Dr. Jens Baas

Wann, wenn nicht jetzt? Das erwarte ich von der nächsten Bundesregierung

In elf Wochen ist Bundestagswahl. TK-Chef Dr. Jens Baas liegen besonders drei gesundheitspolitische Handlungsfelder am Herzen, die für die nächste Legislaturperiode von großer Bedeutung sein werden.

Die derzeitige Regierung hat in den letzten Jahren viele Prozesse im Gesundheitswesen angeschoben, die ihre Wirkung in den kommenden Jahren entfalten werden. Dabei wurden wichtige Fortschritte erzielt, zum Beispiel im Bereich der Pflege. Hier wurde die Unterstützung Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen ebenso verbessert wie die Instrumente zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit. Auch im Krankenhausbereich wurden, wenn auch noch zu zaghafte, Weichen für eine bessere Versorgungsqualität und mehr Pflegekräfte gestellt.

An einigen Stellen besteht jedoch weiterhin Reformbedarf. Dazu gehören konkrete Lösungen für die Digitalisierung des Gesundheitssystems, Investitionen in die Versorgungsqualität und fairer Wettbewerb zwischen den Krankenkassen.

Wir brauchen Reformen!

Das Gesundheitswesen ist auf einem guten Weg, braucht aber dringende Reformen. Dass ich mit dieser Meinung nicht alleine stehe, belegt der aktuelle Meinungspuls der TK: Drei Viertel (75 Prozent) der Menschen in Deutschland sind zwar grundsätzlich mit dem Gesundheitssystem einverstanden, halten aber Veränderungen an einigen Stellen für notwendig.
Gesellschaftliche Umbrüche – wie derzeit zum Beispiel die Digitalisierung – haben ebenso wie politische Entscheidungen großen Einfluss auf die Versorgungsqualität in der GKV. Als vorausschauender Markt- und Innovationsführer ist die TK in einer besonderen Verantwortung, Antworten auf die Herausforderungen zu formulieren.
Ohne mich zu sehr in den technischen Tiefen des Systems zu verlieren, möchte ich daher im Folgenden drei gesundheitspolitische Handlungsfelder anreißen, die für die nächste Legislaturperiode von großer Bedeutung sein werden:

1. Digitalisierung

Für mich stellt sich nicht die Frage, ob wir uns digitalisieren, sondern wie wir es tun. Digital verändern wird sich unser Gesundheitssystem so oder so – die zentrale Herausforderung besteht darin, dass wir die Digitalisierung selbst gestalten und den Rahmen vorgeben, bevor es andere Player im Gesundheitssektor tun. Wollen wir wirklich ausschließlich Konzernen wie Google oder Apple die Pionierarbeit überlassen? Wollen wir wirklich so lange abwarten, bis sich Produkte auf dem Markt etabliert haben, auf die wir nur noch reagieren können? Nein, wir müssen die Spielregeln eines digitalen Gesundheitswesens selbst gestalten.

Mit der elektronischen Gesundheitsakte (eGA) – einem Datentresor für Versicherte – wollen wir genau das tun. Als Krankenkasse bekommen wir die Abrechnungsdaten des Versicherten, so dass wir die Leistungen bezahlen können. Warum stellen wir ihm diese Daten nicht auch zur Verfügung? Genau das wird die eGA schon in einem ersten Schritt leisten. Und neben all den Daten, die wir bereits über unsere Versicherten haben, werden dann nach und nach weitere medizinische Daten in die Akte aufgenommen werden – von behandelnden Ärzten oder von den Patienten selbst. Das Ziel: ein Datentresor, zu dem nur der Patient selbst den Schlüssel hat und in dem er all seine Gesundheitsdaten sicher an einer Stelle verwahren, nutzen und bei Bedarf z.B. mit seinem Arzt teilen kann. Mit unserem Entwicklungspartner IBM Deutschland haben wir uns bewusst einen Partner gesucht, der nach den hohen rechtlichen und ethischen Richtlinien in Deutschland arbeitet, vor allem auch in Sachen Datenschutz.

Eine solche patientengesteuerte Datenplattform wie die eGA ist nicht nur zeitgemäß, sondern essenziell für die Qualität der Versorgung, die Transparenz der Leistungserbringung und die Sicherheit des Patienten. Mit dem E-Health-Gesetz hat die Politik den Handlungsbedarf auf diesem Feld erkannt und den Rahmen für ein digital vernetztes Gesundheitswesen geschaffen. Dieses begrüßenswerte Engagement der Bundesregierung darf in der nächsten Legislaturperiode nicht nachlassen.

2. Versorgungsqualität

Mit dem Innovationsfonds wurde ohne Zweifel vielen neuen Versorgungsformen eine Chance auf einen Eintritt in die Regelversorgung geboten. Die TK ist bis jetzt an 27 Projekten auf dem Feld der Versorgungsinnovation und 10 Projekten in der Versorgungsforschung beteiligt. Denn: Wir sind innovationshungrig, wir wollen die nächsten Schritte tun und die Versorgung unserer Versicherten noch besser machen.

Das Instrument Innovationsfonds hat aber einen Haken: Es ist nicht innovationsstark genug. Viele Projekte kommen in der Regelversorgung nicht an, denn zum einen werden, dank der hohen Fördersumme, nicht nur die besten, sondern vor allem viele Projekte eingereicht, zum anderen ist der Prozess (in Anbetracht der hohen, zentral verteilten Summe fast notgedrungen) zu bürokratisch. Innovationsförderung muss einfacher werden, die Innovatoren müssen selbst vom Erfolg ihrer Idee so überzeugt sein, dass sie auch bereit sind, eigene Risiken einzugehen und zu investieren. Nur so können aktuell große Problemfelder, wie die mangelnde Versorgung in ländlichen Regionen, realistisch angegangen werden. Wir schlagen deshalb vor, Versorgungsinnovationen in Zukunft regelhaft über die Krankenkassen und deren Kooperationspartner zu fördern.

3. Fairer Wettbewerb

Im Oktober letzten Jahres habe ich der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Interview zur Problematik des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) gegeben und damit eine bewegte und überfällige Diskussion ausgelöst, die bis heute anhält. Die Schräglage, in der sich der Morbi-RSA befindet, macht das System kränker, anstatt ihm zu helfen. Deshalb wünsche ich mir einen Paradigmenwechsel: Heute ist der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen über den Risikostrukturausgleich geregelt. Die Kassen konkurrieren stark um die Zuweisungen aus dem RSA. In den Hintergrund gerät dabei die Frage, wer die Versicherten denn eigentlich am besten versorgt. Genau das muss wieder in den Mittelpunkt des Handelns rücken! Welche Krankenkasse bietet die besten Leistungen und den besten Service für ihre Versicherten? Und hat auch ihre eigenen Kosten am besten im Griff? Diese Kriterien sollten meines Erachtens stärkeres Gewicht haben, als die Frage, wer am cleversten Krankheiten codiert. Der Wettbewerb um die RSA Codierung schadet dem einzelnen Patienten und lähmt die Innovationskraft des gesamten Systems in allen anderen Feldern!

Ohne eine Änderung der Ausgleichssystematik wird sich die finanzielle Handlungsfähigkeit der Krankenkassen weiter auseinander entwickeln. Ich erwarte von der Politik, dass sie die Problematik erkennt und für faire und einheitliche Wettbewerbsbedingungen sorgt. Aus TK-Sicht sind dafür folgende Reformen in der Ausgestaltung des Morbi-RSA notwendig:

  • Veränderung der Krankheitsauswahl im Sinne einer geringeren Anfälligkeit für Manipulations-Bemühungen. Prävalenz über Logarithmusfunktion!
  • Versorgungsstrukturkomponente auf Kreisebene zum Ausgleich regionaler Kostenunterschiede
  • Einführung eines Hochrisiko-Pools
  • Abkehr von Zuschlägen für Erwerbsminderungsrentner
  • Neuregelung bei Auslandsversicherten
  • Wegfall der Pauschale für Disease-Management-Programme

Und nun?

Ich könnte Ihnen jetzt erzählen, wie wichtig Innovationen sind, dass wir eine Kultur des Scheiterns brauchen, um Prozesse in Gang zu bringen, die wirklich etwas verändern, dass wir als Krankenkasse Altbewährtes neu denken müssen und uns aus der Komfortzone begeben müssen, um die Zukunft der Gesundheit mitzugestalten. Das klingt alles gut, sagt aber wenig.

Stattdessen will ich Ihnen in wenigen Worten zusammenfassen, was meine essentiellen Wünsche für das Gesundheitssystem in den nächsten Jahren sind:

  • Unsere Gesundheit wird digital. Deshalb müssen wir jetzt Lösungen und Werkzeuge entwickeln, damit dieser Prozess so patientenorientiert wie irgend möglich vonstattengeht. Wir müssen die Digitalisierung gestalten oder die Digitalisierung wird uns überrollen. Der Versicherte und seine Bedürfnisse müssen im Mittelpunkt stehen, nicht die finanziellen Interessen von Großkonzernen.
  • Die Versorgungsqualität in Deutschland ist gut – sie kann aber noch deutlich besser werden. Dafür brauchen wir mehr Transparenz und Kooperation.
  • Die Versorgungsstrukturen in unserem Gesundheitssystem gehorchen viel zu sehr veralteten Sektorengrenzen zwischen den einzelnen Bereichen. Das muss sich ändern- solch ein Silodenken ist die Hauptursache schlechter Versorgung. Das können wir uns nicht mehr leisten.
  • Wir brauchen einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Kassenwettbewerb: Entscheidend darf nicht sein, wer am geschicktesten codiert, sondern wer die beste Versorgung anbietet.


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