Johanna Küther

TK-Ernährungsstudie: „Gemeinschaftsverpflegung ist ein mächtiger Hebel!“

Prof. Ulrike Arens-Azevêdo ist als ehemalige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ausgewiesene Expertin in Sachen gesunder Ernährung. Was nachhaltiges Essen ausmacht und warum die Gemeinschaftsverpflegung auch in diesem Kontext so wichtig ist, erklärt sie im Interview.

Neben einer ausgewogenen Ernährungsweise mit viel Obst und Gemüse spielt mittlerweile auch das Thema Nachhaltigkeit bei den Empfehlungen der DGE eine Rolle. Was bedeutet nachhaltige Ernährung?

Eine nachhaltige Ernährung ist eine pflanzenbasierte Ernährung. Allein schon mit Blick auf das Klima. Die Produktion eines Kilos Linsen verursacht 1,7 Kilogramm CO2-Äquivalent. Im Vergleich: Bei einem Kilo Rindfleisch sind es 14 Kilogramm. Von Aspekten wie Wasserverbrauch, Einfluss auf die Biodiversität oder Bodenbelastung durch Nitrat oder Phosphor ganz zu schweigen. Aber auch in Bezug auf die individuelle Gesundheit ist die pflanzliche Ernährung eine gute Wahl. Wir wissen, dass ballaststoffreiche Lebensmittel wie Gemüse, Obst oder Vollkornprodukte im Gegensatz zu tierischen Lebensmitteln wie Fleisch und Fleischerzeugnissen das Risiko von bestimmten Krebsarten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eines Schlaganfalls senken können. Nachhaltigkeit ist aber noch komplexer, weshalb wir im Positionspapier der DGE von 2021 vier Zieldimensionen definieren: Neben Klima und Umwelt sowie Gesundheit spielen hier auch soziale Aspekte wie Ernährungsarmut oder Teilhabe und das Tierwohl eine Rolle.

Wie kommt die DGE zu ihren Empfehlungen?

Hinter der Entwicklung liegt ein mehrjähriger Prozess, in den wir zahlreiche Expertinnen und Experten eingebunden haben und in dem wissenschaftliche Metastudien, Leitlinien und Referenzwerte berücksichtigt wurden. Selbstverständlich haben wir auch die Empfehlungen und ihr Zustandekommen in anderen Ländern angeschaut. Darüber hinaus nutzen wir ein mathematisches Modell, das gesundheitsbezogene Parameter und Umweltfaktoren wie Treibhausgasemissionen und Landnutzung einbezieht, aber auch die aktuellen Ernährungsgewohnheiten. Essen ist immer emotional und kulturell verankert. Deshalb kann es nicht darum gehen, jemandem vorzuschreiben, wie er oder sie sich zu ernähren hat. Aber wir brauchen eine Transformation hin zu einer nachhaltigeren Ernährung, die nicht nur heutige, sondern auch die Möglichkeiten zukünftiger Generationen im Blick hat, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.

Prof. Ulrike Arens-Azevêdo bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der TK-Ernährungsstudie. Im Hintergrund neben ihr Peter Wendt.

Eines Ihrer Schwerpunktthemen ist die Gemeinschaftsverpflegung. Warum ist diese so wichtig?

Ganz einfach, weil wir hier pro Tag mehrere Millionen Menschen erreichen. In Kitas, Schulen und Betrieben stellen Mittagessen und Zwischenmahlzeiten rund 40 Prozent der Tagesenergie dar, die theoretisch durch gesundheitsförderliche Verpflegung abgedeckt werden können. In Krankenhäusern und Altenheimen mit ihrer Vollverpflegung sogar noch mehr. Hier kann man unheimlich viel erreichen, wenn das Angebot gesundheitsförderlich und nachhaltig ist. Gerade bei Kindern und Jugendlichen werden über Jahre hinweg Ernährungsgewohnheiten geprägt und so kann auch das Risiko ernährungsmitbedingter Krankheiten reduziert werden. Das ist ein mächtiger Hebel, den inzwischen auch die Politik erkannt hat.

Was muss hier noch besser laufen?

Wir haben bei den Ergebnissen der TK-Ernährungsstudie gesehen: Menschen wählen ihr Essen nach Geschmack aus. Eine Currywurst ist in einer Großküche einfach herzustellen und zuzubereiten, damit das Gemüse noch al dente und gut gewürzt ist, braucht es dagegen spezifische Kenntnisse. Das heißt, wir müssen auch in Fort- und Weiterbildung des Personals investieren, um Know-how und Herangehensweise für eine pflanzenbasierte Ernährung zu verbessern. Außerdem hat die Ernährungsumgebung einen großen Einfluss. Dabei sprechen wir von einer fairen Umgebung, wenn sie es erlaubt, dass die gesundheitsfördernde und nachhaltige Wahl bei Lebensmitteln und Speisen die einfachere ist. Das kann zum Beispiel so aussehen, dass das pflanzenbasierte Mittagessen als erstes am Tresen in der Kantine angeboten wird oder besonders vielfältige pflanzliche Komponenten zur Auswahl stehen. Diese Art des nudging (=anstupsen/beeinflussen) kann wirklich etwas bewegen.

Viele der Befragten geben an, dass sie bei der gesunden Ernährung am Faktor Zeit scheitern. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Ich bin ganz ehrlich, das ist auch schwierig. Ganz ohne Zeit geht es nicht. Auch ein Salat will geschnitten werden und selbst wenn die Zubereitung fix ist, es braucht Würzung und ein paar Gedanken zur Beilagenwahl. Aber eine Scheibe Vollkornbrot mit einem Gemüseaufstrich ist schnell gemacht und der zurzeit saisonale und regional verfügbare Kohl schmort einmal geputzt und geschnitten auch alleine vor sich hin. Mittlerweile gibt es außerdem zahlreiche Kochbücher für Faule. Ich persönlich halte auch ein paar Produkte vor: eine Müslimischung, Nüsse, fettarmen Joghurt. Letztendlich ist es aber auch eine Frage der Prioritäten. Ist Essen für mich eine Form von Lebensqualität – und das kann ich mit Ja beantworten – dann muss ich der Zubereitung auch einen gewissen Raum in meinem Tagesablauf geben. Gerade, weil das oft Probleme bereitet, ist die Gemeinschaftsverpflegung so wichtig!

Zur Person

Ulrike Arens-Azevêdo ist Mitglied des wissenschaftlichen Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und war von 2016 bis 2019 deren Präsidentin. Die Ernährungswissenschaftlerin war Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und widmet sich intensiv dem Thema Gemeinschaftsverpflegung. Sie war maßgeblich an der Erarbeitung und Verbreitung der DGE-Qualitätsstandards beteiligt.



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