Ronja Rohlf

Zeitarbeit: 64 Prozent entscheiden sich freiwillig dafür

„Zeitarbeit: Chance oder Risiko?“ ist der Titel unseres Gesundheitsreports 2020. Das wissenschaftliche Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) befragte dazu Zeitarbeitnehmer zu ihrer Arbeitssituation – Hannah Tendyck erklärt die zentralen Ergebnisse im Interview.

In Zeiten der Corona-Pandemie trifft es Arbeitnehmer in Zeitarbeit oft besonders hart. Kriselt es im Betrieb, müssen sie meist als erste gehen. Als der Gesundheitsreport für 2020 geplant wurde, konnte natürlich niemand ahnen, dass diese Branche zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vor besonders großen Herausforderungen stehen würde.

Um ein umfassendes Bild von der aktuellen Arbeitssituation von Zeitarbeitern zu gewinnen, wurde der Report – neben der Auswertung von Routinedaten zu Fehlzeiten und Arzneimittelverordnungen – um eine wissenschaftliche Befragung von mehr als 1.400 TK-versicherten Zeitarbeitnehmern erweitert. Hannah Tendyck vom Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) hat die Ergebnisse ausgewertet. Nach ihrem Studium in Maastricht, Sydney und Konstanz mit Schwerpunkt „Management, Strategie und Führung“ hat die 29-Jährige am IFBG schon mehrere Projekte in Kooperation mit der TK durchgeführt und ist Expertin in Sachen Analysen und Statistiken.

Hannah Tendyck vom Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG)

Frau Tendyck, können Sie einen kurzen Eindruck vermitteln, wer in der Studie genau befragt wurde?

Wir haben für die Studie TK-Versicherte befragt, die in Zeitarbeit beschäftigt sind. Rund 60 Prozent davon sind Männer. Diese bilden auch insgesamt die Mehrheit der Zeitarbeitnehmer in Deutschland. Zudem sind die Befragten vorwiegend über 45 Jahre alt, stammen aus Westdeutschland und besitzen Abitur bzw. die Hochschulreife und einen anerkannten Berufsabschluss. Wichtig ist vielleicht noch zu erwähnen, dass sich rund 64 Prozent freiwillig für ein Zeitarbeitsverhältnis entschieden haben. Wir haben die Befragung im Herbst 2019 durchgeführt, deshalb spielt Corona in den Ergebnissen natürlich noch keine Rolle. Um einen Vergleich zur Arbeits- und Gesundheitssituation von regulär Beschäftigten ziehen zu können, wurden zusätzlich Antworten von 6840 Nicht-Zeitarbeitnehmer herangezogen. Außerdem konnten wir auf die Ergebnisse der TK-Vorgängerstudie zum Thema „Zeitarbeit“ aus dem Jahr 2008 zurückgreifen.

Kurz zusammengefasst: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Befragung?

Was die Zufriedenheit von Zeitarbeitnehmern am Arbeitsplatz angeht wurde deutlich: Im Vergleich zu vor 11 Jahren sind Zeitarbeitnehmer heutzutage zufriedener; ihre Tätigkeit entspricht den persönlichen Vorstellungen besser. Positiv nehmen Zeitarbeitnehmer zum Beispiel eine klare Aufgaben- und Rollenverteilung, abwechslungsreiche Tätigkeiten und Lernanforderungen bei ihrer Arbeit wahr. Auch fühlen sich viele am Einsatzort unterstützt und wertgeschätzt.

Positiv nehmen Zeitarbeitnehmer zum Beispiel eine klare Aufgaben- und Rollenverteilung, abwechslungsreiche Tätigkeiten und Lernanforderungen bei ihrer Arbeit wahr.

Auf der anderen Seite zählen zu den Hauptbelastungsquellen die äußeren Arbeitsbedingungen: 48,6 Prozent der Zeitarbeitnehmer geben eine ungünstige physische Arbeitshaltung als sehr stark oder ziemlich stark belastend an. Es folgen lange Bildschirmarbeit (38,0 Prozent), Schichtarbeit oder ungünstige Arbeitszeiten (22,9 Prozent) und Lärm (22,7 Prozent). Jeder fünfte Zeitarbeitnehmer fühlt sich besonders durch das tägliche Pendeln stark oder sogar sehr stark belastet. Zum Vergleich: Bei den regulär Angestellten fühlt dadurch nur jeder Zehnte eine starke oder sehr starke Belastung.
Insgesamt beurteilen Zeitarbeitnehmer ihre Arbeitssituation und ihre körperliche und psychische Gesundheit tendenziell schlechter als regulär Beschäftigte.

Ist der Frust bei Zeitarbeitern also größer als bei anderen Beschäftigten?

Ich würde es so sagen: Unsere Ergebnisse – wie die vieler anderer Studien – lassen darauf schließen, dass die Arbeit von Zeitarbeitern oft körperlich aufreibender ist als die von regulären Arbeitnehmern. Zeitarbeitnehmer üben öfter Helfertätigkeiten aus, werden verstärkt im produzierenden Gewerbe eingesetzt und können weniger Einfluss auf ihre Arbeit nehmen oder Entscheidungen treffen. So geben beispielweise nur 31,3 Prozent der Zeitarbeitnehmer an, immer oder oft einen Einfluss auf Entscheidungen zu haben, die ihre Arbeit betreffen. Bei den Nicht-Zeitarbeitnehmern gibt dies immerhin mehr als die Hälfte an. Allgemein zeigen die Ergebnisse, dass Zeitarbeitnehmer stärker durch ihre Arbeitssituation belastet sind, je häufiger sie ihren Einsatzort wechseln müssen.

Im Vergleich zur Auswertung von vor rund zehn Jahren: Gibt es Veränderungen?

Unsere Auswertungen der Befragungsdaten zeigen, dass sich die Arbeits- und Gesundheitssituation der Zeitarbeitnehmer weitestgehend spürbar verbessert hat. Heute bewerten rund 56,3 Prozent der Zeitarbeitnehmer – und damit über zehn Prozent mehr als noch in 2008 – ihre Arbeitssituation als sehr gut oder gut. Allerdings sind es immer noch knapp zwei Drittel, denen eine Veränderung sehr oder ziemlich wichtig wäre. 45,5 Prozent der befragten Zeitarbeitnehmer fühlt sich durch einen Mangel an Entwicklungsmöglichkeiten an ihrem Arbeitsplatz sehr oder ziemlich belastet. Um hier entgegenzuwirken, wäre ein möglicher Ansatzpunkt die Förderung von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Zeitarbeitnehmer.



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