Lara Nüßler

Innovationsreport 2017 – kein grünes Licht für neue Medikamente

Die Preise neuer Arzneimittel steigen – doch echte Innovationen bleiben aus. Das ist das Ergebnis des Innovationsreports 2017, den die TK gemeinsam mit der Universität Bremen herausgegeben hat. In diesem wird kritisch beurteilt, inwieweit neue Arzneimittel tatsächlich einen Fortschritt im Versorgungsalltag darstellen.

Im Innovationsreport 2017 sind besonders die hohen Preise der neuen Arzneimittel auffällig. Zudem forschen die Hersteller nicht in den Bereichen, in denen Ärzte und Patienten dringend neue Wirkstoffe benötigen, sondern dort, wo die höchste Rendite zu erwarten ist. Herr Professor Glaeske vom Socium der Universität Bremen kritisiert die frühe Nutzenbewertung, wie sie im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) vorgesehen ist, als nicht ausreichend und nennt noch weitere Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Mit Tim Steimle, Leiter des Fachbereichs Arzneimittel bei der TK und einem der Herausgeber, Professor Dr. Gerd Glaeske, sprechen wir über die im Report untersuchten neuen Arzneimittel des Jahres 2014. Der zeitliche Abstand ermöglicht den Autoren, die Präparate fundierter zu bewerten.

Warum unterstützt die TK den Innovationsreport?

Steimle: Mit dem Report bieten wir Ärzten unabhängige Informationen über neue Arzneimittel. Bei dieser strukturierten Nachbewertung steht im Fokus, welchen Nutzen die Patienten von neuen Medikamenten haben und wie diese sich im Markt entwickelten.

Was ist das Ergebnis ihrer Untersuchung?

Steimle: Da die Medikamente im Report mit einigem Abstand zur Markteinführung untersucht und bewertet werden, können wir die Werbeversprechen der Pharmaindustrie genau hinterfragen. Im aktuellen Report haben wir sehr viele teure Präparate und dementsprechend gehofft, dass diese auch einen hohen Nutzen für die Patienten haben. Leider ist dem jedoch nicht so.

Kann man der Pharmaindustrie das Streben nach Profit vorwerfen?

Steimle: Nein, wir brauchen eine leistungsfähige und profitable Pharmaindustrie. Aber die Solidargemeinschaft muss die Kosten auch schultern und von den Innovationen profitieren können. Außerdem würden wir uns wünschen, dass nicht nur in den extrem hochpreisigen Segmenten geforscht wird, sondern auch auf die Bedürfnisse der Ärzte und Patienten eingegangen wird. Setzen wir Anreize, werden diese wieder ausgehebelt und missbraucht.

… Wie bei den Medikamenten zur Behandlung von seltenen Erkrankungen?

Steimle: Ja, derzeit hat die Industrie ein großes Interesse, dass möglichst viele Krankheiten als selten eingestuft werden. Sie schaffen es auch immer wieder bei Krankheiten, die eigentlich gar nicht selten sind und erhalten somit Vorteile, zum Beispiel wenn es um die Preisverhandlungen geht. Ein Arzneimittel für seltene Krankheiten muss nicht beweisen, dass es besser ist als bisherige Therapien ist und erzielt deshalb hohe Preise.

Prof. Dr. Glaeske vom SOCIUM und Tim Steimle, Fachbereichsleiter Arzneimittel bei der TK, präsentieren den Innovationsreport 2017.

Wie geht die TK mit den steigenden Kosten um?

Steimle: Wir sind zunächst einmal bereit, für gute Arzneimittel auch einen angemessenen Preis zu bezahlen. Wir müssen aber immer wieder sehen, auch in den Reporten aus den letzten Jahren, dass die Arzneimittel nicht den Nutzen haben, den sie vor oder zur Markteinführung versprechen. Wenn wir jetzt versuchen, die Industrie mit weiteren Anreizen in eine bestimmte Richtung zu lenken oder bestimmte Präparate bevorzugen, dann wird das nur wieder ausgenutzt werden. Es ist daher am sinnvollsten und einfachsten, dass der Herstellerrabatt von sieben auf zehn Prozent erhöht wird. Dafür könnte die Industrie ja bei den zweifelhaften Fortbildungsveranstaltungen und Anwendungsbeobachtungen sparen, für die sie in Deutschland jährlich etwa 563 Millionen Euro ausgibt.

Herr Professor Glaeske, wie bewerten sie die Ergebnisse des diesjährigen Reports?

Glaeske: Die Therapiefortschritte sind eher gering. Daher konnten wir in diesem Jahr auch kein einziges Arzneimittel mit der besten Kategorie, einer grünen Gesamtampel, bewerten. Es fehlt eindeutig an guten Innovationen, die den Patienten einen echten Nutzen bringen.

Das Medikament Sovaldi (Sofosbuvir) kann Hepatitis C heilen. Warum hat es keine grüne Gesamtampel bekommen?

Glaeske: Sovaldi ist als große Revolution gefeiert worden und wir haben den Zusatznutzen mit einer „gelben Ampel“ gewürdigt. Das bedeutet nicht, dass Sovaldi überhaupt nicht innovativ ist, es ist sogar ein sehr wichtiges Mittel, mit dem die Hepatitis C-Infektion besser behandelbar ist als früher und die Heilungschancen deutlich gestiegen sind. Und diesen Vorteil hat sich der Hersteller mit einem extrem hohen Preis bezahlen lassen. Sovaldi trägt nicht umsonst den Titel als „teuerste Pille der Welt“. Wir haben aber mit diesem neuen Arzneimittel überhaupt noch keine Langzeiterfahrungen, sodass wir über den patientenorientierten Nutzen noch keine sicheren Aussagen machen können.

Was nicht in die Bewertung eingeflossen ist: Der Markt antiviral wirkender Mittel gegen Hepatitis C hat sich seit der Markteinführung von Sovaldi weiterentwickelt und es gibt mittlerweile Arzneimittel, die besser und zuverlässiger gegen alle Subtypen der Hepatitis C wirken.

Sie sagen, wir haben keine Langzeiterfahrungen für Sovaldi. Finden denn solche Untersuchungen statt?

Glaeske: Nicht wirklich. Die Industrie finanziert zwar sogenannte Anwendungsbeobachtungen, aber dies dient meist nur dem Zweck, dass das zu beobachtende Präparat häufiger verschrieben wird. Wir brauchen dringend eine Spätbewertung von Arzneimitteln und zwar analog zu der heute schon stattfindenden frühen Nutzenbewertung. Wir sehen oft erst Jahre nach Markteinführung das ganze Spektrum an Nebenwirkungen. Zwar werden dann Warnhinweise, die Rote-Hand-Briefe verschickt, aber das ersetzt keine systematische Nebenwirkungsforschung nach der Zulassung.

Wo sehen Sie beim AMNOG noch Entwicklungsbedarf?

Glaeske: Wie schon Herr Steimle gesagt hat, werden immer mehr Arzneimittel mit dem Status versehen, dass sie gegen seltene Erkrankungen sind, obwohl die Erkrankungen meist gar nicht wirklich selten sind. Die Hersteller haben davon hauptsächlich finanzielle Vorteile. Aber zur Verbesserung der Qualität sollte auch bei diesen Arzneimitteln eine Nutzenbewertung durchgeführt werden. Nicht nur weil sie extrem teuer sind, sondern weil wir im Zweifelsfall einem Patienten ein Medikament geben, das überhaupt keinen Nutzen für ihn hat.

Im Video: Eindrücke von der PK zum Innovationsreport in Berlin am 20. September 2017



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