Cornelia Benzing

„Fingertherapie“ will die Welt ein bisschen schneller drehen

Dieser Beitrag ist Teil des Start-up-Features von Wir Techniker im Rahmen der Health-i-Initiative von der TK und dem Handelsblatt. Unter zahlreichen Bewerbern wurde das Start-up Fingertherapie als eins von fünf jungen Unternehmen zum Innovationstag am 13. September in Berlin eingeladen und hat die Chance, eine Kooperation mit der TK zu gewinnen.

Zwischen zehn und zwölf Stunden Arbeit pro Tag

Nach dem Abitur ist häufig erst einmal die Luft raus. Man geht auf Reisen, jobbt oder genießt die Freizeit, bevor der Ernst des Lebens mit Studium oder Ausbildung weitergeht. Nicht so bei Pascal Lindemann und Dominic Libanio. Die beiden frisch gekürten Abiturienten, gerademal 18 und 20 Jahre alt, arbeiten jeden Tag zwischen zehn und zwölf Stunden: Business- und Absatzpläne schreiben, eine Marke entwickeln, Förderer und Investoren treffen – für die jungen Gründer des Start-ups „Fingertherapie“ aus Bad Kreuznach ist dies seit einigen Monaten Alltag.

Sie haben einen großen Traum und geben dafür vollen Einsatz. Mit dem von ihnen entwickelten „Roboter-Physiotherapeut“- einer elektronischen Fingerbewegungsschiene, die mittels App gesteuert wird – wollen sie irgendwann Weltmarktführer werden.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber ein großer Schritt ist schon geschafft: Zusammen mit vier weiteren Start-ups wurden sie von der Health-i Initiative, die von der TK und dem Handelsblatt ins Leben gerufen wurde, zum Innovationstag am 13. September nach Berlin eingeladen. Hier können sie für ihre Vision werben und eine Kooperation mit der TK gewinnen, die den Weg in den „Ersten Gesundheitsmarkt“ ebnen könnte.

Startschuss durch Teilnahme an „Jugend forscht“

Dabei hatte es vor noch gar nicht so langer Zeit ganz spielerisch angefangen. Durch die Teilnahme an „Jugend forscht“ entstand vor zwei Jahren der Kontakt zu dem Handchirurgen Dr. Eric Hanke, Oberarzt an der Mainzer Uniklinik. Damals forschte Pascal Lindemann noch an einer Handprothese. Es entstand die Idee für die Fingerbewegungsschiene, einsetzbar nach Unfällen mit Handverletzungen, Lähmungen nach Schlaganfällen oder zur Mobilisierung bei Erkrankungen wie Multiple Sklerose.

Der Alltag eines Start-ups: Nach der Entwicklung und Umsetzung der Idee steht das Schreiben von Business- und Absatzplänen an oberster Stelle.
Der Alltag eines Start-ups: Nach der Entwicklung und Umsetzung der Idee steht das Schreiben von Business- und Absatzplänen an oberster Stelle.

„Unser erstes Modell haben wir aus Lego gebaut und Dr. Hanke gezeigt“, lacht Lindemann. Das nächste Modell bestand aus Holz, die Weiterentwicklung dann aus Metall. Mittlerweile können die beiden den möglichen Investoren bereits einen Prototypen aus glänzendem, weißem Kunststoff präsentieren, der ein bisschen an die Uniform der Stormtrooper aus dem Leinwand-Epos Star Wars erinnert. Das Entwerfen mit CAD-Programmen haben die beiden Rheinland-Pfälzer sich selbst beigebracht, ein Unternehmen hat dann nach ihren Vorgaben die Teile für die Fingerbewegungsschiene im 3D-Druck gefertigt und die Kosten hierfür übernommen. Die notwendige Elektronik hat Dominic Libanio selbst entwickelt, ein Freund war für die Programmierung der App zuständig.

Mit diesem Lego-Modell der Fingerbewegungsschiene fing alles an.
Mit diesem Lego-Modell der Fingerbewegungsschiene fing alles an.

„Es ist nicht die erste ihrer Art, aber sie ist einzigartig! Bei den bereits vorhandenen Fingerbewegungsschienen fehlt die Anpassungsmöglichkeit. Sie sind groß und klobig und zerren an den Fingern“, schildert Pascal Lindemann mit großer Leidenschaft. Ganz anders der Roboter-Physiotherapeut: Besonders klein, digital per App steuerbar und auf jeden Patienten individuell einstellbar, so beschreiben ihn Lindemann und Libanio. Der Antrag beim Patentamt ist bereits gestellt.

„Jedes Jahr gibt es in Deutschland rund 290.000 Arbeitsunfälle an der Hand und über 1.650 neue Unfallrenten durch teilweise unvollständige Nachbehandlungen“, hat Lindemann recherchiert. „Rund 30.000 dieser Patienten kommen für eine Behandlung mit unserem Gerät in Frage.“ Dabei soll einer irreversiblen Versteifung der Hand entgegengewirkt werden, die recht schnell eintreten kann, wenn die Hand ruhig gestellt wird und in der Folge Sehnen und Sehnenscheiden verkleben. Der Clou: Die Patienten sollen das Gerät mit nach Hause nehmen können und dort – unterstützt von der App – bequem die Beweglichkeit ihrer Hand trainieren.

„Apps werden immer intelligenter. Unsere Anwendung registriert, wie die Entwicklung des Patienten ist und passt die Behandlung an. Geplant ist auch eine Vernetzung mit dem Arzt. Er kann dann auf seinem Bildschirm sehen, welche Fortschritte der Patient macht“, denkt Pascal Lindemann.

Jetzt hoffen die beiden Jungunternehmer, dass ihre Idee am 13. September beim Innovationstag der Health-i Initiative ankommt. Als eines von fünf Start-ups wurden sie von der TK und dem Handelsblatt nach Berlin eingeladen. Eine Kooperation mit der TK würde sie in ihrem Traum ein großes Stück voranbringen. Und vielleicht gewinnen sie im November ja auch noch den Health-i Award, der ebenfalls von der TK und dem Handelsblatt ausgelobt wurde. Derzeit finanzieren sie sich noch von den Preisgeldern, die sie bereits mit ihrer Idee bei „Jugend forscht“ und beim Ideenwettbewerb Rheinland-Pfalz gewonnen haben und leisten sich damit ein Büro in Bad Kreuznach, das sie sich mit einem Architekten teilen. „In zwei Jahren soll Verkaufsstart sein, dann wollen wir in eine größere Stadt umziehen“, sagt Lindemann.

Jeder Finger wird durch eine individuell angepasste Mechanik an den Gelenkachsen bewegt. So entsteht nur da eine Krafteinwirkung auf den Finger, wo sie für den Therapieerfolg sinnvoll ist.
Jeder Finger wird durch eine individuell angepasste Mechanik an den Gelenkachsen bewegt. So entsteht nur da eine Krafteinwirkung auf den Finger, wo sie für den Therapieerfolg sinnvoll ist.

Schon jetzt sind die beiden gut vernetzt: Sei es das Gründungsbüro Koblenz, bei dem sie Unterstützung finden oder der Unibator der Frankfurter Goethe-Universität. Diese „Kaderschmiede“ für innovative Projekte – die passenderweise die Health-i Initiative als wissenschaftlichen Partner unterstützt – kürte die beiden Gründer am 6. September mit dem „Goethe-Innovations-Preis“, der mit 2.000 Euro dotiert ist. Und auch beim Kompetenz-Workshop #SmartHealth der TK (Wir Techniker berichtete), der als Auswahtag für den Innovationstag stattgefunden hatte, ging es ums Netzwerken. „Es ist super interessant zu sehen, was andere machen und dass sie die gleichen Hürden zu nehmen haben wie wir“, erklärt Lindemann.

Die Visionen der beiden Gründer für das Jahr 2050:

„Implantate und Organe kommen alle aus dem 3D-Drucker und Wearables überprüfen den Gesundheitszustand in enger Vernetzung mit den Ärzten. Robotik wird Standard bei OPs und in der Pflege ist Telemedizin allgegenwärtig“.

Auch sie haben schon neue Ideen für ihre App, die sie gerne auf andere Therapiegeräte ausweiten wollen. Sollten sie die Kooperation mit der TK gewinnen, wollen sie die Chance nutzen „die Welt ein bisschen schneller zu drehen“. Gefragt nach ihrer Motivation erklären sie: „Es ist ein gutes Gefühl etwas geschaffen zu haben, das anderen Menschen hilft.“

Im Video: Pascal Lindemann und Dominic Libanio stellen ihr Start-up „Fingertherapie“ vor.

Fotos: Pascal Lindemann



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