Jessica Kneißler

Klinikstrukturen im Wandel: Gute Versorgung braucht Routine

Retten oder schließen – beim kommunalen Krankenhaus in Zeven zeigte die Tendenz lange Zeit mal in die eine, mal in die andere Richtung. Bis die Klinik 2018 mit dem Standort Bremervörde fusionierte. Welche Konsequenzen dies für die Versorgung vor Ort hat, erläutert Uwe Sander, Professor für Medizinisches Informations- und Qualitätsmanagement an der Hochschule Hannover.

Die Ausgangslage: Das Martin-Luther-Krankenhaus in Zeven war über viele Jahre hochdefizitär. Es mangelte an medizinischem Personal wie auch an Patientinnen und Patienten; oft fanden tagelang keine OPs statt. Die nächstgelegenen Krankenhäuser im Landkreis befinden sich in Bremervörde (rund 25 Minuten Autofahrt von Zeven) und in Rotenburg (ein Schwerpunktversorger, etwa 35 Minuten entfernt) sowie in ähnlicher Entfernung die Kliniken in Buxtehude und Lilienthal.

Nach der Fusion im Jahr 2018 kamen 50 der 80 Betten, Abteilungen und auch Mitarbeitende der Zevener Klinik im Krankenhaus Bremervörde unter. Im ehemaligen Zevener Klinikgebäude eröffnete ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ).
Eine Untersuchung der Hochschule Hannover und der TK unter Leitung von Prof. Uwe Sander befasst sich mit der Entwicklung der stationären Leistungen und den Folgen für die medizinische Versorgung vor Ort.

Uwe Sander, Professor für Medizinisches Informations- und Qualitätsmanagement an der Hochschule Hannover

Herr Prof. Sander, vorweg: Was ist das zentrale Ergebnis der Untersuchung „Entwicklung der regionalen stationären Krankenhausleistungen nach Schließung eines Krankenhauses“ am Beispiel Zeven?

Die von uns ausgewerteten Abrechnungsdaten ergaben keine Hinweise, dass die Qualität in der Versorgung durch die Fusion des Krankenhauses Zeven mit dem Standort Bremervörde insgesamt gelitten hat. Diese Befürchtung war im Vorfeld immer wieder aufgekommen. Stattdessen gab es sogar einige durchaus positive Entwicklungen.

Zum Beispiel?

Eine der Forschungsfragen lautete: „Findet durch die Fusion ein Rückgang nicht notwendiger stationärer Krankenhausleistungen statt?“ Die Antwort ist „Ja“ – und zwar bezogen auf die ambulant-sensitiven Leistungen aller Häuser im Landkreis Rotenburg: Wir stellten fest, dass auch bei zusammengefasster Betrachtung der Standorte nach der Fusion deutlich weniger Patientinnen und Patienten stationär aufgenommen wurden. Ein paar Beispiele: Stationär behandelte Fälle von Diabetes Typ 2 waren im Zeitverlauf um 59 Prozent rückläufig, Hypertonie (Bluthochdruck) um 60 Prozent und Herzinsuffizienz um 33 Prozent.

Und wie sieht es bei den akuten Notfällen aus – kam es durch die Schließung in Zeven zu Beeinträchtigungen bei der Behandlung?

Es gab Veränderungen, doch auch hier zeigten sich positive Effekte hinsichtlich der Versorgungsqualität: Für das Beispiel Schlaganfallversorgung zeigt unsere Erhebung, dass Patientinnen und Patienten nun häufiger direkt in der Stroke Unit im Agaplesion Diakonie-Krankenhaus Rotenburg behandelt werden. Das entspricht einer von der Versorgungsforschung geforderten stärkeren Konzentration von Fällen in Krankenhäusern, die auch über notwendige Voraussetzungen für eine optimale Behandlung verfügen. Weder Zeven noch Bremervörde hatten bzw. haben eine Stroke Unit. Fälle von akutem Herzinfarkt und Schwerverletzte wurden schon zuvor ohnehin fast ausschließlich in Rotenburg behandelt – das erklärt, warum die Zahlen hier im Wesentlichen unverändert blieben. Eine Beeinträchtigung der Notfallversorgung konnten wir somit nicht feststellen.

Welche konkreten Auswirkungen hatte die Fusion noch auf die Versorgung vor Ort?

Unser Fazit lautet: Defizite in der Versorgung waren nicht erkennbar. Die Folge ist allerdings eine längere Wegstrecke für die Patientinnen und Patienten. Die durchschnittliche Fahrzeit für die Zevener Einwohner hat sich um neun Minuten und die durchschnittliche Wegstrecke um elf Kilometer erhöht. Bestandteil dieser Durchschnittsbetrachtung sind allerdings auch Fahrzeiten nach Hamburg und Bremen. Bei Standorten außerhalb des Landkreises wurde eine höhere durchschnittliche Fallschwere verzeichnet; das heißt, Menschen mit ernsteren Erkrankungen nehmen für eine spezialisierte elektive Behandlung längere Fahrzeiten in Kauf. Das passt zum Trend zunehmender Mobilität von Patientinnen und Patienten und wachsender Bereitschaft, weitere Strecken für eine bessere Qualität auf sich zu nehmen.

Als Experte für Qualitätssicherung und -transparenz im Gesundheitswesen: Was macht für Sie hochwertige medizinische Versorgung aus?

Es gibt zahlreiche Belege, dass eine hochwertige medizinische Versorgung häufig dann erbracht wird, wenn eine Routine in der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit bestimmten Erkrankungen vorhanden ist. Zahlreiche Studien in Deutschland und international haben den Zusammenhang zwischen der Behandlungshäufigkeit und den medizinischen Ergebnissen für die Behandelten dargelegt. Auch die Bildung medizinischer Zentren kann hochwertige medizinische Versorgung befördern. Dies wurde in Deutschland insbesondere für die Versorgung krebskranker Menschen in zertifizierten Krebszentren nachgewiesen. Daten der klinischen Krebsregister und von Krankenkassen zeigten, dass die Überlebenschancen für Patientinnen und Patienten in Krebszentren häufig signifikant besser waren als in nicht zertifizierten Kliniken.

Über unsere Serie „Klinikstrukturen im Wandel“

Die Krankenhauslandschaft ist historisch gewachsen und entspricht vielerorts nicht mehr dem Versorgungsbedarf. Wenn wir eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Versorgung gewährleisten wollen, sind Veränderungen also dringend notwendig. Unsere Beispiele zeigen, wie solche Veränderungsprozesse gelingen können – und dass Versorgungsqualität nicht an die Erhaltung einzelner Standorte gebunden sein muss.



Lesen Sie hier weiter

Leeres Krankenhausbett Kerstin Grießmeier Kerstin Grießmeier
Hubert Forster Hubert Forster
Zwei Mediziner schauen auf Röntgenbilder Michael Ihly Michael Ihly

Kommentieren Sie diesen Artikel

Lädt. Bitte warten...

Der Kommentar konnte nicht gespeichert werden. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingaben.