Was ist Positive Psychologie?
Die Positive Psychologie ist ein Forschungszweig, der sich mit dem gelingenden Leben beschäftigt. Wir setzen uns mit der Frage auseinander, welche Faktoren dazu beitragen, dass sich Menschen, Gruppen oder auch ganze Gesellschaften positiv entwickeln und Ressourcen aufbauen, um Gesundheit und Wohlergehen langfristig zu ermöglichen.
Prof. Dr. Judith Mangelsdorf hat die Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie gegründet.
Welche Faktoren sind das?
Ein sehr prominentes Modell, das psychologische Wohlbefinden, legt dafür sechs Aspekte zugrunde. Dazu gehört es, erfüllte Beziehungen zu haben und gleichzeitig das Gefühl von Autonomie, also über mein eigenes Leben bestimmen zu können. Weiter zählt dazu der Lebenssinn, also die Antwort auf die Fragen „Wofür bin ich da?“, “Was mache ich hier?“. Ein wichtiger Aspekt ist auch das Gefühl von „Mastery“, im Deutschen sprechen wir von Alltagsbewältigung. Das bedeutet, habe ich das Gefühl, dieses große Paket, das mein Leben ist, bewältigen zu können? Auch die Entwicklung ist ein wichtiger Faktor. Das meint sowohl die Fähigkeit, sich selbst weiterzuentwickeln, als auch sich den Entwicklungen des Lebens anzupassen. Die letzte große Säule ist Selbstakzeptanz, also ein „Ja“ zu mir als Person mit allen Stärken und Schwächen.
Das heißt Positive Psychologie hat gar nichts damit zu tun, immer das Gute in allem zu sehen?
Nein. Natürlich ist Optimismus in den meisten Fällen hilfreich, da Optimismus Handeln wahrscheinlicher macht. In der Forschung gab es gleichzeitig immer wieder die Frage, wie viel Zuversicht eigentlich sinnvoll ist. Wenn ich eine positive Zukunft nicht für möglich halte, werde ich mich auch nicht dafür einsetzen, dass sie wahr wird. Aber auch zu viel Zuversicht kann dazu führen, dass wir nicht ins Handeln kommen, weil wir uns darauf verlassen, dass schon alles gut werden wird. Es braucht also Optimismus, gepaart mit einer realistischen Einschätzung der Zukunft, die auch Hindernisse berücksichtigt.
Wir sind evolutionspsychologisch nicht dafür gemacht, uns den ganzen Tag mit den Krisen des gesamten Planeten auseinanderzusetzen.
Wie hilft uns Positive Psychologie bei Stress?
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass Lebensglück nicht auf der einen Seite und psychische Erkrankungen, auf die Stress ja einen wichtigen Einfluss hat, auf der anderen Seite desselben Kontinuums existieren. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Dimensionen: Ich kann gleichzeitig beispielsweise psychisch erkrankt sein und dennoch Lebensglück empfinden. Aber das Lebensglück beziehungsweise die Erfüllung ist ein sehr starker Schutzfaktor, um mit erhöhtem Stress und psychischen Erkrankungen umgehen zu können. Das heißt, wenn Menschen diese sechs Faktoren in ihrem Leben haben und pflegen, dann sorgen sie gleichsam dafür, dass sie zufriedener sind, mehr Erfüllung erleben und auch unter Stress psychisch gesünder sind und bleiben.
Ein großer Stressor sind beispielsweise weltweite Krisen oder der Klimawandel. Warum beeinflussen uns externe Krisen so sehr?
Weil genau hier das Gefühl von Autonomie und „Mastery“, das Gefühl von Möglichkeiten der Einflussnahme und der Bewältigbarkeit, abhandenkommt. Der große Unterschied zwischen persönlichen Krisen, wie zum Beispiel dem Verlust des Arbeitsplatzes, und den großen politischen und gesellschaftlichen Themen ist das Kontrollerleben. Persönliche Krisen kann ich als Individuum beeinflussen und sie sind zeitlich überschaubarer. Themen wie der gesellschaftliche Rechtsruck oder der Klimawandel hingegen sind nicht in demselben Maße von mir als einzelnem Menschen beeinflussbar und häufig deutlich längerfristiger.
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Wie sollten wir also damit umgehen?
Zum einen gibt es natürlich auch in diesem Bereich Möglichkeiten der Einflussnahme. Das nennen wir kollektive Selbstwirksamkeit. Den Klimawandel an sich werde ich als Einzelperson nicht aufhalten können. Aber ich kann Ideen haben, was es braucht, damit Veränderung möglich ist, und kann diese in Gemeinschaft mit anderen anstoßen. Wichtig ist dabei aber auch ein weiterer Aspekt: Wir sind evolutionspsychologisch nicht dafür gemacht, uns den ganzen Tag mit den Krisen des gesamten Planeten auseinanderzusetzen. Das heißt, wir müssen wieder lernen zu steuern, wann informiere ich mich aus welchem Grund, um uns nicht mit ungebremsten Nachrichtenkonsum und Doomscrolling zu überfordern. Zum Beispiel, indem ich mir digitale Detox-Zeiten nehme, Social-Media-Plattformen nur am Laptop, bewusst im Browser öffne und nicht auf dem Handy nutze oder mit einem Graustufenfilter Nachrichten und Social-Media-Konsum für mein Gehirn deutlich unattraktiver mache.
Mal abgesehen vom Umgang mit der Nachrichtenflut, welche Tipps haben Sie für einen gesunden Umgang mit Stress?
In der Positiven Psychologie fokussieren wir nicht ausschließlich darauf, Stress zu reduzieren, sondern darauf, gleichzeitig Lebensglück als wichtigen Resilienzfaktor aufzubauen. Dafür ist es beispielsweise zentral, wirklich Zeit zu investieren, um mit Menschen, die uns guttun, in den Kontakt zu treten. Das stärkt auf beiden Seiten Beziehungen, die mich in kritischen Zeiten unterstützen. Gleichzeitig sind diese Begegnungen zutiefst stressreduzierend, weil Oxytocin ausgeschüttet und damit das Stresshormon Cortisol gesenkt wird. Kontakt zu anderen, aber auch Kontakt zu mir selbst ist wichtig. Und das am besten in der Natur und in Bewegung – und zwar medienfrei. Zentral ist auch: das bewusste Herstellen von positiven Momenten oder Erfahrungen. Wer schon morgens bewusst in den Tag startet und sich beispielsweise drei Dinge vornimmt, die er oder sie heute umsetzen möchte, kann damit einen großen Unterschied im eigenen Leben machen. Das kann ein gutes Gespräch mit einem netten Menschen, ein Kaffee in der Sonne und die Tatsache sein, dass ich heute mit dem Rad statt mit dem Auto zur Arbeit fahre, weil ich weiß, dass es mir guttut. Denn positive Emotionen wirken nicht nur stark negativen Emotionen entgegen und sind angenehm in diesem Moment, sondern führen zu einer Aufwärtsspirale, die ein anderes Denken, Fühlen und letztlich Handeln ermöglicht und damit nachhaltig zu tiefem Lebensglück beitragen kann.
Zur Person
Prof. Dr. Judith Mangelsdorf ist Psychologin, Glücksforscherin und Professorin für Positive Psychologie an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport. Außerdem ist sie Direktorin und Mitgründerin der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie (DGPP).