Frau Schulmeier, warum hat das mit den Neuerungen so lange gedauert?
Kleinere Anpassungen hat es in den Vorjahren schon gegeben. Aber für so große Änderungen müssen alle Beteiligten bereit sein, die Neuerungen in Angriff zu nehmen. Politik, Kassen und Leistungserbringer mussten an einem Strang ziehen. Dies war auch notwendig: Der Bedarf der Patienten hat sich verändert, mehr Menschen nehmen eine Therapie in Anspruch, dafür nicht mehr so lange. Ein Problem war, dass die Therapeutensuche in der Vergangenheit sehr ungesteuert lief. Ganz nach dem Prinzip: Jeder geht dahin, wo Platz ist.
Was ist das Besondere an der Sprechstunde?
Uns als Krankenkasse treibt immer die Frage um: Wie kommt der Patient in die für ihn richtige Behandlungsform? Und genau hier setzt die Sprechstunde an. Bisher ging der Patient als Erstes meist zum Arzt seines Vertrauens – beispielsweise zum Hausarzt – und kommunizierte sein Anliegen. Je nachdem, wie gut der Arzt im Erkennen von psychischen Erkrankungen geschult war, hat er dann weitere Maßnahmen ergriffen. Die neu eingeführte Sprechstunde hat den Zweck eines Erstgesprächs, auf dessen Basis entschieden werden kann, ob und welche Form der Behandlung sinnvoll ist. Die Frage ist ja letztlich sowohl für Patient als auch Therapeut: Was ist denn eigentlich das Problem? Geht es um eine Lebenskrise, stehen eher private Probleme im Vordergrund? Oder handelt es sich um eine tiefgreifende psychische Erkrankung? Wir versprechen uns sehr viel von der Sprechstunde. Der Patient bekommt eine schnellere Klarheit und am Ende der Sprechstunde eine ganz konkrete Handlungsempfehlung.
Bei allen Neuerungen der Richtlinie interessiert uns als Krankenkasse natürlich besonders: Werden sie tatsächlich genutzt? Wie werden sie angenommen? Verändert sich dadurch tatsächlich etwas in der Versorgungslandschaft?
Wenn die Maßnahmen dem Patienten nichts nützen, bringt auch uns das wenig. Alle Neuerungen haben eine fundierte Datenbasis – durch die uns zur Verfügung stehenden Patientendaten konnten wir Rückschlüsse darauf ziehen, welche Änderungen notwendig sind. Aus diesem Grund ist uns auch wichtig, dass alle Maßnahmen evaluiert werden.
Was sagen die Zahlen?
Welche Art der Therapie ein Patient bekommt, hängt meist weniger von der Diagnose sondern viel mehr von der Frage eines verfügbaren Therapieplatzes ab. So kommt es zu regional sehr unterschiedlichen Verteilungen bei der Inanspruchnahme von Therapieformen. Warum? Die Ausbildungsinstitute haben verschiedene Schwerpunkte im Rahmen der Psychotherapie-Ausbildung. Nach der Ausbildung bleiben die Therapeuten oftmals in der Region. So entsteht ein Ungleichgewicht, welche Therapieformen in den Bundesländern vertreten sind bzw. angeboten werden. Die neue Psychotherapie-Richtlinie sieht zu Beginn eine Sprechstunde vor, in der mit einem Therapeuten abgeklärt wird, welche Unterstützung der Patient benötigt. Das heißt also: Ziel ist es, den richtigen Behandlungsbedarf auszuloten und dann die passgenaue Therapieform zu wählen.
Warum liegt Ihnen die Gruppentherapie so am Herzen?
Wir finden die Förderung der Gruppentherapie wichtig, weil sie eine in Deutschland bisher wenig genutzte aber sehr wirksame Methode ist. Es gibt Untersuchungen, dass bestimmte psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Ängste in einer Gruppe sehr viel besser therapiert werden können. Und die Gruppentherapie ermöglicht eine schnellere Versorgung, denn: Gruppentherapie versorgt gleichzeitig mehrere Patienten.
Allerdings: Die Tendenz in Deutschland geht zum Individualismus. Gemäß der Denke: Ich gehe ja auch allein zu meinem Hausarzt, warum soll ich mich mit meinen psychischen Problemen dann nicht auch allein mit meinem Therapeuten austauschen? Bei bestimmten Störungsbildern kann der Patient allerdings enorm von der Gruppe profitieren.
Hier ist es auch unsere Aufgabe, dem Patienten seine Scheu vor der Gruppe zu nehmen. Wie? Auf der ersten Ebene durch Aufklärungsarbeit. Diese Aufgabe müssen sich letztlich alle auf ihre Fahnen schreiben – Kassen wie Leistungserbringer.
Was sagen die Zahlen?
2014 lag der Anteil der Gruppentherapie in der ambulanten Therapie nur bei 1,5 Prozent. Mit der neuen Psychotherapie-Richtlinie soll die Gruppentherapie als Methode stärker gefördert werden. So wurde die Mindestgruppengröße auf drei Personen reduziert, sodass zum Beispiel auch in ländlichen Gegenden die Möglichkeit zur Gruppentherapie höher wird.
Wo gibt es in Ihren Augen Entwicklungspotenzial?
Luft nach oben gibt es ja immer. Das nächste große Thema auf dem Feld der Psychotherapie wird die Digitalisierung sein. Bisher werden die Anträge ja noch alle in Papierform an die Kassen gesandt. Auch der Austausch mit den Gutachtern erfolgt noch „analog“. Aber grade bei der Psychotherapie, wo Datenschutz besonders groß geschrieben wird, kann ein digitaler Datentransfer die Dinge verbessern. Das ist zwar noch Zukunftsmusik, aber unser Engagement für eine zeitgemäße Versorgung unserer Versicherten wird nicht aufhören.