Kerstin Grießmeier

GKV-Finanzen: „Echte Lösung blieb bislang aus“

Wie gelingt es, die Finanzierung von Gesundheit zukunftssicher aufzustellen? Das ist die zentrale gesundheitspolitische Frage der aktuellen Legislaturperiode. TK-Vorstand Dr. Jens Baas und TK-Politikchef Prof. Volker Möws erläutern, wie Lösungen aussehen könnten.

TK-Chef Dr. Jens Baas

Sie beide haben jüngst eine ausführliche Vorschlagsliste für die Sanierung der GKV-Finanzen veröffentlicht. Warum ist das notwendig?

Baas: Die GKV startete in jüngster Vergangenheit wiederholt mit Milliardenlücken ins neue Jahr. Eine echte Lösung blieb bislang aus. Die Gegenmaßnahmen setzten die falschen Schwerpunkte: Sie wirkten nur punktuell, konzentrierten sich vor allem auf die Einnahmen und belasteten die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler immens. So kann es nicht weitergehen.

Möws: Nun hat das Bundesgesundheitsministerium den gesetzlichen Auftrag, echte Lösungsansätze zu liefern. Jedoch gibt es nach wie vor keine Haushaltseckpunkte, wichtige Bezugsgrößen fehlen also – das macht die Aufgabe nicht einfacher. Wir als TK setzen uns natürlich auch mit der Finanzierungsfrage auseinander und haben in diesem Zuge entsprechende Ansätze zusammengetragen, wie eine zukunftsfähige Finanzierung sichergestellt werden kann.

Worauf kommt es bei einer sicheren Finanzierung an?

Baas: Eine Lösung funktioniert nur, wenn Einnahmen- und Ausgabenseite berücksichtigt werden. Das Thema Kostendämpfung wurde leider von der Politik bislang vernachlässigt. Hier gibt es also großen Handlungsbedarf, um dem stetigen Ausgabenanstieg entgegenzuwirken und für Herausforderungen wie den demografischen Wandel besser gewappnet zu sein. Die gute Nachricht ist: Möglichkeiten zur Kostendämpfung sind ganz klar da – aber die Politik muss aktiv werden.

Prof. Volker Möws leitet bei der TK den Geschäftsbereich Politik & Kommunikation.

Möws: Dabei gilt je früher, desto besser: Es bedarf kurzfristig umsetzbarer und schnell wirksamer Maßnahmen zur Sofortentlastung, es müssen aber auch langfristig wirksame Themen angegangen werden, damit die Kosten in der Zukunft nicht völlig aus dem Ruder laufen. Stichwort Digitalisierung oder Strukturreformen in der Versorgung. Auch wenn Entlastungen dadurch erst in einigen Jahren spürbar werden: Die Weichen müssen jetzt gestellt werden.

Wenn von Kostendämpfung die Rede ist – ist das ohne Leistungskürzungen überhaupt möglich?

Baas: Ja, ist es. Allerdings muss das Gesundheitssystem effizienter werden. Dazu gehört, genau hinzuschauen, wofür Beitragsgelder ausgegeben werden. Fließen sie – gemäß ihrem Zweck – in die notwendige Versorgung oder versickern sie in überflüssigen Strukturen, Doppeluntersuchungen, extrem hohen Gewinnen von Pharmaunternehmen oder in Aufgaben, die eigentlich dem Staat obliegen? Wenn die Politik das Thema Effizienz ernst nimmt, brauchen wir noch lange nicht von Leistungskürzungen sprechen.

Was ist zu tun?

Möws: Beim Thema Arzneimittel muss der Gesetzgeber tätig werden. Die Ausgaben steigen überdurchschnittlich, was vor allem an neuen Arzneimitteln liegt, für die immer höhere Preise verlangt werden. Hier brauchen wir dringend eine faire Preisgestaltung. Eine kurzfristige und deutliche Entlastung würde der ermäßigte Umsatzsteuersatz auf Arzneimittel bringen – das sind 5 bis 6 Milliarden Euro im Jahr. Der ermäßigte Satz gilt zum Beispiel für Tierarzneien, während die Solidargemeinschaft nach wie vor den vollen Satz auf Arzneimittel bezahlen muss.

Baas: Auf dem Weg zu mehr Effizienz haben die Krankenkassen eine wichtige Rolle. Wir sind zu einem wirtschaftlichen Umgang mit den Beitragsgeldern verpflichtet und stehen zueinander im Wettbewerb. Das ist eine gute Ausgangsposition, um für einen effizienten Mitteleinsatz zu sorgen. Allerdings wurden wir Kassen in dieser Funktion in jüngster Vergangenheit eher eingeschränkt als gestärkt, trotz der gesetzlichen Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln.

Inwiefern?

Baas: Beispielsweise dürfen Krankenkassen seit einigen Jahren nur noch in einem begrenzten Umfang Krankenhausrechnungen prüfen. Seit vergangenem Jahr gibt es feste Quoten, wie oft der Medizinische Dienst in die Prüfung eingebunden werden darf. Die liegen zwischen 5 und 15 Prozent. Hier brauchen wir wieder mehr Handlungsspielräume.

Was muss sich noch ändern?

Möws: Im Bereich Hilfsmittel sind die Ausgaben in den vergangenen Jahren immens gestiegen, auch weil Krankenkassen die Versorgung nicht mehr ausschreiben dürfen, obwohl Ausschreibungen ein transparenter Weg zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis sind. Deshalb sollten wir bei geeigneten Produkten zum Ausschreibungsverfahren zurückkehren. Immer wieder wurde behauptet, Ausschreibungen verhinderten eine hochwertige Versorgung. Aber Ausschreibungen und Qualität sind kein Widerspruch in sich – ganz im Gegenteil. Ausschreibungen eignen sich sehr gut, um Qualitätskriterien darin zu verankern.

Und beim Thema Einnahmen?

Baas: Zu den konkreten sinnvollen Sofortmaßnahmen gehört, dass der Staat endlich kostendeckende Beiträge bei Bezug von Bürgergeld zahlt und der seit 2017 quasi unverändert geltende reguläre Steuerzuschuss für versicherungsfremde Leistungen dynamisiert wird. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze ist hingegen kontraproduktiv: Hier zahlen erneut die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler drauf und die GKV wird im Wettbewerb zur PKV geschwächt.

Spätestens Ende Mai sollen die BMG-Vorschläge auf dem Tisch liegen – wird das ausreichen?

Baas: Maßnahmen zur Stabilisierung der GKV-Finanzen zu entwickeln, ist ein wichtiger Schritt. Damit ist das Thema aber längst nicht erledigt, im Gegenteil:  Die Fragen nach der Effizienz und einer fairen Finanzierung müssen sich wie ein roter Faden durch die Gesundheitsgesetzgebung ziehen.

Möws: Es bringt ja nichts, nun ein Paket von Maßnahmen zur Kostendämpfung zu schnüren und gleichzeitig mit neuen Gesetzesvorhaben die Kosten wieder in die Höhe zu treiben, ohne dadurch die Versorgung zu verbessern. Themen wie Gesundheitskioske, die UPD-Stiftung oder Gesundheitsregionen gilt es kritisch zu hinterfragen.  Auch bei der Krankenhausreform darf die avisierte Kostenneutralität nicht aus dem Fokus geraten.

Weitere Infos

„Effizienz braucht Wettbewerb“: In einem Gastbeitrag, der am 1. März 2023 in Recht und Politik im Gesundheitswesen (RPG) erschienen ist, zeigen Dr. Jens Baas und Prof. Dr. Volker Möws mögliche Lösungsansätze zur zukunftssicheren Finanzierung von Gesundheit auf. Den kompletten Beitrag finden Sie hier zum Nachlesen.



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