Auf der Agenda einer künftigen Regierung nimmt die Pflege eine tragende Rolle ein: Welche Herausforderungen sind hier zu lösen?
Thomas Ballast: Es ist gut, dass das Thema Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe in den Sondierungsgesprächen gesetzt ist. Inhaltlich müssen wir unterscheiden – zwischen der Pflege im Krankenhaus und der von pflegebedürftigen Menschen, wie zum Beispiel in der Altenpflege. Diese Differenzierung kommt auch in der politischen Debatte oft zu kurz. Was beide Bereiche jedoch eint, ist ein Mangel an ausgebildeten Fachkräften. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf für die Politik.
Hinzu kommt der Bereich der informellen Pflege. Fast drei Viertel der rund 2,9 Millionen Pflegebedürftigen hierzulande werden zu Hause versorgt, vor allem durch pflegende Angehörige. Sie sind sozusagen der größte Pflegedienst Deutschlands. Und was sie vor allem brauchen, ist: Anerkennung und konkrete Entlastung im Alltag.
Im Wahlkampf brachte ein Pflege-Azubi die Spitzenkandidaten mit seinen Erlebnissen in der Pflegepraxis zum Schwitzen – was liegt bei der professionellen Altenpflege ganz konkret im Argen?
Thomas Ballast: Dass wir für die Versorgung Pflegebedürftiger zu wenige professionelle Kräfte haben, ist hinlänglich bekannt. Wir sollten uns deshalb endlich darauf konzentrieren, welche Potenziale wir heben können.
„Im Schnitt bleibt eine Pflegekraft in der Altenpflege rund 8,4 Jahre in diesem Job. Zudem arbeiten viele Pflegende in Teilzeit. Hier lohnt es sich genauer hinzusehen und daran zu arbeiten, dass diese Aufgaben länger und mit höherer Wochenarbeitszeit ausgeübt werden.“
Das gelingt aber nur, wenn diese Berufe attraktiver werden – und zwar nicht nur für Einsteiger, sondern auch für diejenigen, die heute schon als Pflegekraft arbeiten.
Die TK fordert einen „Masterplan Pflegeberufe“ – wie soll dieser konkret aussehen?
Thomas Ballast: Damit die professionelle Pflege – sowohl im Krankenhaus als auch in Heimen und zu Hause – attraktiver wird, muss sie den Berufstätigen Perspektiven bieten und besser zu deren Lebenssituationen passen. Das beginnt bei einer besseren Vergütung, vor allem in der Altenpflege. Mehr Geld allein wird es aber nicht richten. Ein Masterplan sollte auch diejenigen berücksichtigen, die der Pflege den Rücken kehren, etwa nach einer Auszeit oder weil sie altersbedingt beruflich umsatteln. Für sie sollte es Anreize geben, „ans Bett“ zurückzukehren. Das können zum Beispiel spezielle Angebote für diejenigen sein, die einen Neustart im Pflegeberuf anstreben. Das gilt auch für die Organisation des Pflegeablaufs: Hier liegen große Potenziale, ältere Pflegekräfte im Job zu halten.
Der Großteil der Pflegebedürftigen wird nicht in Heimen, sondern zu Hause versorgt. Was muss sich für sie und ihre Angehörigen tun?
Thomas Ballast: Die gesetzliche Pflegeversicherung wurde jüngst umfassend reformiert. Das heißt aber nicht, dass es auf absehbare Zeit keine weiteren Veränderungen geben darf – schließlich verändert sich auch unsere Gesellschaft ständig. Der Grad der Digitalisierung wächst, gleichzeitig steigt die Zahl der Ein-Personen-Haushalte. Längst gibt es Technologien, die Pflegebedürftige dabei unterstützen, möglichst lange im eigenen Haushalt zu wohnen – und Angehörige entlasten. Etwa Sensoren, die Stürze melden. Diese Technologien müssen ihren Weg zu den Betroffenen finden. Wie es mithilfe von Technologie gelingen kann, Senioren dabei zu unterstützen, länger in den eigenen vier Wänden zu leben, zeigen wir etwa mit dem Projekt Netzwerk GesundAktiv in Hamburg. Wir müssen aber Wege finden, die Vorteile der Digitalisierung möglichst vielen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen zugänglich zu machen.
Wie kann das gelingen?
Thomas Ballast: Wir schlagen vor, solche Technik-Lösungen, die das Wohnen im eigenen Haushalt länger ermöglichen, über die Pflegekasse zu unterstützen. Bislang finanziert die Pflegeversicherung über die „wohnumfeldverbessernden Maßnahmen“ den barrierefreien Umbau der Dusche – nicht jedoch das sensorenbasierte System, das etwa bei einer Schwindelattacke für Hilfe sorgt. Hier ist die Politik gefragt. Denn als Pflegekassen können wir digitale Angebote in der Pflege nur in dem Rahmen vorantreiben, den uns die Politik gibt. Das können zum Beispiel digitale Informations- und Beratungsangebote für Angehörige sein. Die TK ist deshalb Partner des Projekts pflegen-und-leben.de, wo pflegende Angehörige Online-Beratung in Belastungssituationen erhalten.