Katharina Lemke

Always on: Ist die Generation Smartphone noch zu retten?

Wie geht es jungen Menschen heutzutage in Ausbildung und Berufseinstieg? Mit dieser Frage befasst sich  der aktuelle TK-Gesundheitsreport. Auch Maike Grünhagen, Ausbilderin im Einzelhandel, und Dr. med. habil. Volker Busch waren bei der Pressekonferenz dabei.

Eines der interessantesten Ergebnisse: Auszubildende sind zwar weniger von schweren und langwierigen Erkrankungen betroffen, als ihre älteren Kollegen, sind aber doppelt so häufig krankgeschrieben. Die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen bei Azubis sind in den letzten zehn Jahren um 108 Prozent gestiegen! Wie kann das sein? Was macht junge Erwachsene an der Schwelle zum Berufsleben gestresst und depressiv? Zu diesen Fragen haben wir die Experten Grünhagen und Busch zum gemeinsamen Interview gebeten.

Frau Grünhagen, Herr Busch, in einem immer schneller werdenden Alltag, der besonders für viele junge Menschen durch digitale Medien bestimmt und getaktet wird: Was unterscheidet heutige Auszubildende von den früheren Jahrgängen?

Volker Busch: Junge Menschen setzen heute andere Maßstäbe an das eigene Leben als früher: Freizeit spielt eine sehr wichtige Rolle. Darin wollen die jungen Leute möglichst viel von dem unterbringen, was ihnen wichtig ist. Das kann allerdings auch Stress verursachen. Verändert hat sich zudem der Umgang mit Ruhe: Medialer Dauerkonsum hält das Gehirn heute in einer ständigen psychophysiologischen Spannung. „Bewusste Auszeiten, in denen sich Körper und Geist von dieser permanenten Reizüberflutung erholen können, drohen immer mehr verloren zu gehen.

„Bewusste Auszeiten, in denen sich Körper und Geist von dieser permanenten Reizüberflutung erholen können, drohen immer mehr verloren zu gehen.“

Natürlich können digitale Medien Spaß machen und auch viele Vorgänge im Privat- und Arbeitsleben bedeutend erleichtern. Aber sie halten uns ebenso immer mehr davon ab, genüsslich in Aktivitäten zu versinken, wie konzentriert ein Buch zu lesen, ungestört Musik zu genießen oder sich einer handwerklichen Tätigkeit hinzugeben. Das häufige Wechseln der Aufmerksamkeit beim digitalen Medienkonsum kostet uns ‚Tiefe‘ und die Freizeitgestaltung verliert so ihre regenerative Kraft.

Dr. med. habil. Volker Busch, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg

Maike Grünhagen: In unserem Betrieb stellen wir bei den Azubis fest, dass das Durchhaltevermögen generell nachlässt. Sie geben schneller auf oder wählen den vermeintlich leichteren Weg. Auffällig ist auch die sinkende Aufmerksamkeitsspanne: Wir haben interne Seminare bereits von acht auf fünf Stunden reduziert, um die Azubis nicht zu überfrachten. Ebenfalls beobachten wir, dass die Azubis Hierarchien nicht mehr automatisch respektieren. Stattdessen muss man sich als Vorgesetzter den Respekt erst erarbeiten. Allerdings: Wenn das gelingt, ist einem der Respekt der Auszubildenden langfristig sicher. Natürlich dürfen aber auch die positiven Merkmale nicht übersehen werden: Die neue Generation zeigt häufig großes Engagement sich auch neben der rein fachlichen Ausbildung mit einzubringen, beispielsweise mit der Teilnahme von Messen und bereichsübergreifenden Projekten.

Sind aus Ihrer Sicht die Auszubildenden für das richtige Maß ihres Medienkonsums selbst verantwortlich oder ist hier auch der Arbeitgeber gefragt?

Grünhagen: Definitiv kann sich der Arbeitgeber bei diesem Thema seiner Verantwortung nicht entziehen. Betriebe müssen sich heute stärker auf ihre Nachwuchskräfte einlassen. Was heißt das genau? Ihnen auf Augenhöhe begegnen und Interesse an der Persönlichkeit jedes einzelnen Azubis zeigen. Denn: Den jungen Generationen ist heute wichtig, dass ihr Arbeitgeber sie als individuelle Personen wahrnimmt. Sie wollen sich nicht auf der untersten Hierarchiestufe als preiswerte Arbeitskraft fühlen, sondern Ihre Bedürfnisse im Betrieb wahrgenommen wissen.

Busch: Weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber allein sind schuld an Überforderung. Das Zusammenspiel aus einem immer komplexer, schneller und digitaler werdenden Arbeitsplatz und dem einzelnen Menschen, mit hohen Ansprüchen an sein Leben, tragen heute zu kollektivem Stress moderner Gesellschaften bei. Beide Seiten sind daher verantwortlich dafür Arbeitsfähigkeit langfristig zu erhalten. Der Arbeitgeber kann wichtige Rahmenbedingungen schaffen: Er kann zum Beispiel für sichere Arbeitsverhältnisse sorgen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen oder die Mitarbeiter ermuntern, ihren Arbeitsplatz mitzugestalten. Dies alles erhöht das Gefühl von Sicherheit und die Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit, was viel stressreduzierender wirkt, als Fitnessgutscheine zu verteilen oder Obstkörbe auf den Fluren aufzustellen.


Zusammen mit dem Filmemacher Holger Braack hat die TK den Film „Digital ins Berufsleben“ realisiert. Berufseinsteiger, Studierende und Ausbilder schildern ihre Erfahrungen, Experten sprechen über den Umgang mit digitalen Medien:


Wie können junge Menschen, die heute an der Schwelle zum Berufsleben stehen, mit Stress umgehen?

Busch: Eine Kernbotschaft der Entspannungsforschung lautet: Wer Kraftreserven auftanken will, muss seinem Gehirn regelmäßig Zeiten der Ruhe gönnen. Ruhe meint dabei nicht ‚nichts tun‘, vielmehr erzeugt man Entspannung sehr effektiv, wenn man sich aufmerksam einer geliebten Aktivität zuwendet und diese mit einer Fokussierung vollführt. So kann ein sogenannter ‚Flow-Zustand‘ entstehen, der stressreduzierend ist. Jede Form von Sport und Bewegung kann zum ‚Flow‘ führen, wie etwa Joggen, Bergwandern oder ganz einfach Gartenarbeit. Aber auch Basteln oder Musizieren sind Beispiele, in denen ein Mensch ganz aufgehen kann. Solche rauschartigen Zustände sind wichtige Entspannungszustände für unser Gehirn.
In einer Welt, die immer lauter wird und sich immer schneller dreht, messen wir diesen Dingen leider kaum mehr Bedeutung zu. Dabei wäre es eine schöne Form der Gehirnpflege, wenn wir wieder gelegentlich zur Muße zurückkehrten und ohne Leistungsdruck in Tiefe und entspannende Dingen versinken würden. Wir pflegen heute unsere Haare und Fingernägel mehr als unser Gehirn. Gelegentliche Offline-Phasen können dabei helfen, Zeit und Raum für solche Zustände der Tiefe zurückzuerobern.

Maike Grünhagen (Jahrgang 1989) spricht aus eigener Erfahrung über ihre Auszubildenden, denn sie selbst begann Ihre Karriere bei Dodenhof 2006 mit einer Ausbildung zur Bürokauffrau. Seitdem ist Sie ihrem Betrieb treu geblieben: Es folgen eine langjährige Tätigkeit als Personalsachbearbeiterin sowie die Teilnahme an dem internen Nachwuchsförderprogramm. Seit 2012 kann sie sich schließlich Ausbilderin nennen.

Grünhagen: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass vor allem diejenigen ein hohes Maß an Stress empfinden, die sich in Ihrer Berufswahl nicht zu 100 Prozent sicher sind, sondern stattdessen den zuerst angebotenen Ausbildungsplatz annehmen.
Außerdem empfehlen wir, aufgrund der plötzlich fehlenden Freizeit, sich genau zu überlegen, welche privaten Aktivitäten man fortführen möchte. Gegebenenfalls muss man auch mal ein Hobby aufgeben, damit andere Dinge nicht zu kurz kommen und dann zur Belastung werden.

Wie können Krankenkassen zur gesunden Stressreduktion von Berufseinsteigern beitragen?

Busch: Jugendlichen beziehungsweise Auszubildenden sollte bewusst gemacht werden, dass der biographische Übergang von einer vergleichsweise unbeschwerten Zeit als Schüler zum Arbeitsleben mit einer Zunahme von Leistung, Verantwortung und daher auch einem gewissen Druck verbunden ist. Nach einem anstrengenden Arbeitstag den Workload als Erschöpfung zu spüren, ist normal und macht nicht krank. Leistung gehört zum Leben dazu und trägt sogar zum Lebensglück bei. Entscheidend ist vielmehr eine anhaltende Überforderung zu vermeiden, die mit dem Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit erlebt wird. Zur Aufklärung gehören daher auch Tipps zur sinnhaften Gestaltung von An- und Entspannung bzw. zu einem schonenden und versöhnlichen Umgang mit seinen Energien in Beruf und Freizeit.

Grünhagen: Wir würden uns sehr freuen, wenn die Krankenkassen die Arbeitgeber vor allem in der Prävention unterstützen. Seminare und Workshops zu den Themen ‚Umgang mit Stress‘ sowie ‚Ernährung und Bewegung‘ würden die Arbeit in den Unternehmen unterstützen.


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Weitere Informationen zum Gesundheitsreport 2017, Pressefotos, Infografiken sowie den Studienband zum Download finden Sie in der digitalen Pressemappe in unserem Pressecenter.

Neue Trendstudie „#whatsnext – Gesund arbeiten in der digitalen Arbeitswelt“ – die TK, das Institut für betriebliche Gesundheitsberatung und die Haufe Gruppe haben sich mit den Zukunftsthemen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements befasst.

Informationen rund um das Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement bei der TK gibt es hier.



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Katharina Lemke

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