Frank Schnitzler ist bei der TK Experte für die stationäre Versorgung. Im Interview erklärt er, wie die aktuelle Einzelfallprüfung funktioniert und warum dieser geplante Systemwechsel nicht zur Entbürokratisierung beitragen würde.
Die Einzelfallrechnungsprüfung ist ein etabliertes, effektives Instrument zur Kontrolle einer leistungsgerechten Vergütung. Wie werden aktuell Krankenhausrechnungen geprüft?
Die Prüfung folgt dem Prinzip „was nicht den Vereinbarungen entspricht, bekommen die Krankenhäuser zur Korrektur zurück“ und „was auffällig ist, wird geprüft“. Bei der TK sieht das ganz konkret so aus, dass jede Rechnung, die eingeht, zunächst durch eine Prüfsoftware läuft. Unauffällige Rechnungen werden direkt bezahlt. Das sind über 60 Prozent aller vollstationären Abrechnungen. In weiteren 8,5 Prozent der Fälle können aus unserer Sicht notwendige Korrekturen direkt mit der Klinik geklärt werden. Hier geht es vor allem um formale Abweichungen, zum Beispiel wenn fehlerhafte Entgelte abgerechnet werden. Der Rest der auffälligen Rechnungen wird durch einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin genauer unter die Lupe genommen und gegebenenfalls der Medizinische Dienst zur Überprüfung eingeschaltet. Aktuell betrifft das weitere 8,5 Prozent aller Rechnungen.
Welche Auffälligkeiten können das zum Beispiel sein?
Wenn wir beispielsweise die Rechnung über einen kurzen Aufenthalt von vielleicht zwei Tagen bekommen, aber keine Diagnosen oder Prozeduren dokumentiert sind, die grundsätzlich einen stationären Aufenthalt notwendig machen – und die Daten auch nicht auf Ausnahmetatbestände oder Nebenerkrankungen hinweisen. Solche Fälle gilt es dann anhand des Fallverlaufes, vorheriger Fälle und zum Beispiel der Leitlinien zu klären.
Wie läuft das bei der TK ab?
Wir beauftragen den Medizinischen Dienst, kurz MD, mit einer Prüfung, wenn ein Blick in die Unterlagen des Krankenhauses notwendig ist. Zumindest bei einem Teil der auffälligen Rechnungen, denn seit dem MD-Reformgesetz gibt es gedeckelte Prüfquoten. Das heißt, wir dürfen nicht alle auffälligen Rechnungen durch den MD prüfen lassen. Das bringt das Risiko mit sich, dass wir fehlerhafte Rechnungen voll bezahlen müssen. Konkret sind fünf, zehn oder 15 Prozent der Rechnungen pro Krankenhaus in einem Quartal erlaubt – je nachdem wie hoch der Anteil der durch den MD beanstandeten Rechnungen einer Klinik im Vorvorquartal war. Zum Vergleich: Vor der Deckelung wurden etwa 19 Prozent der Rechnungen aufgrund von Auffälligkeiten mit Hilfe des MD geprüft, heute sind es 8,5 Prozent.
Gibt es Unterschiede zwischen den Kliniken?
Ja, bei über 1700 Kliniken gibt es natürlich Unterschiede in der Abrechnungsgüte. Eine höhere Anzahl von Auffälligkeiten kann allerdings auch am Leistungsspektrum liegen, zum Beispiel wenn viel im ambulant-stationären Grenzbereich gearbeitet wird. Wir sehen zum Beispiel bei den meisten Krankenhäusern mit fünfprozentiger MD-Prüfquote auch keine wesentlich höhere Auffälligkeitsquote in unserem Prüfsystem. Auf der anderen Seite gibt es Kliniken, bei denen aufgrund der Auffälligkeiten mehr geprüft werden müsste, aber die Quoten dies verhindern.
Was passiert, wenn der Medizinische Dienst feststellt, dass eine Rechnung falsch ist? Kann die TK dann das Geld einbehalten?
Nein. Früher war das so, seit dem MD-Reformgesetz nicht mehr. In diesem Fall teilen wir das Ergebnis der Klinik mit. Akzeptiert diese das Ergebnis nicht, beginnt ein Erörterungsverfahren. Endet das ohne Konsens, muss die Kasse vor das Sozialgericht ziehen, um die Rechnung zu kürzen. Das dauert natürlich seine Zeit. Allein mit MD-Prüfung und Erörterungsverfahren kommt man auf rund ein Jahr, kommt es zum Gerichtsverfahren, können daraus auch zwei oder drei Jahre werden.
Künftig soll per Stichprobe geprüft werden, um zu entbürokratisieren. Was bedeutet das?
Ganz genau kann man das noch nicht sagen, denn ein entsprechendes Konzept soll erst noch vom MD entwickelt werden. Aber unabhängig von der genauen Gestaltung bedeutet das die Abkehr von der Einzelfallprüfung, also vom Prinzip „was auffällig ist, wird geprüft“. Der MD zieht eine Stichprobe, auf deren Basis vermutlich Hochrechnungen erfolgen sollen.
Das soll zur Entbürokratisierung beitragen, sagt die Politik. Ist das realistisch?
Nein, das ist bisher nicht zu erkennen. Bei einer Stichprobenlogik prüft man zwangsläufig auch Rechnungen, die nach unserer Systematik absolut unauffällig sind. Hinzu kommt, dass ein komplett neues Verfahren aufgesetzt werden muss, das auch die Rückvergütung regelt.
Wie könnte man stattdessen den Prozess weniger bürokratisch gestalten?
Es ist sinnvoll, bei der Einzelfallprüfung durch die Kassen zu bleiben. Sie haben die notwendige Expertise und viele notwendige Informationen vorliegen. Zudem muss das Prinzip „was auffällig ist, wird geprüft“ beibehalten werden. Die Quoten sollte man hingegen komplett abschaffen oder eine pragmatischere Quotenregelung finden, denn: Für Kliniken, die sauber abrechnen, macht das keinen Unterschied. Als Kasse müssen wir auch effizient arbeiten und haben kein Interesse an zusätzlichem Aufwand, um unauffällige Rechnungen zu durchforsten. Die Regelungen der geplanten Reform, zum Beispiel im Rahmen der Zuweisung von Leistungsgruppen, und die weitere Ambulantisierung über die Ausweitung der Hybrid-DRG und des ambulanten Operierens werden zudem Auffälligkeiten reduzieren.
Was könnte man noch tun?
Ebenfalls abschaffen kann man die „Strafzahlungen“ auf beiden Seiten. Also die dreistelligen Summen, die Kliniken zahlen müssen, wenn es nach MD-Gutachten zu einer Rechnungskorrektur kommt und die Kassen zahlen müssen, wenn eine MD-Prüfung ergibt, dass eine Rechnung nicht zu beanstanden ist. Diese Zahlungen bringen wenig – außer viel Rechnerei und unnötige Prozesse.