Wie wird man Einsamkeitsbeauftragte?
Ich bin seit fast zehn Jahren in der öffentlichen Verwaltung tätig und habe mir in dieser Zeit ein gutes Netzwerk in Reinickendorf mit den verschiedenen Organisationen, Institutionen und Trägern aufgebaut. Seit Februar bin ich Ehrenamtsbeauftragte, im Juli habe ich die Position der Beauftragten für Einsamkeit übernommen, denn beide Themen sind eng verknüpft: Viele Menschen, die ehrenamtlich tätig sind, helfen anderen, aus ihrer Einsamkeit herauszufinden. Genauso kann ein Ehrenamt ein Weg aus der Einsamkeit sein. Unsere Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner hat das Problem der Einsamkeit schon vor vielen Jahren erkannt und mit der Schaffung dieser Stelle in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Mich reizt es, aktiv an Lösungen zu arbeiten, um Menschen in Reinickendorf zu unterstützen, die unter Einsamkeit leiden.
Was sind Ihre Aufgaben?
Als Einsamkeitsbeauftragte mache ich das Thema Einsamkeit und die verfügbaren Angebote in Reinickendorf sichtbar. Dafür arbeite ich eng mit sozialen Trägern, dem Ehrenamtsbüro, anderen Fachbereichen und Beauftragten im Bezirksamt zusammen. Außerdem geht es darum, den Betroffenen die vielfältigen Anlaufstellen und Projekte aufzuzeigen, die unser Bezirk bereits bietet. Wir haben uns in Reinickendorf gut vernetzt und Einrichtungen für das Thema sensibilisiert. Zudem bin ich Ansprechpartnerin für das Bezirksamt und externe Partner, organisiere Fachkonferenzen und Veranstaltungen, um das Thema kontinuierlich weiterzuentwickeln. Öffentlichkeitsarbeit spielt eine zentrale Rolle – Broschüren, Informationsmaterial und Kampagnen sind wichtige Mittel, um die Bevölkerung zu erreichen.
Wie sahen Ihre ersten Monate im Amt aus?
Ich habe zunächst viele Gespräche geführt, um zu verstehen, welche Maßnahmen es bereits gibt und wo die Lücken sind. Es gibt eine interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft „Einsamkeit-EXIT“, in der Projekte vorgestellt, besprochen und geplant werden. Durch die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Thema jetzt erhält, trauen sich immer mehr Betroffene, über ihre Einsamkeit zu sprechen und suchen aktiv nach Hilfe. Das ist wichtig. Im Oktober starten wir eine Aktion, bei der über 100 Anlaufstellen für Betroffene bekannt gemacht werden. Das Bezirksamt Reinickendorf bietet verschiedene Angebote und Aktivitäten an, die darauf abzielen, soziale Kontakte zu fördern und die Lebensqualität zu verbessern. So besteht beispielsweise die Möglichkeit für Menschen ab 70 sich durch die Berliner Hausbesuche über die Vielfalt der bezirklichen Angebote beraten zu lassen.
Was sind die Schmerzpunkte der Betroffenen, was wünschen sie sich?
Die größte Herausforderung ist, dass Einsamkeit oft unsichtbar bleibt. Viele Menschen leiden im Stillen, sei es aus Scham oder weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Es braucht niedrigschwellige Angebote, die gut erreichbar und zugänglich sind. Viele Menschen wünschen sich regelmäßige Treffpunkte, wo sie zwanglos mit anderen in Kontakt treten können. Ein weiteres großes Anliegen der Betroffenen ist die Möglichkeit, wieder Sinn im Alltag zu finden – sei es durch ehrenamtliches Engagement oder soziale Aktivitäten. Deshalb hat das Bezirksamt Reinickendorf bereits drei „Quasselbänke“ aufgestellt – das sind spezielle Sitzbänke, die Menschen dazu einladen, ins Gespräch zu kommen. Weitere Bänke werden folgen. Außerdem planen wir Stammtische in den einzelnen Ortsteilen als regelmäßige Veranstaltungen, um Menschen wieder in Kontakt zu bringen.
Was steht an konkreten Projekten an?
Ein Highlight wird der 16. Dezember, der in Reinickendorf zum offiziellen „Tag gegen Einsamkeit“ erklärt wird, und an dem der jährliche Einsamkeitsgipfel unter der Schirmherrschaft von Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner stattfindet. Hier kommen Fachexperten, Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Praxis, aber auch aus der Zivilgesellschaft sowie Ehrenamtliche zusammen, um Ideen zu entwickeln, sich zu vernetzen und auszutauschen. Dabei werden Handlungsempfehlungen in den Bereichen Mobilität, Prävention, Digitalisierung und zum Abbau von Stigmata entwickelt. Diese Zusammenarbeit ist entscheidend, um langfristig wirksame Maßnahmen für Reinickendorf zu schaffen. Der Schwerpunkt 2024 liegt auf der älteren Bevölkerung, die besonders stark betroffen ist. Einsamkeit betrifft aber alle Altersgruppen, auch Jüngere und Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, wie Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund oder Erwerbslose. Statistiken zeigen, dass jede zehnte Person in Großstädten wie Berlin betroffen ist. Im kommenden Jahr widmen wir uns verstärkt der Jugend.