Sackgasse und HealthTech-Highway liegen ähnlich weit auseinander wie Fax und KI. Und trotzdem ist beides Realität, ja sogar Alltag, im deutschen Gesundheitswesen. Wo stehen wir also auf unserer Digitalisierungsroadmap? Verschiedene Perspektiven auf das Thema beleuchtete das Tagesspiegel Fachforum am 2. April 2025 in Berlin.
Thomas Ballast eröffnet mit einem Rückblick und zeigt aktuelle Problemfelder auf. Foto: Lena Ganssmann/Verlag Der Tagesspiegel
Der Motor läuft, aber…
Thomas Ballast, stellvertretender TK-Vorstandsvorsitzender, lobte eingangs die Digitalisierungsprojekte der letzten Regierung: „Das E-Rezept läuft, darüber spricht schon keiner mehr“, auch eine funktionierende Telematik-Infrastruktur, die ePA und die eAU, das alles biete eine gute Sprungschanze. Wo Licht ist, ist aber auch Schatten. Für Ballast liegt letzteres unter anderem in der Fragmentierung des Gesundheitssystems. Diese mache Interoperabilität teilweise schwierig bis unmöglich und auch die Nutzerperspektive sei nur unzureichend mitgedacht worden: „Wir haben über Jahrzehnte ein System geschaffen, dass wirklich sehr gut die Perspektive der Spezialisten, nicht aber die Patientinnen und Patienten berücksichtigt.“
Ein weiterer Schmerzpunkt sei die Auslegung des Datenschutzes. Die ePA brauche viele, aktuelle und vor allem strukturierte Daten, um Patientinnen und Patienten die Reise durch das Gesundheitssystem zu erleichtern. Und zu dieser Reise gehöre eben auch der Zugang zur ärztlichen Versorgung, der zunehmend schwerer wird. Um diesen Zugang einfacher zu gestalten, brachte der stellvertretende TK-Vorstandsvorsitzende ein digitales Ersteinschätzungstool ins Gespräch.
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Sind wir auf der richtigen Spur?
Eine gewisse Digitalisierungseuphorie verband viele im Saal des Berliner Tagesspiegels, auch wenn sie alle noch deutlich Luft nach oben sahen. So beanstandete Dr. Sören Schulz vom Hartmannbund beispielsweise darüber, dass er trotz Wegfall von Stift und Fax weiterhin 40 Prozent seiner Zeit mit Bürokratie verbringe – nur eben vor dem Computer. Deutlich positiver war Gynäkologin Dr. Maike Henningsen gestimmt: „Wir haben 15 Minuten Zeit, eine Patientin zu sehen.“ Alles, was dabei helfe mehr Zeit für die eigentliche Behandlung zu haben, sei wertvoll – zum Beispiel Online-Terminvergabe, oder der digitale Befundversand.
Nicht nur Schlaglöcher stopfen
Man müsse die Chancen der Digitalisierung aber auch nutzen, um nicht einfach nur schlechte analoge Prozesse zu digitalisieren, sondern um sie weniger kompliziert zu machen, so Simon Blaschke, Projektleiter des Berliner Landeskompetenzzentrums Pflege 4.0. Dem schloss sich Sebastian Zilch vom Bundesministerium für Gesundheit an. Nach vielen erfolgreichen Digitalisierungsprojekten ginge es nun darum zu schauen, wie Prozesse digital besser aufgesetzt werden könnten. Dabei rückte Dr. Theresa Ahrens vom Fraunhofer IESE die Nutzerperspektive in den Fokus: „Digitalisierung ohne Menschenzentrierung ist wie ein Medikament ohne Wirkung“. Ein Plädoyer, dem sich Verbraucherschützerin Michaela Schröder nur anschließen konnte. Für sie ist es ganz wichtig: Digitale Lösungen erfordern Digitalkompetenz. Dass dies sowohl für Ärztinnen und Ärzte als auch für Patientinnen und Patienten gilt, war ebenfalls Konsens.
Unterabteilungsleiter Sebastian Zilch aus dem BMG. Foto: Lena Ganssmann/Verlag Der Tagesspiegel
Angeregte Diskussion zum Thema "Wie profitiert die Praxis von der Digitalisierung?" - Moderator Gunnar Göpel, Dr. Sören Schulz, Dr. Sophia Neisinger, Dr. Maike Henningsen, Dr. Valentina Busik und Simon Blaschke (v.l). Foto: Lena Ganssmann/Verlag Der Tagesspiegel
Sebastian Zilch, Michaela Schröder, Dr. Nibras Naami und Dr. Theresa Schröder (v.l.) sprachen über die Umsetzung der Digitalprojekte. Foto: Lena Ganssmann/Verlag Der Tagesspiegel
Brenya Adjei, gematik-Geschäftsführerin, gab einen Ausblick, wie es in Sachen ePA und Co. weiter geht. Foto: Lena Ganssmann/Verlag Der Tagesspiegel
Gute gefüllt waren die Räumlichkeiten beim Berliner Tagesspiegel. Angeregt wurde auch nach Veranstaltungsende weiterdiskutiert. Foto: Lena Ganssmann/Verlag Der Tagesspiegel
Führerschein für ein digitales Gesundheitssystem
Mehr noch als Digitalkompetenz brauche es digitale Gesundheitskompetenz, das betonten einige der Podiumsgäste und hatten dafür auch gleich Lösungen mitgebracht: Damit trotz Zeitnot alle Patientinnen und Patienten von Dermatologin Dr. Valentina Busik dieselbe Aufklärung erhalten, steht ihr ein KI-Avatar zur Seite. Dr. Sophia Neisinger von der Charité stellt international digitale Patientenschulungen zur Verfügung und Kinderarzt Dr. Nibras Naami versorgt Eltern mit qualitätsgeprüftem Wissen genau dort, wo sie unterwegs sind: auf Social Media und Podcast-Plattformen.
Neues Feature im Fahrerhaus
Neben dem Blick auf zahlreiche Baustellen und Fahrbahnverengungen war man sich in Sachen ePA aber einig in der Vorfreude. Vorteile, wie die Möglichkeit die Akte selbst zu befüllen, Ressourcen sinnvoller einsetzen zu können und auch die Anbindung der Pflege wurden hervorgehoben. Dem schloss sich auch Brenya Adjei an, die seit einem halben Jahr dem Geschäftsführungstrio der gematik angehört und dafür plädierte, die Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen weiterhin so agil wie bisher zu entwickeln und gestalten.
Jetzt aber freie Fahrt?
Das deutsche Gesundheitssystem hat heute also etwas von beiden Extremen: Faxe sind nach wie vor Alltag, aber eben auch der ärztliche KI-Avatar und alle Abstufungen dazwischen. Das Tagesspiegel Fachforum hat aber auch wieder gezeigt: In einem System, in dem es nach wie vor herausfordernd ist Sektorengrenzen zu überwinden oder mit knapper werdenden Ressourcen der demografischen Entwicklung entgegenzutreten, gibt es viele motivierte und engagierte Digitalisierungsbegeisterte, die an klugen Lösungen tüfteln – um die medizinische Arbeit zu erleichtern, Patientinnen und Patienten besser zu versorgen und die Zukunft des Gesundheitswesens zu gestalten.