Dr. Jens Baas

GKV-Tag: Kurskorrektur statt Beitragsspirale

Der GKV-Tag ist der Tag der rund 74 Millionen GKV-Versicherten. Die GKV-Mitglieder und ihre Arbeitgeber zahlen Beiträge, damit sie im Krankheitsfall gut versorgt sind. TK-Chef Dr. Jens Baas erklärt, warum es zum Problem wird, wenn zu dieser Versorgungsaufgabe für die Krankenkassen immer mehr Zusatzaufgaben in Form finanzieller Verpflichtungen kommen.

Was haben Krankenhausinvestitionen, die Kosten für die Krankenversicherung von Bürgergeldempfängern und Rentenbeiträge für pflegende Angehörige gemeinsam? Bei ihrer Finanzierung zahlen die Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und Pflegeversicherung schon heute kräftig mit – obwohl eigentlich andere zuständig wären. Das Prinzip “geht auf die Beitragszahler” ist nicht neu, allerdings verschärft das derzeitige kategorische „Nein“ aus dem Finanzministerium eine Situation, in der Gesundheitsversorgung ohnehin immer teurer wird. Schon heute treiben diese von der Politik geschaffenen zusätzlichen Belastungen die Beiträge in die Höhe. Gleichzeitig sind weitere Zusatzaufgaben längst in der Pipeline. 

Beispiel Modernisierung: Nach langem Hin und Her kam Mitte März mit dem Referentenentwurf doch noch Bewegung in die dringend notwendige, aber politisch stockende Krankenhausreform. Sie soll die Kliniklandschaft für die Zukunft und für mehr Qualität aufstellen. Für Krankenhausinvestitionen sind eigentlich die Bundesländer zuständig. Der aktuelle Gesetzentwurf bürdet allerdings allein den Beitragszahlern die Hälfte der 50 Milliarden Euro Umbaukosten auf, obwohl Kliniken auch von privat Versicherten und Selbstzahlern genutzt werden.  

Beispiel Förderung bestimmter Stadtteile: Auch die als Gesundheitskioske geplanten Beratungsstellen in sozioökonomisch benachteiligten Stadtteilen oder Gebieten sollen überwiegend durch Beitragsgelder finanziert werden – obwohl dort auch Beratungsangebote in der Diskussion sind, die keine Aufgaben der Krankenkassen sind. Unabhängig davon, ob man diese Einrichtungen für sinnvoll hält oder nicht, definitiv handelt es sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. 

Beispiel Standortförderung für Unternehmen: Der Standort Deutschland soll für Pharmaunternehmen attraktiver werden grundsätzlich ist nichts an der politischen Entscheidung auszusetzen, bestimmte Branchen zu fördern. Allerdings ist Wirtschaftsförderung eine gesamtgesellschaftliche, also Staats- und nicht GKV-Aufgabe auch wenn es um Unternehmen aus dem Themenfeld Gesundheit geht. Und dennoch sollen künftig die Beitragszahlenden Standortförderung für die Pharmaindustrie finanzieren, so sehen es das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz, die Pharmastrategie der Bundesregierung und der Entwurf des Medizinforschungsgesetzes vor. Hinzu kommt zudem die inhaltliche Problematik, dass ein bloßes “mehr Geld” sowohl als zentrales Standortargument als auch für die Bekämpfung von Lieferengpässen ohnehin zu kurz greift, und stattdessen die Rahmenbedingungen für Forschung und Produktion sowie Lieferketten weltweit betrachtet werden müssen. Und selbst wenn Medikamente vor Ort produziert werden, heißt das nicht, dass sie dort dann auch zur Verfügung stehen.  


Beispiel Ausbildungsförderung:
Als (Aus)Bildungsförderer sollen sich die Beitragszahlenden künftig stärker betätigen: Mit dem geplanten Physiotherapieberufereformgesetz sollen die Schulgelder für angehende Physiotherapeutinnen und therapeuten entfallen und stattdessen eine Ausbildungsvergütung eingeführt werden. Ungefähr ein Drittel der Kosten soll laut Ministerium die gesetzliche Krankenversicherung tragen. Die Entscheidung, besonders nachgefragte Berufsgruppen durch eine kostenfreie oder vergütete Ausbildung zu fördern, ist sinnvoll – diese Art der Bildungsförderung ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss aus Steuermitteln bezahlt werden. 

Wir brauchen eine politische Kurskorrektur mit dem Ziel, finanzielle Verantwortung endlich fair zu verteilen.

Dr. Jens Baas

Die Liste schon bestehender und geplanter Zusatzaufgaben ließe sich weiter fortsetzen. Dabei beträgt schon heute der Anteil für die Sozialversicherung bei durchschnittlichem Krankenkassenzusatzbeitragssatz für einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin mit einem Kind 40,9 Prozent vom Bruttolohn. Die bis noch vor Kurzem in der Politik – zumindest rhetorisch – eisern verteidigte 40-Prozent-Grenze ist für die meisten längst gefallen. Immer mehr gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf Beitragszahlende der Gesetzlichen Krankenversicherung abzuwälzen, führt diese an die Belastungsgrenze und treibt die Beitragsspirale in die Höhe. Wir brauchen eine politische Kurskorrektur mit dem Ziel, finanzielle Verantwortung endlich fair zu verteilen. 



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