Dr. Jens Baas

GKV-Finanzen stabilisieren: Die Vorschläge liegen längst auf dem Tisch

Nachrichten über immer größere Finanzdefizite in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erhitzen aktuell die Gemüter. Überraschend kommen diese Defizite aber nicht. Die Lage der GKV-Finanzen  ist schon lange prekär. Dabei sind Maßnahmen, um Versicherte und Arbeitgeber finanziell zu entlasten, bekannt und schnell umsetzbar, schreibt TK-Chef Dr. Jens Baas.

Die GKV-Finanzen bleiben weiter ein Notfall. Aktuell ist die Rede von vertraulichen „Geheimprognosen“ zu Milliarden-Defiziten in der GKV. Neu oder gar überraschend ist die Erkenntnis, dass die Beiträge weiter steigen werden, wenn die Regierung nichts unternimmt, aber nicht. Geheim ebenso wenig.

Die Ausgaben in der GKV steigen jedes Jahr um sechs bis acht Prozent und damit viel stärker als die Einnahmen. Gleichzeitig bleiben wirksame Gegenmaßnahmen aus – obwohl es zahlreiche Vorschläge gibt. Und solange dieser politische Stillstand anhält, werden die Beitragssätze weiter steigen. Dagegen helfen auch die geplanten Darlehen des Bundes für die GKV nicht. Zum einen sind die Summen viel zu gering. Zum anderen verschieben sie das Problem lediglich, denn die Kredite müssen in Zukunft von den Versicherten zurückgezahlt werden.

Nur drei der Maßnahmen, um die GKV kurzfristig zu entlasten

Die Vorschläge der Expertenkommission kommen zu spät

Dass es Handlungsbedarf gibt, ist kein Erkenntnisproblem. Anstatt direkt zur Tat zu schreiten, soll es nun jedoch erst einmal eine Expertenkommission geben, die Vorschläge erarbeiten soll. Diese Vorschläge und ihre mögliche Umsetzung werden jedoch zu spät kommen, um weitere Beitragssteigerungen in den nächsten Jahren zu verhindern.

Zumal Vorschläge für solche Maßnahmen seit langem auf dem Tisch liegen. Sie ließen sich kurzfristig umsetzen und könnten die GKV jedes Jahr um Milliardenbeträge entlasten, ohne die Versorgung einzuschränken. Eine Auswahl:

1. Herstellerrabatt auf patentgeschützte Arzneimittel anheben

Im Jahr 2024 gaben die gesetzlichen Krankenkassen über 55 Milliarden Euro für Arzneimittel aus – mehr als für ärztliche Behandlungen. Nur für Krankenhausbehandlungen wurde noch mehr ausgegeben. Insbesondere neue Medikamente werden immer teurer. Eine Erhöhung des Herstellerrabatts bei patentgeschützten Arzneimitteln von sieben auf zwölf Prozent könnte die GKV jedes Jahr um 1,6 bis 2 Milliarden Euro entlasten. Bei einer Erhöhung auf 17 Prozent sogar um mehr als drei Milliarden Euro.

2. Mehrwertsteuer auf Arzneimittel und Hilfsmittel senken

Wer am Pilzregal im Supermarkt zu den Trüffeln greift, muss beim Kauf sieben Prozent Mehrwertsteuer zahlen. Und auch in der Gastronomie will die Bundesregierung den Steuersatz wieder auf sieben Prozent absenken. Auf Medikamente werden hingegen 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig, hier plant die Regierung keine Änderung. Dabei könnte eine Absenkung auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent die GKV-Ausgaben jedes Jahr um rund sechs Milliarden Euro senken. Würde die Steuer ebenso für alle Hilfsmittel abgesenkt, ließen sich zusätzlich 720 Millionen Euro jährlich einsparen.

3. AMNOG-Verfahren auch im Krankenhaus anwenden

Nach den Regeln des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wird der Nutzen von Medikamenten bewertet und ein Erstattungsbetrag zwischen Herstellern und Krankenkassen verhandelt. Werden Medikamente aber im Krankenhaus verabreicht, gelten die Regeln des AMNOG nicht. Wenn man diese Lücke des Gesetzes schließen würde, ließen sich jedes Jahr bis zu 300 Millionen Euro einsparen.

4. Doppelfinanzierung des TSVG beenden

Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) sollte die ambulante Versorgung verbessert werden, indem Leistungen wie Terminvermittlungen extrabudgetär vergütet werden. Laut Bundesrechnungshof führte das Gesetz jedoch nicht zu den erhofften Terminverbesserungen für die Versicherten, sondern nur zu Mehrkosten für die GKV. Zudem werden die Terminvermittlungsleistungen mittlerweile sogar doppelt vergütet: einmal im Rahmen des normalen Budgets und ein weiteres Mal extrabudgetär. Ein Ende dieser Doppelfinanzierung könnte bei der GKV rund 225 Millionen Euro pro Jahr einsparen.

5. Fehler bei Entbudgetierung der Kinder- und Jugendärzte korrigieren

Die Entbudgetierung der Kinder- und Jugendärzte im Jahr 2023 hatte das Ziel, alle Leistungen voll zu bezahlen. Doch durch einen Methodenfehler des Gesetzgebers zahlt die GKV den Ärztinnen und Ärzte nun ein Vielfaches von dem, was für die vollständige Vergütung eigentlich nötig wäre. Eine Korrektur dieser Berechnungsvorgaben würde die GKV pro Jahr um mindestens 150 Millionen Euro entlasten.

6. Wieder Ausschreibungen für Hilfsmittel ermöglichen

Seit 2019 darf die GKV Hilfsmittel nicht mehr ausschreiben. Wenn Ausschreibungen wieder möglich werden, könnte die GKV jährlich um mindestens 350 Millionen Euro entlastet werden – durch in den Verträgen verankerte Qualitätsstandards ohne Einbußen bei der Versorgungsqualität.

7. Grundlohnsummenbindung bei Heilmitteln wieder einführen

Vor 2017 stieg die Vergütung der Heilmittelbranche im gleichen Maß wie Lohnsteigerungen in der Gesellschaft insgesamt. Das kam durch die Bindung an die sogenannte Grundlohnsumme, in die alle beitragspflichtigen Einnahmen eines Jahres aus der Krankenversicherung fließen. Seitdem die Politik 2017 die Kopplung an die Grundlohnsumme löste, sind die Ausgaben der GKV für Heilmittel jedoch stark gestiegen: um 3,5 Milliarden Euro auf insgesamt 13,3 Milliarden Euro im Jahr 2024. Zur Grundlohnsumme zurückzukehren, würde angemessene Vergütungsstrukturen sichern, ohne das System zu überlasten. Das würde die GKV jährlich um 500 Millionen Euro entlasten.

8. Kostendeckende Beiträge für Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger

Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld erhalten die gleiche medizinische Versorgung wie alle gesetzlich Versicherten. Das ist gut und richtig. Die Finanzierung dieser Versorgung ist eine staatliche Aufgabe und muss deshalb aus Steuermitteln erfolgen. Aktuell zahlt der Staat aber nur rund ein Drittel der benötigten Summe, den Rest zahlt die GKV. Eine komplette Übernahme der Finanzierung durch den Staat würde die GKV jährlich um rund zehn Milliarden Euro entlasten.

Fazit: Über 21 Milliarden Euro Einsparungen kurzfristig möglich

Allein mit diesen acht kurzfristig umsetzbaren Maßnahmen ließen sich jedes Jahr mehr als 21 Milliarden Euro einsparen und die Kostensteigerungen in der GKV bremsen. Und so auch Raum schaffen für Reformen, die die Finanzierung auch langfristig absichern. Eine Kommission und jahrelange Beratungen braucht es dafür nicht. Die Bundesregierung muss handeln. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch.



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1 Kommentar

  • RA

    Mir fällt inzwischen deutlich auf, dass die neue Regierung mehr Kommissionen mit jahrelangen Beratungen, meist bis mindestens Mitte 2027 als magische Zahl braucht, um mögliche Kostenentlastungen vor sich her zu schieben. Warum, wo doch ein immens hohes Haushaltsvolumen 2025 aufgenommen wurde?
    Tatsächlich würde die Umsetzung aller obigen 8 Vorschläge für alle Einzugsstellen und damit eine Entlastung der Zusatzbeiträge aller Krankenversicherten bringen. Die Frage ist also eher, aus welchem Grund das mit Kommissionen verhindert bzw. weit verschoben wird. Wer genau kann den Beitragszahlern die politischen Entscheidungen kurzfristig plausibel machen, ohne um den heißen Brei zu reden?