Jessica Kneißler

Nachgefragt: Perspektive Pflege

Die Pflege beherrscht bei Gesundheitsthemen die Schlagzeilen. Kein Wunder – sie betrifft früher oder später uns alle. Was muss passieren, damit sich die Bedingungen für alle verbessern? Wir haben bei zwei Experten nachgefragt.

Gleich sieben Diskussionsrunden beim Hauptstadtkongress „Medizin und Gesundheit“2018 beleuchten den Bereich Pflege aus verschiedensten Perspektiven. Sie alle haben eines gemeinsam: die Suche nach Lösungen und Verbesserungen für Berufstätige, pflegende Angehörige und Pflegebedürftige selbst.

Helga Gessenich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung in Köln und spricht zum Thema“Fachkräftesicherung unter regionalen Perspektiven“. André Posenau ist Professor für Interaktion und interprofessionelle Kommunikation in Pflege- und Gesundheitsfachberufen an der Hochschule für Gesundheitsberufe in Bochum. Sein Vortrag beschäftigt sich mit der Digitalisierung in der Pflege.

Frau Gessenich, Herr Posenau, eine wichtige Frage vorweg: Wie lassen sich Pflegeberufe in Deutschland langfristig attraktiver machen?

Helga Gessenich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung in Köln.

Gessenich: Entbürokratisierung ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, um die Anforderungen der Pflegearbeit zu senken. Das zeigt sich auch in unseren Forschungsergebnissen. Notwendig sind darüber hinaus weitere Verbesserungen der Rahmenbedingungen, die auch wirklich bei den Auszubildenden und Pflegeberufstätigen ankommen. Junge Menschen, die heute einen Beruf wählen, legen Wert auf ein gutes Betriebsklima und nehmen ihre Gesundheit ernst. Beides braucht gute Arbeitsbedingungen. Die Politik ist in der Verantwortung dafür zu sorgen, dass Personaluntergrenzen und Fachkraftquoten entsprechend gestaltet werden und sich nicht in Rechenspielen erschöpfen.

Posenau: Meiner Ansicht nach gibt es drei Bausteine. Zunächst einmal die Vergütung: Es kann nicht sein, dass diese gemessen an den Arbeitsbedingungen und der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Berufes so unattraktiv ist. Weiterhin ist die Akademisierung der Pflegeberufe ein Baustein, der auch Abiturienten in den Beruf locken kann und wird. Letztendlich wird sich aber auch das Arbeitsfeld der Pflege durch neue Aufgaben verändern und erweitern müssen.

„Letztendlich wird sich aber auch das Arbeitsfeld der Pflege durch neue Aufgaben verändern und erweitern müssen.“

André Posenau

Was ist Ihrer Meinung nach entscheidend, um Fachkräfte in der Pflege zu halten?

Gessenich: Entscheidend ist, die Arbeitsbedingungen in der Pflege so auszugestalten, dass die Mitarbeiter mit ihren täglichen Arbeitsanforderungen zufrieden sind und diese nicht dauerhaft als krank machende Belastung erleben. Wertschätzung und Partizipation wirken sich zudem positiv auf die Berufsverweildauer aus. Hauptbeweggründe für die hohe Fluktuation in Pflegeberufen sind zu hohe Arbeitsbelastung und gesundheitliche Gründe. Das ist auch ein Ergebnis unserer Befragung zum „Pflege-Thermometer 2018“.

André Posenau ist Professor für Interaktion und interprofessionelle Kommunikation in Pflege- und Gesundheitsfachberufen an der Hochschule für Gesundheitsberufe in Bochum.

Herr Posenau, was meinen Sie: Wie digital wird Pflege zuhause in zehn Jahren sein?

Ich glaube, die Pflege an sich wird im häuslichen Kontext nie komplett digitalisiert werden, sondern nur durch die Digitalisierung unterstützt. Wobei sich hier die Frage stellt, ob diese durch die Betroffenen selbst realisiert wird, beispielsweise mit Trackingtools, die es bereits gibt – oder ob es Anbieter verstärkt mit Medizinprodukten auf den Markt schaffen und schon existierende Möglichkeiten sinnvoll erweitern, beispielsweise im Bereich Smart Home.

… und die stationäre Pflege?

Im Hintergrund, also dem Bereich, den der Bewohner oder der Patient nicht sieht, wird es neue Kommunkationsstrukturen und Arbeitsabläufe geben. Diese räumen hoffentlich mehr Zeit für den Patienten frei, indem Verwaltungs- und Planungsprozesse effizienter gemacht werden. Im direkten Patientenkontakt wird meiner Ansicht nach weiterhin der Mensch die relevante Bezugsgröße bleiben. Hier wird entscheidend sein, ob die Technologien so flexibel sind, dass sie sich den individuellen Arbeitsweisen anpassen werden. Nur dann werden sie auch tatsächlich im Alltag von Pflegepersonal und Patienten genutzt werden.

Frau Gessenich, Sie sprechen auf dem Haupstadtkongress zum Thema „Fachkräftesicherung unter regionalen Perspektiven“. Inwiefern ist die Sicherung von Pflegefachkräften eine regionale Frage?

Die Pflegeforschung zeigt, dass Pflegeempfänger und Pflegefachkräfte, aber auch Auszubildende wenig mobil sind. Die Menschen lassen sich einfach nicht wie Verbrauchsgüter im Bedarfsfall „quer durch die Republik“ versetzen. Die Regionen haben zudem eine ganz unterschiedliche demographische Entwicklung, auch was beispielsweise Schulstandorte oder Verkehrswegenetze angeht. Das heißt: Jedes Land und jede Region sollte bis auf die kommunale Ebene ganz genau hinschauen und vorausplanen, mit welchen regionalen Bedingungen, Ausbildungs- und Fachkraftressourcen die Pflegebedürftigkeit der Zukunft gestaltbar ist.



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