Nicole Knabe

„Die Akkus sind leer, die Menschen müde“

Der TK-Gesundheitsreport 2021 zeigt, die emotionale Belastung hat sich bei vielen Menschen im zweiten Lockdown nochmals verstärkt. Dr. Bertolt Meyer, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der TU Chemnitz, erklärt, welche Spuren die Coronapandemie bei den Menschen hinterlassen hat.

Nach mehr als einem Jahr Coronapandemie atmen wir wieder auf, das öffentliche Leben fährt langsam wieder hoch. Aber wie geht es den Beschäftigten wirklich?

Die Coronapandemie hat die Menschen emotional erschöpft. Sie fühlen sich ausgelaugt und müde, bei vielen sind die Akkus leer. Auffällig ist, dass sich die emotionale Belastung bei vielen Menschen im Frühjahr 2021 im Vergleich zur ersten Welle noch einmal verstärkt hat. Hinzu kommt, dass die Menschen während der zweiten Welle auch deutlich mehr Einsamkeit empfanden. Insgesamt gilt, dass Frauen stärker belastet waren als Männer. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Frauen stärker mit der Doppelbelastung von Arbeit und Kinderbetreuung konfrontiert sowie mehr in sozialen und Pflegeberufen tätig sind – in diesem Bereich ist die Coronabelastung besonders hoch.

Prof. Dr. Bertolt Meyer forscht und lehrt an der TU Chemnitz.

Was sind die größten Belastungen für die Menschen?

Zu den größten Belastungen zählten die fehlenden persönlichen Treffen mit Freunden und Verwandten und die Angst, dass sich Angehörige oder Freunde mit Corona anstecken. Familien mit Kindern waren zudem stark von Kita- und Schulschließungen belastet, Berufstätige gaben außerdem an, mehr Stress am Arbeitsplatz zu haben. Unsere Online-Befragung zeigt außerdem, dass berufstätige Frauen im Homeoffice mit schulpflichtigen Kindern stärker durch den Konflikt zwischen Privat- und Arbeitsleben belastet waren, als Männer und Frauen, die nicht im Homeoffice gearbeitet haben.

Es ist wichtig, dass wir uns jetzt nach all den Coronaeinschränkungen erlauben, unserer psychischen Gesundheit wieder eine höhere Priorität einzuräumen.

Zu welchen Ergebnissen sind Sie bei Ihrer Langzeitstudie gekommen: Was macht die zurückliegende Zeit der Lockdown-Maßnahmen so besonders?

Das Besondere am Lockdown war, dass er auf unseren Alltag so einschneidenden und langanhaltenden Einfluss hatte. Die Menschen versuchen, das zu erhalten, was für ihr psychisches und physisches Wohlbefinden wichtig ist. Das können unterschiedliche Dinge sein – zum Beispiel Familie, Freunde oder beruflicher Status. Um diese Dinge zu bewahren, setzen wir Ressourcen ein, die dadurch weniger werden und wieder aufgefüllt werden müssen. Hier liegt das Problem: Während der Coronapandemie haben berufliche und soziale Herausforderungen den Stress auf die Menschen dauerhaft erhöht. Allerdings war es ihnen durch die Lockdown-Maßnahmen lange nicht möglich, die eigenen Ressourcen wieder aufzufüllen, etwa durch Treffen im Freundeskreis oder Reisen. Dieses Ungleichgewicht führt auf Dauer in die Erschöpfung – in schweren Fällen sogar in den Burnout.

Was kann jeder von uns tun, um die eigenen Ressourcen wieder aufzufüllen und für künftige Krisen gewappnet zu sein?

Es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Am Ende weiß jede oder jeder selbst am besten, was ihr oder ihm gut tut. Die einen laden ihre Batterien beim Sport auf, andere gehen shoppen oder füllen ihre Reserven auf, indem sie sich mit Bekannten treffen oder auf Reisen gehen. Wichtig ist jetzt, dass wir uns nach all den Coronaeinschränkungen erlauben, unserer psychischen Gesundheit wieder eine höhere Priorität einzuräumen. Die Selbstsorge spielt eine bedeutende Rolle für das eigene psychische Wohlbefinden.

TK-Gesundheitsreport 2021

Fehlende soziale Kontakte, Doppelbelastung durch Homeoffice und Kinderbetreuung, Angst vor einer Infektion – ein Jahr Coronapandemie sorgt bei vielen für psychische Belastung. Für den aktuellen Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse hat die TU Chemnitz in sechs Befragungswellen von April 2020 bis Februar 2021 eine Onlinebefragung zur psychosozialen Belastung der Menschen durchgeführt, mit insgesamt 2.900 Befragten. Ergänzt wurde die Studie um eine repräsentative Forsabefragung im Auftrag der TK.



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