Wenn man Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eines nicht vorwerfen kann, dann ist es die Angst davor, kontroverse Themen im Gesundheitssystem anzupacken. Und zwar auch solche, deren Ergebnisse erst nach der eigenen Amtszeit zum Tragen kommen. Die konzertierte Aktion Pflege ist dafür ebenso ein Beispiel wie der nun öffentlich gewordene Kabinettsentwurf zum „Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz“ (FKG), das den Finanzausgleich zwischen den Kassen reformieren soll. Schon der im März vorgestellte Referentenentwurf zeigte den Anspruch, die seit Jahren bekannten Probleme und Fehlsteuerungen im Finanzausgleich der Kassen umfassend wie nachhaltig zu lösen und das jahrelange Klein-Klein von Regeln und Verboten zu beenden.
Chance auf einheitliche Aufsicht vertan
Doch auch die Mutigen sind darauf angewiesen, dass andere mitziehen, die Chancen von Veränderungen erkennen und darüber kurzfristige eigene Interessen zurückstellen. Daran ist der Versuch gescheitert, den Wettbewerb zwischen den Kassen einer einheitlichen Aufsicht (statt wie bislang 17 verschiedenen) zu unterstellen. In seltener Einheit ergriffen alle 16 Bundesländer die Position einer Kassenart, nämlich der AOK, und liefen gegen den Vorstoß des Bundesgesundheitsministeriums Sturm.
Im Morbi-RSA gibt es keinen Videobeweis, falls der Schiedsrichter etwas übersieht.
Nur zur Erinnerung: Die AOKen profitieren seit Jahren vom bisherigen Missstand. Sie erhielten allein 2017 über 1,3 Milliarden Euro mehr aus dem Gesundheitsfonds, als zur Versorgung ihrer Versicherten nötig ist. Die Debatte führte bis zur absurden Argumentation, die Aufsichtsvielfalt sei nötig, weil sonst eine Vor-Ort-Versorgung nicht möglich wäre.
Wären die Folgen nicht so desaströs, könnten wir als bundesweite Kasse, die 10,5 Millionen Menschen versorgt – und zwar „vor Ort“ (wo denn auch sonst?) -, darüber lachen. Im Ergebnis vergeben wir mit dem Wegfall der einheitlichen Aufsicht im Kabinettsentwurf eine große Chance, denn: Wie gut Regeln funktionieren, hängt stark davon ab, wie sie kontrolliert werden. Im Morbi-RSA gibt es keinen Videobeweis, falls der Schiedsrichter etwas übersieht.
Sinnvolle RSA-Reformelemente
Blendet man das zentrale Thema Aufsicht einmal aus, zeigt sich erfreulicherweise auch in den aktuellen Plänen nach wie vor die Bereitschaft, grundsätzliche RSA-Probleme anzugehen und Fehlanreize zu beseitigen.
Dazu gehört die Einführung einer Regionalkomponente, um regionale Kostenunterschiede auszugleichen – ebenso wie die Tilgung des obsolet gewordenen Merkmals Erwerbsminderungsrente, die Schaffung von Anreizen für Prävention – und eben die zahlreichen Maßnahmen, die Manipulationen zumindest deutlich erschweren sollen, allen voran die Manipulationsbremse über eine Prävalenzgrenze.
Aufsicht: Vereinheitlichung der Vielfalt statt Einheitlichkeit
Weil mit dem FKG auch ein Vollmodell kommen wird – künftig also alle Erkrankungen potenziell RSA-zuweisungsrelevant werden-, sind dieser Manipulationsschutz und dessen Kontrolle zentral. Immerhin ist das Thema, die Kontrollen zu optimieren, nicht gänzlich vom Tisch. Vorgesehen sind unter anderem eine Stärkung der Rolle des BVA, etwa in der Aufsichtsbehördentagung. Zudem soll es mehr Transparenz über Aufsichtsentscheidungen geben. Ob diese Maßnahmen greifen, wird sich zeigen. Und: Noch ist der Abpfiff in Sachen FKG nicht erfolgt.