Yasmin Neshatrooh

Lebensretter für Neugeborene

Mehr als die Hälfte aller Säuglinge entwickeln wenige Tage nach der Geburt eine Gelbsucht, die sich meist schnell wieder zurückbildet. In seltenen Fällen kann sich dahinter jedoch eine Gallengangatresie verbergen – ein irreversibler Verschluss der ableitenden Gallenwege. Eine Farbkarte hilft Eltern dabei, unkompliziert zu bestimmen, ob ihr Kind betroffen ist.

Dr. Omid Madadi-Sanjani ist Oberarzt der Kinderchirurgie an der MHH.

Welche Ursache eine Gallengangatresie hat, ist bis heute weitgehend unbekannt. Fest steht: Die Erkrankung zählt zu den häufigsten Ursachen für Lebertransplantationen im Kindes- oder Jugendalter. „Um Schlimmeres zu verhindern, liegt die einzige Chance in der Früherkennung“, erklärt Dr. Omid Madadi-Sanjani, Oberarzt der Kinderchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Denn innerhalb weniger Wochen kann der Verschluss zu einer Zerstörung der Leber führen.

Früherkennung: Von der Idee zur Umsetzung

Um dies zu verhindern, startete die TK vor sieben Jahren gemeinsam mit der MHH und der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) ein Pilotprojekt zur Früherkennung von Gallengangatresie. „Neben einer gelblichen Verfärbung der Haut und Augen ist ein entfärbter Stuhlgang ein frühes Anzeichen der Gallengangatresie. Für ein rechtzeitiges Erkennen ist die sogenannte „Stuhlkarte“ in einigen Fällen schon ein wahrer Lebensretter geworden. Eltern können mithilfe der Karte eigenständig prüfen, ob der Stuhlgang ihres Säuglings einen bedenklichen Farbton hat“, so Dr. Madadi-Sanjani.

Anhand einer Farbskala können Eltern den Stuhl ihres Kindes auf Auffälligkeiten prüfen.
TK-Krankenhausexperte Jochen Blaser hat die Karten mitentwickelt.

Dabei ist die Idee von Stuhlkarten ganz und gar nicht neu: „ Wir kennen den Einsatz bereits aus Taiwan, Japan, Mexiko und der Schweiz. Die Erkrankung ist durch diese einfache Karte schnell zu erkennen. Dafür ist es jedoch nötig, dass Eltern darüber infomiert und mit einer Stuhlkarte ausgestattet werden: Als TK unterstützten wir die MHH daher bei der Umsetzung“, erklärt Jochen Blaser, Krankenhausexperte der TK-Landesvertretung Niedersachsen. 2016 startete der erste Versand von insgesamt 100.000 Stuhlfarbkarten: Alle Geburtsstationen in Niedersachsen konnten erstmals mit Stuhlkarten zur Früherkennung ausgestattet werden. „Mit der Zeit wurden die Karten so gut angenommen, dass wir fast jährlich neue Karten in hoher Stückzahl druckten“, so Blaser weiter. Mit Erfolg: Der Einsatz in Niedersachsen hat sich rumgesprochen und heute melden sich Geburtsstationen aus ganz Deutschland und bitten um Nachschub. „Die Frühdiagnostik zu verbessern und gleichzeitig Eltern sowie auch den behandelnden Kinderärztinnen und -ärzten mehr Sicherheit im Falle einer verlängerten Gelbsucht bei Säuglingen zu geben, ist für uns ein wichtiges Anliegen. Daher ist die Beteiligung an dem Projekt von Beginn an für uns auch selbstverständlich gewesen“, ergänzt Dr. Thomas Buck, Kinderarzt und Vorsitzender der Bezirksstelle Hannover der ÄKN.

Ebenfalls am Projekt beteiligt: Dr. Thomas Buck, Kinderarzt und Vorsitzender der Bezirksstelle Hannover der ÄKN. Foto: Christian Wyrwa

Frühzeitige Hilfe für Neugeborene

Jährlich werden etwa 35 bis 50 Neuerkrankungen von Gallengangatresie in Deutschland registriert. Trotz geringer Fallzahlen ist sie dennoch eine ernstzunehmende Krankheit, da sie die häufigste Ursache für Lebertransplantationen im Kindesalter darstellt. „Trotz spärlicher Versorgungsdaten wissen wir, dass die frühzeitige Diagnose und Therapie, im besten Fall bei Kindern jünger als 60 Lebenstage, eine Chance für ein Leben mit eigener Leber ermöglicht. Dies betrifft etwa 20 bis 30 Prozent der Erkrankten im Langzeitverlauf, die nach der sogenannten Kasai-Operation keine Lebertransplantation benötigen“, so Dr. Madadi-Sanjani.

Zukunft des Stuhlkarten-Screening

Im Mai 2023 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), dass die Stuhlkarten in das „Gelbe Heft“ aufgenommen werden – ein großer Erfolg für das Projekt aus Niedersachsen. Das Untersuchungsheft erhalten Eltern nach der Geburt ihres Kindes auf der Entbindungsstation oder von einer Hebamme. Hier werden alle medizinischen Untersuchungsergebnisse des Kindes festgehalten. „Auch bei seltenen Krankheiten muss frühzeitig aufgeklärt werden. Dass mit dem Beschluss nun auch bundesweit eine Versorgungslücke geschlossen wird, freut uns. Dafür haben wir uns mit dem Projekt eingesetzt“, so Krankenhausexperte Jochen Blaser.

Weitere Informationen

Die Stuhlkarte ist auch über das Smartphone per App unter „Leber-Check bei Babys“ für Android oder iOS verfügbar.



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