Seit 2014 bietet die TK in Baden-Württemberg jährlich die sogenannte DocTour an. Die Kollegen vor Ort begleiten üblicherweise Medizinstudierende zu Arztpraxen auf dem Land, um ihnen einen Einblick in den dortigen Arbeitsalltag zu ermöglichen. Die Fahrt im Kleinbus – wie in den vergangenen sechs Jahren – war unter den Bedingungen der Corona-Pandemie natürlich nicht möglich. Stattdessen lief die DocTour 2020 digital ab – sowohl Studierende als auch die Praxen schalteten sich online ein.
Ein Vorteil: Statt üblicherweise zwölf Studierenden konnten sich dieses Mal mehr als 25 angehende MedizinerInnen an drei Tagen in den virtuellen Tourbus einloggen. Eine davon war Jessica Krosny, die im litauischen Vilnius im siebten Semester Medizin studiert.
Jessica, einmal ganz vorne angefangen: Warum hast du dich für ein Medizinstudium entschieden?
Als kleines Mädchen war ich mit meiner Schwester Ersthelferin bei einem Autounfall. Das hat mich sehr geprägt. Ich wollte mir das Wissen und praktische Erfahrungen aneignen, um in Notsituationen handeln zu können. So habe ich mich sehr früh dazu entschlossen, Medizin zu studieren. Schon mit 15 Jahren habe ich mein erstes Praktikum in der Pathologie gemacht.
Du studierst aktuell in Litauen – wie kam es dazu?
Leider hat es mit der Abiturnote und dem Ergebnis des Mediziner-Tests nicht direkt für einen Studienplatz in Deutschland gereicht. So habe ich mich kurzerhand entschlossen, mein Glück im Ausland zu versuchen. Glücklicherweise habe ich in Vilnius innerhalb von wenigen Wochen eine Zusage erhalten. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich davor keinen Plan, wo Litauen überhaupt liegt. Ich bin dann direkt mit meinen Eltern nach Vilnius gereist, habe mir die Universität und die Stadt angeschaut, und war sofort überzeugt.
Was sind die wesentlichen Unterschiede im Vergleich zu einem Studium in Deutschland?
In Litauen werden Studiengebühren erhoben und alles läuft auf Englisch. Dafür geht es sehr familiär zu: In meinem Jahrgang sind wir nur knapp 70 Studierende, unsere ProfessorInnen nennen uns beim Vornamen. Wöchentliche Tests und Abfragen sind hier Alltag. Wer fleißig ist, kann sich so viel Stress am Ende sparen. Wir haben auch kein klassisches “Physikum” wie man es in Deutschland kennt, sondern schreiben immer am Semesterende eine Prüfung. Einen Konkurrenzkampf um limitierte Klinikplätze wie an manchen deutschen Unis gibt es nicht. Und durch die große Entfernung zur eigenen Familie entwickeln sich die Kommilitonen zu einer Familie, das genieße ich sehr.
Wie hast du von der TK-DocTour erfahren?
Zufälligerweise habe ich durch einen Post auf Instagram von der TK-DocTour erfahren. Das Online-Event kam mir zu Gute, da ich zu der Zeit in Vilnius war und so einfach und unkompliziert teilnehmen konnte.
Was waren für dich die wichtigsten Erkenntnisse aus den drei Tagen?
Ich bin absolut begeistert vom großen Spektrum der Allgemeinmedizin und in welchen zusätzlichen Bereichen man auch während der Facharztausbildung tätig sein kann! Außerdem war ich überrascht, wie vielfältig der Job ist und welche Praxisformen und Möglichkeiten der Anstellung und Niederlassung es gibt. Ich habe nach dem ersten Tag meine Eltern angerufen und gesagt: “Ich glaube, das könnte ich mir gut vorstellen. Das hört sich total spannend an!” Nach meiner letzten Famulatur in einem Krankenhaus war ich mir schon ziemlich sicher, dass die Allgemeinmedizin zu mir passen könnte und ich lieber eigenständig – unabhängig vom Krankenhaus – arbeiten möchte.
Wo würdest du dich am liebsten niederlassen?
Am liebsten würde ich mich natürlich in der Heimat in Baden-Württemberg niederlassen. Ich habe schon lange ein Szenario im Kopf: eigene Praxis, ein Haus und natürlich eine glückliche, gesunde Familie. Irgendwie ist es faszinierend, dass es nur noch wenige Jahre dauert, bis der Traum vielleicht in Erfüllung geht!
Welchen Stellenwert hat für dich die Digitalisierung der Medizin? Wo siehst du die Chancen?
Meiner Meinung nach ist die Digitalisierung aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Genauso sollte sie auch in der Medizin zum Einsatz kommen. Da ich selbst auch auf Social Media aktiv bin, weiß ich, dass beispielsweise die Präsenz von Ärzten auf Social-Media-Plattformen sehr gut ankommt. Ein virtueller Arztbesuch eröffnet neue Möglichkeiten, spart Zeit, Ressourcen – und man ist nicht an den Ort gebunden. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Patientendaten kompakt und natürlich nach Datenschutzrichtlinien in jeder Praxis abrufbar sind. Außerdem sollte jede Ärztin und jeder Arzt die Chance auf Weiterbildung in Sachen Digitalisierung haben und die Telemedizin ein fester Baustein des Alltags werden – und zwar auch nach der Corona-Pandemie.