Laura Hassinger

Vom Silicon Valley in den deutschen Gesundheitsmarkt – Zukunftsmedizin

Der wissenschaftliche Fortschritt macht es möglich, dass große Datenmengen in Sekundenschnelle analysiert, genetische Codes entschlüsselt und sogar verändert werden können. Das Zeitalter der digitalen Medizin hat begonnen. Aber wie findet sie zu uns Patienten? Buchautor Thomas Schulz beschreibt den Weg der Zukunftsmedizin.

Was vor zehn Jahren noch unvorstellbar schien, ist heute Realität. Biotechnologie, Medizinforschung und Robotik, Chemie, IT und Materialwissenschaften verschmelzen mithilfe moderner Software und Rechenleistung zu einem riesigen Wissensquell. Auf das Gesundheitswesen angewandt ergeben sich ganz neue Therapieansätze.

Wir sind auf dem Weg in eine daten-getriebene, digitale Gesundheitswelt mit neuen Möglichkeiten für die Diagnose und Therapie von Krankheiten. 

– sagt Thomas Schulz, langjähriger SPIEGEL-Korrespondent und Autor des Buchs „Zukunftsmedizin“. Auf der Pressekonferenz zum Drug-Future-Report der TK berichtete er von seinen Eindrücken aus dem Silicon Valley, wo derzeit Start-ups und Biotech-Firmen gemeinsam mit den großen Internetkonzernen an der Medizin von morgen forschen.

Gewaltige Fortschritte für Bluter

Die Behandlung der Bluterkrankheit ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell sich der Arzneimittelmarkt verändert. Ein genetischer Defekt stört die Blutgerinnung der Betroffenen. Schon leichte Verletzungen können für sie lebensbedrohlich sein. In den 80er Jahren ermöglichten sogenannte Faktorpräparate, dass den Bluter-Patienten ein Leben im Rollstuhl erspart blieb. Inzwischen haben Betroffene eine fast normale Lebenserwartung und können dank Gentherapie auf ein Leben ohne Einschränkungen hoffen. Biotech-Firmen weltweit forschen an genetisch veränderten Leberzellen, die die Blutgerinnung „reparieren“ – mit großem Erfolg.

Gentherapien verursachen Kostenexplosion

Durch die neuen Therapien steigen allerdings die Kosten extrem. Rund 4.000 der Bluter-Patienten in Deutschland benötigen ständig Medikamente. Das kostet die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) derzeit etwa 480 Millionen Euro im Jahr. Wenn in vier Jahren die erste potenziell heilende Gentherapie zugelassen wird, könnten die Ausgaben Schätzungen zur Folge auf vier Milliarden Euro steigen. Dann würde die GKV für weniger als ein Promille der Versicherten mehr als zehn Prozent ihrer Arzneimittel-Gesamtausgaben aufwenden. Ein gerechtfertigter Preis, wenn die Patienten nur einmal behandelt werden müssten? Und: Wie lange hält die Wirkung der Gentherapie überhaupt an? Wie hoch sind die Risiken und was bedeutet der Eingriff ins Erbgut für nachfolgende Generationen?

Schneller Zugang vs. Sicherheit

Allgemein gilt für neue Gentherapien wie für Medikamente: Patienten sollen so früh wie möglich davon profitieren. Natürlich nur, wenn erwiesen ist, dass die neue Therapie sicher ist und wirkt – und der Preis angemessen ist. Dazu fordert die TK ein eigenes Bewertungsverfahren für Therapien, über die wir aufgrund der kleinen Fallzahlen zum Markteintritt zu wenig wissen.

Medizinforschung in Deutschland hat Nachholbedarf

Der erste Schritt ist eine unabhängige Datenerhebung. Diese würde auch den Forschungsstandort Deutschland stärken, nachdem sich die forschende Industrie zunehmend ins Ausland zurückzieht. Denn diesen Eindruck hat Thomas Schulz aus seinen Recherchen mitgenommen – unser Gesundheitssystem ist auf die Medizinrevolution nicht ausreichend vorbereitet, und die klugen Köpfe gehen dorthin, wo das Geld fließt.

Zukunftsmedizin erfordert Kapital und Risikobereitschaft

Die Erforschung neuer Therapien ist „ein hoch riskantes Innovationsgeschäft“, so Schulz, in dem Scheitern und Neuanfangen dazugehören – was eher der amerikanischen als der deutschen Unternehmenskultur entspricht. Einige Ausnahmen gibt es schon, zum Beispiel Molecular Health aus Heidelberg. Grundsätzlich aber gilt: Industrie und Politik in Deutschland müssen sich ranhalten, um bei den Entwicklungen im digitalen Gesundheitswesen nicht hinterherzuhinken.



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