Eine letzte Spritztour vor dem Verkauf sollte es sein, erinnert sich Anna Heinz. „Ich sehe ihn noch in der Küche, da hat er uns noch so einen ‚Helmknutscher‘ gegeben. ‚Fahr vorsichtig‘, habe ich zu ihm gesagt. ‚Mach ich doch immer‘, hat er geantwortet.“ Auf der B432 von Norderstedt nach Segeberg kommt es zum Unfall beim Überholvorgang. „Wir wohnen gegenüber von der Feuerwache. Beim Abendbrot habe ich noch die Sirenen gehört und mir nichts dabei gedacht, hier auf dem Dorf heulen sie öfter mal“, sagt die heute 35-Jährige. Als Ersthelfer vor Ort: sein Bruder, der Rettungssanitäter ist. Er legt den Zugang am rechten Arm. Wäre es der linke gewesen, hätte er sofort gewusst, wen er dort vor sich hat, denn der ist komplett tätowiert. Auch der Helm bleibt auf dem Kopf und so erfährt er erst von der Polizei vor Ort, dass das Motorrad auf seinen Bruder zugelassen ist.
Keine Frage: Organspende!
Abends stehen dann nicht ihr Mann Benny, sondern der Schwager und ihre Schwägerin vor der Tür von Anna Heinz. „Das sind so Bilder, die haben sich eingebrannt“, erzählt sie. Sie solle sich setzen, sagt ihr Schwager immer wieder und dann irgendwann, dass Benny einen Unfall hatte. „Mein Mann war 1,85 cm groß und sehr schlank. An dem war doch nichts dran. Da hab ich schon gedacht: Das kann nicht gut gegangen sein.“
Seit seinem 17. Lebensjahr hat ihr Mann einen Motorradführerschein und einen Organspendeausweis. „Ich hatte eine komplizierte Schwangerschaft, da hatten wir Vorsorgevollmachten abgeschlossen und auch den Organspendeausweis gerade noch mal erneuert. Eigentlich, weil bei mir ein Kaiserschnitt im Gespräch war. ‚Was soll ich den Kram denn mit ins Grab nehmen‘ hatte er noch gesagt“, berichtet die junge Mutter. Und so kommt es: Lunge, Nieren und Leber helfen anderen Menschen, letztere erhält ein 8-jähriger Junge. „Das war für uns gar keine Frage, wir wollten wenigstens anderen helfen.“
Zwei lange Wochen
14 Tage dauert es, bis die Werte stabil sind, der Hirntod festgestellt und die Organe entnommen werden können. In der Zeit ist Anna Heinz jeden zweiten Tag in der Klinik, wäscht ihren Mann mit seinem Duschgel, „damit er als er selbst gehen konnte“. Neben seinem Bett: ein Bild ihres Sohnes und „so ein bisschen Klimbim“, beides begleitet ihn auch bei der Organentnahme. „Das waren die längsten zwei Wochen meines Lebens, es kam mir vor wie Monate. Gleichzeitig war es genau richtig. Wir hatten die Zeit, uns zu verabschieden, als er noch einen Herzschlag hatte, als er noch er selbst war“. Nicht selbstverständlich, wie sie bei einem Angehörigentreffen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) erfährt, denn viele hatten nur noch wenig Zeit mit ihren Angehörigen. Gleichzeitig sagt sie: „Dieses Treffen war sehr heilsam. Da sind Menschen, die haben dasselbe erlebt, derselbe Ablauf, derselbe plötzliche Tod.“
Aber das macht das ganze realer, greifbarer: Da ist ein gesamter Mensch mit seinem eigenen Leben, das war auch für uns die Bestätigung, alles richtig gemacht zu haben.
„Wir gehen alle irgendwann“
Was sie dort auch erfährt: Es ist ebenfalls nicht selbstverständlich, dass man im Vorfeld über das Thema Organspende gesprochen hat. Dass der Tod zum Leben gehört, weiß sie als Pflegedienstleitung, die vor knapp 20 Jahren einen Gesundheitsberuf gewählt hat. Dass der Tod des eigenen Mannes so schnell Teil des ihren werden würde, fühlt sich heute noch nicht real an: „Wer rechnet denn damit, dass man sich als 30-Jährige mit so etwas beschäftigen muss?“, fragt sie. Dass sie es getan haben, ist heute eine Erleichterung: „Es muss schlimm sein, sich in dieser Trauersituation, in der man noch völlig unter Schock steht, mit dieser Frage beschäftigen zu müssen.“ Zumindest eine Frage, die geklärt ist. Denn die Frage nach der Beerdigung muss sie dann mit der Familie zusammen entscheiden. „Das war ganz, ganz schlimm“, berichtet sie. Ihr Appell: „Ich verstehe gut, dass man sich nicht mit dem Tod beschäftigen möchte. Aber er gehört zum Leben, wir gehen alle irgendwann und müssen lernen darüber zu sprechen. Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen Vorsorge treffen.“
Weil der Datenschutz restriktiv ist, kennt Anna Heinz nur Geschlecht und Alter der Organempfänger. Vor knapp zwei Monaten dann ein Anruf von der DSO, ein Brief für sie sei unterwegs. Vier Tage später hält sie die Worte des Empfängers einer Niere in den Händen. „Puh, das war sehr überraschend. Aber das macht das ganze realer, greifbarer: Da ist ein gesamter Mensch mit seinem eigenen Leben, das war auch für uns die Bestätigung, alles richtig gemacht zu haben.“