, an dem wir immer dranbleiben werden. Zum Beispiel wollen wir zukünftig zu einer nachhaltigen Bank wechseln und mehr Videosprechstunden durchführen. Das Thema Nachhaltigkeit bietet eben viele verschiedene Handlungsansätze. Und wenn ich höre, was andere Arztpraxen in Sachen Nachhaltigkeit machen, motiviert mich das sehr, weiter dranzubleiben. Wir bekommen übrigens auch viel positive Rückmeldung von unseren Patientinnen und Patienten, die sagen, dass das nachhaltige Engagement ganz in ihrem Sinne und dem ihrer Enkelkinder ist.
Qualitätssiegel “Nachhaltige Praxis”
Die Techniker Krankenkasse hat in Zusammenarbeit mit dem aQua-Institut das Siegel „Nachhaltige Praxis – Klima. Umwelt. Mensch.“ ins Leben gerufen. Dieses Siegel zeichnet Arztpraxen aus, die ökologische und soziale Standards erfolgreich in ihren Arbeitsalltag integrieren. Dafür gibt es ein umfangreiches eLearning-Angebot. Arztpraxen, die am Selektivvertrag „Hausarztzentrierte Versorgung“ (HzV) teilnehmen, erhalten für das Siegel in vielen Regionen einen Innovationszuschlag. Die Exzellenzstufe erreichen Praxen, die besonders viele der Anforderungen des Siegels umfangreich umsetzen. Mehr zum Siegel und zur Anmeldung erfahren Sie hier.