Johanna Küther

„Einsamkeit hat eine Funktion wie Hunger“

Endlich raus von Zuhause, Orientierungswoche und Wohnheim-Partys – der Beginn eines Studiums klingt wie ein Garant für neue Kontakte und jede Menge Spaß. Doch auch in dieser Lebensphase ist Einsamkeit ein Thema. Deshalb haben sich TK und die HAW Hamburg zu einem Pilotprojekt zusammengetan.

Der Einsamkeitsreport, den die TK Ende 2024 veröffentlicht hat, zeigt: Insbesondere junge Menschen zwischen 18 und 39 Jahren sind von Einsamkeit betroffen. Dass Einsamkeit auch an Hochschulen ein Phänomen ist, beobachtet Sonia Lippke, Professorin für Gesundheitsförderung und Prävention an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg, aus nächster Nähe: „Viele Studierende befinden sich ja in einer Emanzipationsphase. Ihr Lebensmittelpunkt verschiebt sich und die Verbundenheit mit der Familie wird lockerer.“ Wenn dann noch Konflikte hinzukommen oder andere Belastungsfaktoren, kann sich auch ein Gefühl von Einsamkeit einstellen, berichtet sie. Denn eigentlich ist „Familie in Sachen Einsamkeit ein schützender Faktor. Ein Netzwerk, das die Einsamkeit Einzelner aushält. Anders als zum Beispiel bei Übergewicht wirkt die Familie hier wie ein Puffer, der die Ausbreitung von Einsamkeit hemmt.“

Sabine König arbeitet im Team Gesundheitsmanagement der TK

Fokus des Gesundheitsmanagements

Weil Einsamkeit das Wohlbefinden beeinträchtigt und auf Dauer krank machen kann, widmet sich das hochschulische Gesundheitsmanagement der HAW Hamburg nun im Rahmen eines Pilotprojektes gemeinsam mit der TK diesem wichtigen Thema. Dafür startet zunächst eine dreiwöchige Befragung unter Studierenden und Mitarbeitenden. „Das Besondere an dieser Befragung ist, dass uns mit dem Einsamkeitsreport der TK eine bevölkerungsrepräsentative Erhebung vorliegt und wir nun einen Teil dieser Fragen auch im Hochschulkontext nutzen“, freut sich Sabine König aus dem Gesundheitsmanagement der TK, die das Projekt betreut. So lassen sich Vergleiche ziehen. Darüber hinaus werden Maßnahmen zur Einsamkeitsprävention und Verbundenheit entwickelt, umgesetzt und ausgewertet. König: „Daraus entsteht dann eine Toolbox mit Maßnahmen, an denen sich auch andere Hochschulen orientieren können.“

Einsamkeit im Hörsaal

Das ist wichtig, denn die Probleme treffen nicht nur einzelne Bildungseinrichtungen. „Viele der jetzigen Erstis hatten während Corona ihre Hauptentwicklungsphase und konnten wegen der Kontaktbeschränkungen wichtige soziale Kompetenzen nicht entwickeln“, betont Prof. Sonia Lippke. Das betrifft zum Beispiel die Konfliktfähigkeit, aber auch das gemeinsame Aushalten von Langeweile in Pausenzeiten und die Kreativität, die daraus entstehen kann. Und ohne diese Fähigkeiten kann es schnell einsam werden. Um den Einfluss der Pandemie wissen auch Sabine König und ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsmanagement: „Studierende leiden zunehmend an psychischen Belastungen und die Pandemie scheint diesen Trend noch verstärkt zu haben. Das zeigt auch unser Gesundheitsreport 2023. Soziale Eingebundenheit kann diesen Belastungen entgegenwirken, denn sie trägt zur Resilienz bei.“

Sonia Lippke ist Professorin für Gesundheitsförderung und Prävention an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg

Gesundheitliche Einschränkungen und Einsamkeit stehen auch in Beziehung. Prof. Lippke: „Zum Glück wurden in den vergangenen Jahren viele Barrieren abgebaut, so dass es heute auch für Menschen mit körperlichen oder mentalen Problemen einfacher ist, ein Studium zu beginnen.“ Das bedeutet im Zweifelsfall aber eben auch, dass sie sich nicht so leicht zurechtfinden und Einsamkeit entstehen kann. Denn paradoxerweise braucht Einsamkeit ja die Gesellschaft anderer. „Wann fühlen sich Studierende denn einsam? Wenn sie in der Mensa sitzen, zwischen anderen Menschen, die scheinbar alle befreundet sind. Das können viele nicht aushalten und greifen zum Handy, um zu chatten, um sich abzulenken. Aber das ist oft keine echte Verbundenheit, das ist Vernetzung“, so die Projektleitung des Hochschulischen Gesundheitsmanagements und des Pilotprojektes an der HAW.

Verbindung fördern

Wie können wir also Verbundenheit herstellen? Nicht mit noch mehr Chats und Social-Media-Konsum, ist Prof. Lippke überzeugt. „In unserer digitalisierten Welt bleibt etwas auf der Strecke. Wir Menschen haben seit Jahrhunderten dieselben Bedürfnisse, zum Beispiel die nach physischem Kontakt.“ Dabei geht es bei der Entwicklung von Angeboten auch um das Framing: „Wir brauchen keine Angebote gegen Einsamkeit, wer geht denn da wirklich hin? Die Angebote müssen Betroffene anderweitig ansprechen, wir müssen über einen verbindenden Aspekt kommen“. Das kann zum Beispiel gemeinsames Gärtnern, ein Reparaturcafé oder die Freude am Spazierengehen sein. „Generell – und das sehen wir ja auch im Einsamkeitsreport der TK – sind Naturerlebnisse eine gute Möglichkeit mit sich, mit der Natur und eben auch mit anderen in Verbindung zu kommen. Wir sehen in bisheriger Forschung, dass in den meisten Menschen das Bedürfnis nach Naturverbundenheit steckt. Über die Verbindung oder auch das gemeinsame Tun kann Einsamkeit überwunden und soziale Verbundenheit und Unterstützung mobilisiert werden.“

Partizipation als Schlüssel

Angebote partizipativ zu entwickeln ist dabei ein wichtiger Erfolgsfaktor. „Die Studierenden hatten zum Beispiel die schöne Idee, die Grünflächen zwischen den Gebäuden mit Bänken, Tischen und Steckdosen auszustatten.“ So können hier Begegnungsorte entstehen, gemeinsam gearbeitet oder die in Hamburg doch ab und zu durch die Wolkendecke schauende Sonne genossen werden. „Die Partizipation der Studierenden ist ganz wichtig für die Akzeptanz der Maßnahmen. Die Angebote werden ja für sie und die Mitarbeitenden entwickelt, daher ist es elementar, dass sie im Entstehungsprozess stark eingebunden sind“, betont Sabine König. Dabei werden zum Beispiel Onboardingprozesse, aber auch bestimmte Zeitpunkte eines Studiums, wie zum Beispiel die Rückkehr aus dem Auslandssemester, näher unter die Lupe genommen, in denen jemand anfälliger für Einsamkeitserleben ist.

Strategien gegen Einsamkeit

Einsamkeit ist im gesellschaftlichen Diskurs, ja sogar im Koalitionsvertrag angekommen. Dennoch bleibt sie ein Tabuthema, ein Stigma scheint denen anzuhaften, die einsam sind. „Einsamkeit hat eine Funktion, so wie Hunger und Durst. Was tun wir, wenn wir durstig sind? Trinken! Und so sollten wir auch die Einsamkeit begreifen. Als ein Signal, das uns motiviert, etwas zu verändern.“ Das heißt: Nicht ablenken, nicht betäuben, so die Devise von Prof. Sonia Lippke. „Raus in die Natur, idealerweise nicht allein.“ Sich einem Thema widmen, das einen antreibt, sich um etwas in der Gemeinschaft kümmern und so in Verbindung kommen. Gleichzeitig auch die eigenen Erwartungen überprüfen: „Vielleicht melde ich mich einfach mal wieder bei der Kommilitonin oder dem Projektpartner oder lache im Vorbeigehen jemanden an, anstatt zu erwarten, dass nur andere das tun.“



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